Das Artefakt |
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Von Barbara Schmid
Barbaras Einfallsreichtum und ihr flotter Tippfinger versorgen uns immer wieder mit spannenden Alpha-Geschichten! Danke!
Professor Victor Bergman beugte sich über
seine kugelförmige Schöpfung, an der er immer arbeitete, wenn er nervös war,
oder tief in Gedanken. John und Helena waren nun schon seit Stunden überfällig
und man hatte jeden Kontakt zu ihnen verloren. Aber das war eigentlich nur das
Ende einer langen Reihe von Schwierigkeiten, die sie durchlaufen hatten.
Eigentlich hatte es ganz harmlos angefangen,
vor genau vier Tagen.
Der Mond war durch eine harmlos wirkende Energiewolke geflogen, die die Instrumente geringfügig verwirrt hatte, aber sonst keine Auswirkungen gezeigt hatte. Zumindest hatte es so ausgesehen. Aber nur kurze Zeit später waren einige Mannschaftsmitglieder erkrankt und hatten mit Schwindelanfällen, Kopfschmerzen und Fieber das Bett hüten müssen. Dieses seltsame Leiden hatte schließlich um sich gegriffen und am Ende war die Basis nur mehr mit der absoluten Notbesatzung gelaufen und sogar Victor und Alan hatten die Krankenstation aufsuchen müssen.
Commander John Koenig hatte ziemlich allein den Dienst auf der Main Mission versehen, so wie Dr. Helena Russell das Medical Centre versorgt hatte, mit wenig Unterstützung, denn auch Dr. Mathias war erkrankt und die anderen Ärzte. Nur ihre Assistentin, Erin Kendall, war ihr getreulich zur Seite gestanden. Erin war ein fröhlicher, positiver Mensch, den Dr. Russell ganz besonders schätzte. Eigentlich hätte sie jetzt schon eine fertige Ärztin sein sollen, wenn sie wie geplant, nach ihrem Praktikum auf dem Mond ihr Studium beschließen hätte können. Helena hatte Erin sehr gefördert, da sie das Talent der jungen Frau erkannt hatte und sie für höhere Aufgaben vorgesehen hatte. Es war für die begabte Assistentin ein harter Schlag gewesen, dass sie nun ihre Studien nicht beenden hatte können, aber Dr. Russell hatte ihr versichert, dass sie nach einer angemessenen Zeit, vor ihr und den anderen Ärzten ihre letzten Prüfungen würde ablegen können, um dann endlich eine fertige Ärztin zu sein.
Während dieser Notsituation war sie Helena eine unschätzbare Hilfe gewesen, denn nur wenige schienen gegen dieses seltsame, wenn auch harmlose, Leiden immun zu sein.
:-:-:-:-:
Genau zu dieser Zeit hatte John, einsam seinen Dienst versehend, einen bewohnbaren Planeten entdeckt, der lockend auf dem Bildschirm aufgetaucht war. Zwischen Computer und Scanner hin- und herwandernd hatte John alle Daten überprüft und analysiert und war zu dem Schluss gekommen, dass man CALDARAN, wie ihn der Computer getauft hatte, so schnell wie möglich vor Ort untersuchen musste.
Victor war noch nicht wieder hergestellt und Paul hatte sich gerade so weit erholt, dass man ihn zum Dienst auf der Main Mission heranziehen konnte, ebenso wie Sandra.
Aber CALDARAN würde nicht so lange in Reichweite bleiben, dass man allzu viel Zeit verschwenden durfte, also hatte John sich mit Helena besprochen und eine schwere Entscheidung getroffen.
Erin übernahm die Krankenstation und der Commander und die Chefärztin nahmen Adler 1 und machten sich auf ihre ungewisse Mission.
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Das war nun vor genau 8 Stunden geschehen und Paul hatte keinen Kontakt mehr zu ihnen gehabt. Victor hatte sich inzwischen erholt, ebenso wie der Chefpilot, Alan Carter.
Als Victor nachdenklich einen Draht anschloss und dabei einen Blick auf seine Glastafel warf, wo Zahlen und Formeln notiert waren, ertönte sein Türsummer. Alan Carter trat ein:
„Prof. Bergman, es sind jetzt 8 Stunden und…“
„Ich weiß. Irgendetwas muss passiert sein. Ist ein Adler startklar?“
„Ja, Adler 4. Sie sollten uns begleiten Professor, es sind noch zu wenige Leute einsatzfähig.“
Victor nickte zerstreut, aber er war noch ein wenig unsicher, ob er tatsächlich gehen sollte. Die Basis war ohne Führung, auch wenn Paul inzwischen wieder gesund war, es war ein Risiko, sollte es auf dem Planeten ernsthafte Probleme geben. Aber dann siegten Sorge und Neugier und er erhob sich aus seiner gebückten Haltung:
„Gut Alan. Wann sind wir startbereit?“
„In 20 Minuten, Professor, wir sehen uns an Bord.“
Victor warf einen letzten Blick auf seine Erfindung, dann beendete er seine Arbeit und folgte Alan wenig später auf den Gang. Gedankenverloren machte er sich auf den Weg Richtung Rampenschlitten.
Auf dem Weg begegnete ihm Erin Kendall, die ihn offensichtlich gesucht hatte:
„Professor Bergman! Ich wollte Sie sprechen…“
„Ja, Erin?“
Er betrachtete die junge Frau voller Sympathie und Wohlwollen. Ihr langes Haar war zu einem Zopf geflochten, der über ihrer Schulter lag und von ihr von Zeit zu Zeit schwungvoll auf den Rücken befördert wurde. Hinter funkelnden Brillengläsern strahlten intelligente, lebendige Augen.
„Sie müssen Dr. Russell zurückbringen, Professor. Wir brauchen sie hier und…“
Erin sprach nicht weiter, aber die Sorge um ihre angebetete Chefin war ihr ins Gesicht geschrieben.
Victor legte ihre lächelnd eine Hand auf die Schulter:
„Wir werden Helena und den Commander wiederbringen, keine Sorge.“
Damit ging er voller Unruhe weiter, während Erin wieder zurück ins Medical Centre eilte.
Der Flug nach CALDARAN dauerte vier Stunden, danach war die Verbindung abgebrochen. Bedingt durch die seltsame Krankheit waren sie reichlich spät dran für eine Rettungsmission. Was war mit John und Helena passiert?
Wenige Minuten später startete Adler 4 mit nur drei Leuten an Bord. Alan Carter, als Pilot und einem Mann namens Merriweather als Copiloten. Tom Merriweather war eigentlich Wachoffizier, hatte aber noch aus seiner Kadettenzeit einige Flugerfahrung, also würde er den Adler zur Not auch wieder zurückfliegen können, sollte Alan etwas zustoßen. Oder, im schlimmsten Fall, Adler 1 zur Basis zurückbringen. Im Passagierabteil saß ein einsamer Victor, der die Daten des Planeten überprüfte und voller Unruhe war, was dem gleichmäßigen Schlag seines künstlichen Herzens widersprach. Vier Stunden. Es war ein langer Flug, wenn man sich um zwei Freunde sorgte.
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CALDARAN war ein kleiner, fast idyllischer Planet, auch wenn er über wenig Sonnenlicht verfügte und zumeist ein schwaches Dämmerlicht vorherrschte. Trotzdem war er von einer zufrieden stellenden Vegetation bedeckt und Wasser war reichlich vorhanden. Leben war festgestellt worden, aber es war nur primitiv, es konnte sich nur um Insekten oder Reptilien handeln. Er wirkte, als würde gerade die Sonne aufgehen, die geheimnisvolle Stunde vor dem Erwachen allen Lebens.
Alan entdeckte Adler 1 sofort und suchte rasch eine gute Stelle, um in der Nähe landen zu können.
„Wir gehen runter, Professor. Der Adler scheint intakt zu sein, auch sonst kann ich nichts feststellen, hoffen wir, dass wir nicht zu spät kommen.“
Victor nickte und begann seine Instrumente zusammenzupacken. Wenn sie sich nur endlich auf die Suche machen konnten, dann würde er sich ein wenig besser fühlen.
Adler 4 senkte die Nase, bereitete die Landung vor und setzte mustergültig auf. Alan vermisste schmerzlich Johns kameradschaftlichen Kommentar und öffnete seufzend seine Gurten. Merriweather war ein wortkarger Klotz, der seine Meisterleistung noch nicht einmal bemerkt zu haben schien.
Hoffentlich fanden sie den Commander und Dr. Russell wohlbehalten wieder, in der jetzigen Situation war etwas anderes als das unvorstellbar.
„Paul? Hier ist Alan. Könnt ihr mich hören?“
„Alan? Ja, wir können euch hören, klar und deutlich. Glücklicherweise… hoffentlich findet ihr den Commander und Dr. Russell. Viel Glück! Paul Ende.“
„Danke Paul. Das können wir brauchen. Ende.“
Alan warf einen fragenden Blick auf Victor, bevor er die Schleuse öffnete. Der nickte:
„Die Atmosphäre entspricht in etwa der der Erde, wenn sie auch über etwas weniger Sauerstoff verfügt, aber es sollte genügen. Die Gravitation ist deutlich höher, das werden sie beim Landen ja bemerkt haben.“
Alan öffnete mit einem neuerlichen Seufzer die Schleuse und starrte in das Dämmerlicht. Er hatte die Schwerkraft doch perfekt ausgeglichen und war trotzdem sauber gelandet. John hätte das zu schätzen gewusst, hoffentlich lebte er noch. Carter fühlte einen eisigen Schauer über seinen Rücken kriechen, als sie über die Rampe den Boden von CALDARAN betraten und von der Gravitation fast zu Boden gezogen wurden. An die würde man sich gewöhnen können, an den Verlust von Commander und Chefärztin niemals, dessen war er sich sicher und seine Angst wuchs ins Unermessliche.
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Der schweigsame Merriweather stieß einen erleichterten Seufzer aus:
„Wie zu Hause.“ Freute er sich.
Alan und Victor betrachteten ihn überrascht, Victor erholte sich zuerst von seiner Verblüffung:
„Wie meinen Sie das, Tom, Sie kommen doch aus Cleveland, oder?“
Der wortkarge Wachoffizier schien regelrecht aufzublühen:
„Mein Vater war aus Cleveland, meine Mutter stammte aus Finnland und dort bin ich auch aufgewachsen. Dieses Dämmerlicht erinnert mich an meine Heimat. Ich würde gerne hier bleiben.“
Alan musterte ihn fassungslos:
„Zuerst müssen wir Commander Koenig und Dr. Russell finden, dann werden wir weitersehen. Vorläufig ist dieser Planet für mich keine Heimat, sondern ein bedrohlicher, gefahrvoller Ort.“
Merriweather zuckte seine Achseln und verfiel in seine gewohnte Schweigsamkeit. Victor schüttelte ein wenig den Kopf, dann machten sie sich gemeinsam auf die Suche nach den Vermissten.
CALDARAN wirkte friedlich und nach wenigen Minuten setzte ein sanfter Gesang ein, der an das Lied einer irdischen Nachtigall erinnerte. Die drei Männer wurden kurz von einem Gefühl der Rührung überwältigt. Laut Scanner sollte es hier gar keine Vögel geben, aber das sanfte, melodische Lied verursachte die unterschiedlichsten Empfindungen. Victor musste plötzlich daran denken, dass es ein schöner Ort wäre, sein Leben zu beenden…..Dann rief er sich gewaltsam zur Ordnung und schalt sich einen Narren. John und Helena waren viel zu jung und zu wichtig um zu sterben. Allein die Vorstellung, seinen einstigen Schüler und Schützling zu überleben, erfüllte Victor mit heimlichem Grauen. An Helena wollte er gar nicht denken. Aber vorläufig gab es keine Spur von den Beiden.
Alan rief nun schon zum dritten Mal Paul, seit sie den Planeten betreten hatten und die Verbindung funktionierte klaglos. Leider konnte Paul ihnen auch nicht weiterhelfen, da auch die Scanner von Alpha nichts feststellen konnten. Die Entfernung war einfach zu groß für so eine exakte Messung. Was war mit dem Commander und Dr. Russell nur geschehen? Alan trieb die anderen beiden zu größerer Eile an. John war für ihn mehr als ein Vorgesetzter, er war ein Freund, ein Mann zu dem er aufsah, dem er vertraute, seinen Tod wollte und konnte er nicht einmal in Betracht ziehen. Alan wurde gelegentlich wegen seiner unerschütterlichen Loyalität gutmütig aufgezogen, aber das berührte ihn gar nicht. Er war weit davon entfernt ein hirnloser Befehlsempfänger zu sein, aber John Koenig war jemand, für den er durch jedes Höllenfeuer gegangen wäre.
Merriweather schien sich keine großen Gedanken zu machen, sondern nur sehr aufmerksam die Umgebung abzusuchen. In Wirklichkeit dachte er an die Chefärztin, die er mehr schätzte, als jeden anderen auf der verdammten Basis, die er als ein schreckliches Gefängnis empfand. Tom war in einer wilden, urwüchsigen Landschaft aufgewachsen und fühlte sich auf Alpha eingesperrt wie ein gefangenes Tier. Selbst von ruhiger, phlegmatischer Wesensart, war ihm der aufbrausende, temperamentvolle Commander eher ein wenig unheimlich. Umso mehr schätzte er die ausgeglichene freundliche Helena und er hatte sich oft im Stillen gefragt, was sie an einem Mann wie Koenig finden konnte. (Natürlich hielt er Koenig für einen fähigen Kommandanten, so eine Beurteilung stand ihm seiner Meinung nach auch gar nicht zu.)
So hing jeder seinen Gedanken nach, als sie die übersichtliche, einladende Halbdunkel – Landschaft von CALDARAN durchkämmten. Die Scanner meldeten kein menschliches Lebenszeichen, aber keiner der Drei dachte ernsthaft daran, aufzugeben.
Es wurde langsam immer später und das Licht wurde noch ein wenig dunkler, bald würde es Nacht werden. Victor wischte sich den Schweiß von der Stirn und sah sich hoffnungslos um:
„So weit können sie gar nicht gegangen sein, in der kurzen Zeit.“
Alan schüttelte heftig den Kopf:
„Sie haben immerhin 10 Stunden Vorsprung, wer weiß, wo sie sich befinden.“
Victor wandte den Kopf und sie sahen sich einen Augenblick in die Augen, dann senkte der Pilot den Kopf. Er wusste sehr wohl, dass John sich niemals so weit vom Adler entfernen würde, außer.. Keiner wollte diesen Gedanken zu Ende denken.
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Als es bereits stockdunkel war und keiner mehr, ohne Scheinwerfer, die Hand vor Augen sehen konnte, hatten Victor und Alan einen kleinen Wald erreicht. Merriweather war schon vor Stunden zurückgekehrt, um einen Adler zu holen. Auf der kleinen Lichtung vor dem Wald war, per Commlock, der Treffpunkt vereinbart worden und Victor wollte gerade seinem Herzen Luft machen und die schreckliche Befürchtung aussprechen, als sein Scanner schwache humanoide Lebenszeichen meldete.
„ALAN! Ich habe sie empfangen. Sie müssen gleich hier in der Nähe sein.“
Gemeinsam stürzten sie in das dichte Geäst, ohne auf Uniform oder Haut Rücksicht zu nehmen.
Alan warf sich voran und brach wie ein Bulldozer durch das widerstrebende Gehölz:
„COMMANDER!! DR. RUSSELL!!!“
Endlich! Auf einer kleinen freien Fläche neben einem dornigen Busch lagen zwei Gestalten, die der Scheinwerferkegel sogleich erfasste.
Commander Koenig und Dr. Russell lagen nebeneinander, bewusstlos, ihre Uniformen waren beschädigt, aber sie schienen unverletzt, wenn auch völlig erschöpft zu sein. Sie hielten sich krampfhaft an den Händen und zwischen ihnen, behütet wie ein Schatz, lag ein seltsames wertvoll erscheinendes Artefakt, das Victors Aufmerksamkeit auf sich zog, nachdem er sicher war, dass John und Helena am Leben waren.
Während sie sich noch um die Bewusstlosen bemühten, hörten sie die Triebwerke des Adlers, der eben schwerfällig auf der Lichtung aufsetzte. Alan rief Merriweather per Commlock, der versprach mit einer Trage zu kommen.
Währenddessen kam der Commander zu sich. Er öffnete seine Augen und blickte verständnislos in Victors und Alans lächelnde Gesichter.
„Wo bin ich? Was ist passiert? Helena!“ Er richtete sich mit einem Ruck auf.
„Ruhig, John. Helena geht es gut, sie ist hier. Was ist euch passiert?“
John entspannte sich ein wenig, nachdem er sich sorgenvoll über Helena gebeugt hatte und gesehen hatte, dass sie atmete:
„Ich weiß es nicht. Meine Erinnerung endet mit der Ankunft auf CALDARAN. Ich kann mich nicht erinnern, was hier geschehen ist.“
John betrachtete fassungslos seine zerrissene Uniform und die Helenas, dann entdeckte er das Artefakt:
„Und was ist DAS hier?“
Victor lächelte:
„Wir hatten gehofft, das könntest du uns erklären.“
John schüttelte Stirn runzelnd den Kopf und wollte noch etwas sagen, als Helena sich bewegte:
„John?“
„Ich bin hier, Helena. Wie geht es dir?“
Sie lächelte schwach und versuchte sich zu bewegen:
„Ich habe das Gefühl, als hätte ich einen Marathonlauf hinter mir, aber sonst scheint alles in Ordnung zu sein, aber was..“
Commander Koenig hob sie vorsichtig an und bettete ihren Kopf an seine Schulter:
„Hast du eine Erinnerung, was mit uns geschehen ist?“
Die Ärztin legte nun ebenfalls ihre Stirn in Falten und dachte angestrengt nach, dann schüttelte sie verwundert den Kopf:
„Nein, John. Ich weiß gar nichts mehr.“
In diesem Moment kam der atemlose Merriweather mit einer Nottrage und ein Lächeln der Erleichterung glitt über sein Gesicht, als er die beiden wohlauf sehen konnte. Er schenkte der bewunderten Chefärztin einen strahlenden Blick, den sie etwas müde, aber freundlich erwiderte. John hatte den anbetenden Blick des Wachoffiziers wohl bemerkt und fühlte ein wenig Amüsement, trotz der unerklärlichen Situation. Es war ihm bewusst, wie viele Männer auf Alpha ihn um ihre Liebe beneideten und es verging kein Tag, an dem er nicht dankbar dafür war, diese zu besitzen.
Aber die Wirklichkeit holte ihn ein und verwehte die zärtlichen Gedanken wie ein rauer Windstoß.
Alan und Tom bestanden darauf, Helena zum Adler zu tragen, aber sie wehrte sich so lange dagegen, bis auch John und Victor darauf beharrten. Dann erst gab sie nach und setzte sich widerstrebend auf die Trage:
„Ich bin nicht krank, John. Ich kann selber gehen, so wie du.“
Er warf ihr einen bittenden Blick zu, der sie letztlich überzeugte. Einem befehlenden John setzte sie gerne ihren Widerspruchsgeist entgegen, einem sanften war sie hilflos ausgeliefert.
Die kleine, glückliche Karawane setze sich in Bewegung, das Artefakt ruhte wohl und sicher neben Helena auf der Trage..
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Alan startete den Adler und flog ihn zum Landeplatz von Adler 1, wo er umstieg. Er würde mit ihm zur Basis zurückkehren, während John sich wieder gut genug fühlte, Adler 4 mit Merriweather zurückzufliegen. Helena saß mit Victor im Passagierabteil und sie führten eine angeregte Unterhaltung, wobei Victor beständig ihre Hand hielt, als hätte er Angst, sie doch noch zu verlieren.
Als John sich mit Paul in Verbindung setzte, war die Freude groß, nicht nur in der inzwischen wieder voll besetzten Main Mission, sondern auf der gesamten Basis. Erin Kendall vergoss ein paar heimliche Tränen, als sie erfuhr, dass ihre verehrte Chefin zurückkehren würde……
Commander Koenig landete routiniert und sicher, dann sprang er aus dem Pilotensitz. Er hatte das Gefühl, wieder zu Hause zu sein. Helena wartete schon auf ihn an der Tür zum Cockpit und er legte seinen Arm um sie. Sie waren wieder da und sie waren gesund, was immer auch da unten passiert war. Victor nahm das Artefakt und trug es zur Schleusentür, wo Helena und John bereits auf den Druckausgleich warteten.
Als die Tür mit einem Zischen auf glitt, harrten bereits mehrere Alphaner auf die Vermissten und sie wurden voller Erleichterung begrüßt. John wandte sich lächelnd an Victor:
„Bring das Artefakt ins Labor, Victor, wir müssen alles darüber herausfinden. Vielleicht sagt es uns mehr über CALDARAN, als wir entdecken konnten.“
Helena löste sich von ihm:
„Ich muss sofort in die Krankenstation und da möchte ich dich heute auch noch sehen, ja?“
Sie sahen sich einen Moment in die Augen, dann wurden sie von ihren jeweiligen Pflichten in Anspruch genommen und mussten sich trennen.
Victor brachte das geheimnisvolle Artefakt ins Labor und begann sofort mit der Untersuchung.
Helena begrüßte die aufstrahlende Erin und ließ sich sofort einen Bericht geben. Die Krankheit, die die Energiewolke ausgelöst hatte, war überstanden und alle waren wieder wohlauf. Auch der Scan ihrer eigenen Person ergab nichts Abnormales, also konnte die Chefärztin sich wieder ihrer Arbeit zuwenden. Sie nahm vor ihrem Computer Platz und fühlte voller Unbehagen, wie eine schreckliche lähmende Erschöpfung von ihr Besitz ergriff. Helena hatte das Empfinden, als hätte sie eine furchtbare Zeit hinter sich, die seltsamerweise keine messbaren Spuren hinterlassen hatte..
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Commander Koenig hatte sich sofort in die Main Mission begeben, wo er sich vom Kommandostab einen vollständigen Bericht vorlegen ließ. Nachdem er alles überprüft hatte, zog er sich mit dem Bericht in die Abgeschiedenheit seinen Büros zurück und verschloss die Tore. Alles lief wieder wie gewohnt und er konnte zufrieden sein. Aber als er sich in seinen Sessel setzte, wurde er von einer solchen Niedergeschlagenheit erfasst, als wäre er völlig ausgehöhlt und kraftlos. CALDARAN.. was war dort nur passiert?
John erhob sich mühsam und beschloss, in die Krankenstation zu gehen. Vielleicht konnte Helena ihm helfen.
Der Gang erschien ihm viel länger als gewöhnlich und nach kurzer Zeit stand ihm der Schweiß auf der Stirn. Commander Koenig bedeckte die Augen kurz mit seiner Hand. Als er sie wieder öffnete, befand er sich in einem felsigen stollenartigen Tunnel, der tief unter der Erde zu sein schien. Er ERINNERTE sich an die Dunkelheit und fühlte Furcht, die ihn wie mit eisigen Klauen zu erfassen schien…
Lachen drang an sein Ohr… er war 18 Jahre alt, voller Temperament und Leidenschaft, und er flog ein schnelles kleines Raumschiff, ein einfaches Modell und wenig effektiv, aber leicht zu fliegen und ungemein wendig… einen SPERBER, der Vorläufer der viel weiter entwickelten FALKEN……
John kam schaudernd zu sich. Die Kälte des Ortes war ihm vertraut, er war gefangen, aber…
„Commander? Kann ich Ihnen helfen?“
Koenig blinzelte im hellen Licht der Gangbeleuchtung, er war zu lange unter Tage gewesen, WIE LANGE??
Der Techniker berührte vorsichtig die Schulter seines Kommandanten:
„Geht es Ihnen gut, Commander? Sie befinden sich vor der Krankenstation, vielleicht sollten Sie…….“
John stürzte erleichtert durch die Tür, die der Techniker mit seinem Commlock geöffnet hatte.
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Dr. Helena Fields saß in der Kantine der Space Commission und trank einen Kaffee, als ein attraktiver, dunkelhaariger Mann sich ihr vorsichtig näherte.
„Dr. Fields?“
„Bitte?“
„Mein Name ist Lee Russell, ich bin Astronaut und…..“
„Ja?“
„Nun, Dr. Shaw schickt mich zu Ihnen, da er leider verhindert ist. Er dachte, ich könnte Ihnen statt ihm Gesellschaft leisten.“
Er machte eine etwas hilflose Geste und schenkte ihr ein entwaffnendes Lächeln, das ihr Herz weit öffnete.
„Also, Mr. Russell, wenn Dr. Shaw Sie zu seinem Stellvertreter bestimmt hat, dann setzen Sie sich zu mir und retten Sie meinen Abend…..“
Es war kalt. Helena ERKANNTE die Kälte, sie war gefangen, es war feucht und Tonnen von Fels schienen sie zu umschließen… Wo war Lee?
Kräftige Hände berührten ihre Schultern…….
John? JOHN! Helena fühlte seine Uniform und seufzte erleichtert auf:
„John, bist du hier?“
John zog sie fest in seine Arme:
„Helena… was geschieht mit uns?“
Sie vergrub ihr Gesicht an seiner Brust und stöhnte:
„Ich weiß es nicht, aber haben wir CALDARAN nun verlassen, oder nicht? Ich weiß es nicht mehr, ich habe schreckliche Visionen, die Kälte, John, wo sind wir?“
„Weißt du denn, was auf CALDARAN passiert ist?“
„Nein, aber jetzt kommen Erinnerungen und ich habe das Gefühl, als wäre ich viele Jahre gefangen gewesen.“
John fühlte, wie er erstarrte. Das deckte sich mit seinen Empfindungen, auch er hatte das Gefühl, sein halbes Leben in Gefangenschaft verbracht zu haben. In einem feuchten, kalten Verlies, tief unter der Erde.
Sie klammerten sich aneinander, und wehrten sich verzweifelt gegen das Gefühl, sich zu verlieren…
Dr. Russell hatte die Untersuchung abgeschlossen und betrachtete zufrieden Johns Werte. „Soweit ist alles in Ordnung, John. Wie fühlst du dich?“
John lächelte:
„Danke, ich bin nur etwas erschöpft, sonst geht es mir gut.“
Helena betrachtete ihn nachdenklich:
„Wir sollten uns etwas ausruhen, John. Hast du etwas dagegen, heute etwas früher schlafen zu gehen, wir haben es wohl beide verdient.“
„Da bin ich ganz deiner Meinung, Helena, ich bin müde.“
Sie lächelten sich an, dann fragte John zärtlich:
„Kommst du zu mir, oder…?
Helena legte den Kopf in den Nacken und streichelte mit einer Hand seine Wange:
„Ich komme in einer Stunde, bis dahin bin ich fertig.“
Koenig küsste ihre Finger, dann wandte er sich um:
„Ich gehe nur noch einmal zur Main Mission wir treffen uns in einer Stunde.“
Der Commander eilte über den Gang und wunderte sich über die Unruhe, die er dabei empfand.
:-:-:-:-:
Helena beugte sich lächelnd über ihren Computer, um die letzten Berichte nachzutragen und Ergebnisse zu notieren.
Sie sah Erin, die sich mit Mathias unterhielt und zu ihr herüberschielte. Dr. Russell konnte sich vorstellen, dass die beiden besorgt waren und war gerührt. Da vernahm sie laut und deutlich Erins Worte:
„Natürlich weiß SIE genau Bescheid, es hat schließlich so seine Vorteile, mit dem Commander ins Bett zu gehen…“
Helena erstarrte. So etwas konnte Erin nicht gesagt haben und Dr. Mathias konnte nicht zustimmend dazu genickt haben. Auf einmal sah sie überall lauernde und wissende Blicke, sie musste weg hier, zu John…
„Dr. Fields!“
Helena fuhr lächelnd herum und sah in Lees warme dunkle Augen:
„Mister Russell? So schnell sehe ich Sie wieder? Ich dachte, ich hätte Sie gestern in die Flucht geschlagen?“
Lee schenkte ihr ein zärtliches Lächeln:
„So schnell gebe ich nicht auf. Außerdem habe ich die Hoffnung, Ihnen nicht ganz unsympathisch zu sein.“
Helena kam auf ihn zu:
„Nun, diese Hoffnung lasse ich Ihnen, Mister Russell.“
„Und reicht sie aus, um heute Abend mit mir auszugehen, die Sympathie, meine ich.“
Seine Höflichkeit und seine Art ihr vorsichtig den Hof zu machen, hatten Helenas Herz längst erobert, aber so leicht wollte sie es ihm nicht machen, sie…
Helena stürzte auf den Gang und fühlte wieder die eisige Kälte, die sie erfasste und das schreckliche Gefühl, dass die Erinnerung an Lee das letzte war, was sie hatte…
:-:-:-:-:
John befand sich in der Main Mission und betrachtete CALDARAN auf dem Bildschirm, als Victor an ihn herantrat:
„Wann starten wir nun Operation Exodus, John?“
Der fuhr herum:
„Operation Exodus? Wie kommst du darauf? Wir wissen doch noch immer nicht, was hier passiert ist, wir können auf keinen Fall in Betracht ziehen, diesen Planeten zu besiedeln, bevor….“
Victor lächelte:
„Nun beruhige dich doch John. Ich habe alle Untersuchungen durchgeführt, es gibt keine Gefahren auf CALDARAN, er wartet nur auf uns. Du hast ihn für uns entdeckt und erforscht, jetzt können wir endlich…“
John packte Victors Schultern:
„Rede keinen Unsinn, Victor! Du kannst noch gar keine Ergebnisse haben und weder Helena noch ich haben irgendwelche Erinnerungen, wir... “
Alan pflanzte sich plötzlich vor ihm auf:
„Was haben Sie auf einmal, Commander? Wir haben uns schließlich selbst ein Bild von CALDARAN gemacht und er scheint ein idealer Ort für uns zu sein.“
John fühlte wieder die eisige Kälte, als er Alan bei den Schultern packen wollte:
„Ich habe keinen Befehl gegeben, und ich werde das auch nicht tun!“
Paul kam näher:
„Wir werden Ihnen das Kommando entziehen müssen, wenn Sie so irrational reagieren.“
John stürmte auf ihn zu:
„Sie werden mir weder das Kommando entziehen, noch werden Sie irgendwelche Entscheidungen treffen. CALDARAN steht vorläufig nicht zur Debatte und dabei bleibt es.“
Victor mischte sich begütigend unter die Kontrahenten:
„John, John! Beruhige dich doch. Alan, Paul, hört doch auf. Wir sind alle etwas nervös. John, du solltest dich wirklich ausruhen, dann besprechen wir alles noch einmal.“
Commander Koenig sah die heimlichen Blicke, die sie untereinander tauschten und wusste, dass er die Kommandozentrale unter keinen Umständen verlassen durfte, aber die Kälte und die Erschöpfung drohten ihn zu überwältigen, so war er noch angreifbarer, es war tatsächlich besser, wenn er ausgeruht war.
Am Gang empfing ihn wieder das furchtbare Gefühl der Einsamkeit und der Verlorenheit, wo war nur sein Quartier, wo war Helena…
Ein volles, sinnliches Lachen schien seine Gedanken zu vernebeln und er fühlte sich gefangen in einer weichen, leidenschaftlichen Umarmung. Er war jung, vielleicht zwanzig und er war dabei den Verstand zu verlieren an diesem herrlichen Körper, mit dieser feurigen zielstrebigen Frau… Diana…
John erschauerte vor Entsetzen, wo war er nur? Helena… er hatte das entsetzliche Gefühl, für immer von ihr getrennt zu sein…
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Helena fühlte, wie die Liebe zu Lee ihr ein Gefühl des Glücks und der Schwerelosigkeit verlieh, das sie nie wieder missen wollte. Sie schien zu schweben und alle Sorgen und Probleme waren so weit…
Nur die Kälte wollte nicht weichen, die Kälte und ihre verzweifelte Sehnsucht nach John...
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Commander Koenig hatte endlich sein Quartier erreicht und betätigte mit zitternden Fingern seinen Commlock, um die Türe zu öffnen. Erst, als diese sich hinter ihm geschlossen hatte, fühlte er sich etwas besser. Helena kauerte auf seinem Bett und hatte ihren Kopf auf ihre verschränkten Arme gelegt.
John fühlte ein wirres Gemisch aus Erleichterung, Verlustangst, Sehnsucht und Begehren, das ihm den Atem raubte:
„Helena!“
Helena hob ihren Kopf und stürzte von seinem Bett auf ihn zu und sie umklammerten sich, als wären sie eine Ewigkeit getrennt gewesen. Sie küssten sich, als wären sie am Verdursten und versuchten etwas zu halten, was ihnen trotz aller Bemühungen durch die Finger glitt. Selbst als sie sich liebten, hatte es etwas Verzweifeltes, als wäre es das letzte Mal und sie konnten ihre vertraute Nähe einfach nicht mehr erreichen, auch wenn sie noch immer das Gefühl hatten, sich unendlich zu lieben.
Die Kälte kam wieder, danach, und sie hielten sich fest, um sich zu wärmen und sich ihrer beider Gegenwart zu versichern.
„John, ich habe das Gefühl, als wäre ich gefangen, in einem schrecklichen kalten Verlies und du wärst dort ebenfalls gefangen, aber durch eine meterdicke Felswand von mir getrennt…“
John zog sie fester an sich:
„Ich habe auch so eine ähnliche Erinnerung Helena, aber das kann doch nicht stimmen. In meiner Vorstellung bin ich seit unzähligen Jahren eingesperrt und träume von meiner Jugend, um mich bei Verstand zu halten.“
Helena fühlte, wie zwei schwere Tränen über ihre Wangen liefen:
„Ich wollte das nicht aussprechen, John, aber das ist auch in meinen Gedanken. Die Erinnerung an ewige Gefangenschaft und die Trennung von dir.“
„Aber wir sind doch hier Helena. Hier auf Alpha!“
„Bist du sicher John? Oder träumen wir das nur, weil wir es uns so verzweifelt wünschen?“
„Helena, bitte, du darfst so etwas nicht denken. Wir… ich brauche jetzt meinen ganzen Verstand, die Mannschaft steht knapp vor einer Meuterei. Ich werde all meine Kraft benötigen und meine ganze Autorität, ich darf nicht schwankend oder unsicher werden.“
Dr. Russell gab ein leises Schluchzen von sich:
„John, auch auf der Krankenstation waren die Leute so eigenartig, Erin hat etwas sehr Hässliches gesagt und Bob… hat ihr Recht gegeben, er war auf ihrer Seite. Ich habe Angst, John!“
„Wir dürfen nicht schwach werden, Helena! Es ist CALDARAN, der Planet oder irgendwelche unbekannten Bewohner, die unsere Leute - und wahrscheinlich auch uns – beeinflussen. Wir müssen vernünftig bleiben und versuchen, die Lage wieder in den Griff zu bekommen. Du musst Erin scannen und Bob, unauffällig und überprüfen, ob sie irgendwie verändert sind. Danach sehen wir weiter.“
Helena zitterte vor Angst und Kälte und John versuchte vergeblich sie zu wärmen, da dieselbe Kälte auch sein Innerstes gefrieren ließ:
„Versuch ein wenig zu schlafen, wir werden all unsere Energie brauchen.“
Helena träumte von Lee. Sie waren in einer verschlafenen kleinen Bar und lauschten einem Pianisten, der melancholische Blues–Musik spielte. Lee hielt ihre Hand und sah sie liebevoll an und sie versank in seinen dunklen Augen. Sie wünschte, die Zeit könnte stehen bleiben, für immer, aber die nagende Sorge um John, ließ sie angstvoll aus dem Fenster sehen. Draußen regnete es und das Prasseln des Regens vermischte sich mit dem Klavier und das Geräusch hämmerte auf ihren Nerven ein wildes Stakkato. Es wurde kalt...
„Lee. Ich habe solche Angst…“
Lee betrachtete sie mit einem Ausdruck tiefster Trauer:
„Ich weiß, mein Liebling.“
Helena erstarrte. Das konnte nicht stimmen, so hatte Lee sie erst nach ihrer Hochzeit genannt, viel später, nicht schon so früh.
„Lee, bitte, was geschieht hier…“
Seine Züge verschwammen und Helena erblickte Johns schlafendes Gesicht. Ohne zu wissen warum, brach sie in verzweifelte Tränen aus.
:-:-:-:-:
John starrte auf einen schwarzen Sarg, der langsam und ruckelnd in die Erde glitt. Er hatte sich kaum um diesen Krieg gekümmert, er war viel zu sehr mit seinen Forschungen und Missionen beschäftigt gewesen, das Weltall war so sehr seine Heimat geworden, dass er die Erde darüber beinahe vergessen hatte.
Für Jean war es anders gewesen. Frieden und Freiheit für alle Völker auf der Erde, waren ihr Lebensinhalt gewesen und er hatte sie dabei wohl viel zuwenig unterstützt.
Und jetzt war sie tot und der Schmerz raubte ihm beinahe den Verstand. Es gab nichts mehr gutzumachen, nichts mehr zu sagen, oder zu verbessern. Der Tod setzte die Grenzen und bestimmte die Regeln, für ihn gab es nichts mehr zu tun, nichts…
Er fühlte eine Hand auf seiner Schulter und wandte sich mit trüben Augen um, es war Victor, Victor, sein Freund, der nun womöglich seine Absetzung plante.
Kälte umschloss ihn von neuem und er versuchte, seinen Schlaf festzuhalten, um seine Erschöpfung zu bekämpfen, aber je mehr er träumte, desto größer wurde seine Ermattung.
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Der Morgen kam viel zu früh und John und Helena erhoben sich mit bleiernen Gliedern.
Sie schienen sich noch immer nicht erholt zu haben und ihre schaurigen Erinnerungen an eine endlos lange Gefangenschaft, raubten ihnen Energie und Lebensmut.
John kleidete sich an und begab sich sofort zur Main Mission, nachdem er sich von Helena verabschiedet hatte, als würde er sie nie wieder sehen.
Helena ging angstvoll und mit bösen Vorahnungen zur Medical Section, wo sie Erin und Bob unauffällig untersuchen wollte.
Erin erwartete sie mit einem abschätzigen Lächeln. Helena hatte so einen Ausdruck noch nie in dem vertrauten und geliebten Gesicht gesehen und hätte ihn dort auch nie vermutet, es war fremd und bedrohlich.
„Nun Helena“, begann Erin kalt und respektlos, „warum wollen Sie und der Commander uns den Weg zu CALDARAN verbieten? Wir waren lange genug auf Alpha, jetzt ist es endlich soweit und eine neue Ära wird anbrechen. John Koenig war ein guter Commander, bis jetzt, aber nun ist seine Zeit abgelaufen und wir werden uns umorientieren müssen. Er hat in seinem Beschützerwahn wohl den Verstand verloren und will uns wie unmündige Kinder auf der Basis und unter seinem Kommando halten, aber das ist jetzt vorbei. Sie waren immer hündisch auf seiner Seite, Helena, aber wir lassen Ihnen die Wahl. Kommen Sie mit uns und wir werden Sie bei uns aufnehmen.“
„Erin! Das ist Meuterei, was Sie da sagen. Kommen Sie zu sich, das müssen die Nachwirkungen dieser Energiewolke sein, die uns krankgemacht hat, oder es ist CALDARAN selbst, lassen Sie sich untersuchen und ich werde Ihnen helfen, ich…..“
Erin schnitt ihr das Wort ab:
„Entweder Sie sind für uns oder gegen uns, Helena. Etwas anderes gibt es nicht. CALDARAN ist nur mehr zwei Tage in unserer Reichweite und wir werden heute mit der Evakuierung beginnen.“
Helena fühlte wieder die Kälte, die sie ihrer Kraft beraubte, aber sie riss sich zusammen:
„Bob. Begreifen wenigstens Sie, worum es geht? Meuterei ist ein schweres Vergehen, Sie…“
Dr. Mathias war in ein grobes Gelächter ausgebrochen:
„Ein schweres Vergehen? Vor welches Kriegsgericht wollen Sie mich denn bringen, Doktor? Und wenn ich mich nicht irre, ist der Commander bereits abgesetzt, dann gibt es auch keine Meuterei mehr.“
Helena packte voller Verzweiflung ihre Waffe, die in ihrer Schreibtischschublade lag. Sie richtete sie auf Erin:
„Ich befehle Ihnen, Ihre aufrührerische Haltung aufzugeben und wieder Ihren normalen Dienst aufzunehmen, sonst……“
Erin Kendall musterte sie spöttisch:
„Ihre Waffe ist auf „Töten“ eingestellt, Helena. Haben Sie den Mut zu schießen?“
Helena warf einen entsetzten Blick auf den Laser in ihrer Hand. Sie mochte keine Waffen und besaß diese nur, weil John darauf bestand. Sie hatte sie aus Prinzip nie auf „Töten“ eingestellt. Sie versuchte, die Schaltung auf „Betäuben“ umzustellen, doch der Riegel klemmte. Erins hämisches Lachen traf sie.
"Entweder Sie drücken gleich ab, oder Sie werden es bitter bereuen. Es ist Ihre Entscheidung, wählen Sie gut – und vor allem rasch.“
Helena wusste, dass sie das nicht tun konnte. Einen kurzen Moment lang versuchte sie die Fakten gegeneinander abzuwägen. Erin war sehr beliebt und würde viele Mannschaftsmitglieder auf ihre Seite ziehen können, wenn sie alle so besessen waren wie sie. Vielleicht gab es Menschen, die so etwas tun konnten, aber sie, Helena, gehörte nicht dazu. Die Waffe glitt aus ihrer Hand auf den Tisch und die Chefärztin ertrug regungslos Erins boshaftes Gelächter:
„Sie sind zu schwach, Helena. Und das werden Sie zweifellos bald bereuen.“
Seltsamerweise hatte auch Helena dieses Gefühl.
:-:-:-:-:
John hatte in der Main Mission die feindselige Stimmung sofort gespürt, sich aber nichts anmerken lassen. Er hatte sich zuerst an Victor gewandt, den er noch immer für vernünftiger hielt, als den Rest der Leute. Eine seltsame Besessenheit schien von der Mannschaft Besitz ergriffen zu haben und er fühlte sich noch immer so schwach und elend, nicht stark genug, um mit ihnen allen den Kampf aufzunehmen, aber er hatte keine Wahl.
„Victor. Du musst mir zuhören. Auf CALDARAN ist irgendetwas mit Helena und mir passiert, dieser Planet ist gefährlich. Wir können ihn nicht besiedeln, egal, was ihr jetzt fühlen und denken mögt. Du kannst keine Ergebnisse haben, Victor, du hast doch keine Daten.“
Victor betrachtete ihn milde:
„Das Artefakt, John. Es hat uns alle Daten geliefert, die wir brauchen und wir wissen, dass CALDARAN eine friedliche, rohstoffreiche Welt ist, die nur auf uns wartet.“
„Aber ihr habt uns doch gefunden, Victor, Alan! Warum denkt ihr, waren wir in so einem Zustand?“
Alan und Victor tauschten einen raschen Blick, dann antwortete der Professor:
„John. Was immer dir widerfahren ist, es war deine Schuld. Du hattest wohl einen Nervenzusammenbruch und bist nun einfach nicht mehr diensttauglich, das ist alles. Es wird dir sicher bald besser gehen, wenn wir erst auf dem Planeten sind, bis dahin, lass uns nur machen.“
John fasste unauffällig seine Waffe fester unter seiner Uniformjacke:
„Und Dr. Russell hat zeitgleich mit mir auch einen Nervenzusammenbruch erlitten?“
Paul trat ärgerlich näher:
„Lassen Sie endlich diese Spitzfindigkeiten, John. Sie haben ausgedient, sehen Sie das doch endlich ein. Wir brauchen Sie nicht mehr, Ihre Zeit ist einfach vorbei.“
John zog seine Waffe und wich an die nächste Wand zurück, um seinen Rücken frei zu haben. Seine Chancen standen schlecht, aber noch gab er nicht auf, er war noch immer für all diese Menschen verantwortlich, er würde sie nicht in ihr Verderben rennen lassen:
„Jetzt hören Sie mir alle genau zu. Niemand verlässt die Basis und niemand wird CALDARAN besiedeln, solange ich am Leben bin. Bis Dr. Russell herausgefunden hat, was mit euch allen los ist und was auf diesem Planeten mit uns geschehen ist, wird sich niemand von hier wegrühren.“
Einen Moment lang waren alle erstarrt und wussten nicht, was sie tun sollten.
Helena ging vor Erin und Dr. Mathias Richtung Main Mission. Sie sah nicht den hell erleuchteten Gang, sondern kalte, nackte Felswände, die sie für immer gefangen hielten…trotz allem fühlte sie überdeutlich den Lauf in ihrem Rücken.
:-:-:-:-:
Erin hatte Johns letzte Worte noch gehört, ebenso wie Helena, als sie die Main Mission betraten.
Die Assistentin packte Helena und zog sie grob an sich heran, Helena hatte keine Ahnung gehabt, wie stark diese war:
„Nun, John Koenig, lassen Sie die Waffe fallen, oder Helena stirbt.“
Commander Koenig fuhr zusammen und wandte sich an Erin:
„Hören Sie damit auf, Erin. Lassen Sie sofort Dr. Russell frei. Sie würden doch keinen Mord begehen.“
Erin hob die Waffe und drückte sie an Helenas Schläfe:
„Wollen Sie es ausprobieren, Commander?“
„NEIN! Nein! Bleiben Sie ganz ruhig. Ich gebe meine Waffe weg, aber lassen Sie Dr. Russell frei.“
John ließ seinen Laser fallen und hielt ihr seine gespreizten Hände entgegen.
Erin sah ihn an:
„Dr. Russell“, spottete sie, dann hob sie die Waffe gegen ihn und feuerte.
Helena schrie auf, als die volle Ladung Johns Herz traf. Er wurde zurückgeschleudert und stürzte zu Boden, ohne einen Laut von sich zu geben. Helena wusste zu genau, was das bedeutete, aber sie wollte es nicht glauben, konnte es nicht…
Erin hatte sie losgelassen und Helena taumelte durch den dunklen Gang auf John zu, fiel auf die Knie und kroch, seinen Namen flüsternd, näher. Sie ließ den kleinen Scanner, den sie immer bei sich trug, wieder und immer wieder über seinen Körper gleiten, auch wenn es nichts mehr zu messen gab. Johns Herz war zerstört, verschmort und der Großteil seines Blutes geronnen, hier gab es keine Hilfe mehr. Aber sie hielt seine Hand in der Ihren und suchte nach einem Puls, den es nicht mehr geben konnte, nie mehr.
Erin betrachtete mitleidslos, wie Helena sich von der gebildeten, zurückhaltenden Wissenschaftlerin in eine hilflose Beute des furchtbaren Schmerzes verwandelte, der sie ohne all die angelernten und anerzogenen Attribute zurückließ, nur mehr mit der letzten, reinsten Menschlichkeit, die normalerweise jedes andere Lebewesen rühren, berühren musste. Aber Erin war über diese Stufe längst hinaus:
„Warum hat er mich auch gefragt? Ich würde einen Mord begehen, wenn es nötig ist. Das ist der Unterschied zwischen uns beiden Helena. Sie haben die falsche Entscheidung getroffen und das hat ihrem Liebhaber nun das Leben gekostet. Was für ein Jammer.“
Helena war über Johns Leichnam zusammengebrochen und versuchte die schwindende Wärme in seinem Körper zu halten, mit dem irrealen Wunsch, mit der Körperwärme auch das Leben festhalten zu können.
Die Ärztin in ihr lieferte langsam und zäh die Daten, als flösse Honig durch ein feines Sieb. Die Zeit war stehen geblieben und die Kälte schien das ganze Universum zu durchdringen.
In ein paar Stunden würde die Totenstarre einsetzen, die Zersetzungsprozesse würden beginnen.
Von weit her erklang eine Stimme, Helena konnte sie nicht verstehen, alles war wie in Watte gepackt und sie wusste gar nicht, ob sie tatsächlich existierte. Das Echo schien von den Wänden zu tropfen und den Raum zu erfüllen. Warum hörte das nicht auf, sie wollte allein sein…
Erin packte mit einem Anflug von Mitgefühl Helenas verkrampfte Schultern:
„Doktor Russell. Reißen sie sich zusammen. Sie können ihm nicht mehr helfen, er ist tot und das wissen Sie.“
Helena versuchte sich gegen die Worte zu wehren, aber sie trafen wie spitze Pfeile in ihr Herz. Worte schufen eine furchtbare Realität, die unerträglich unter ihre Haut kroch und sie mit Feuer erfüllte, die Qual war unbeschreiblich…
Erin rüttelte sie unbarmherzig:
„Kommen Sie mit uns, Doktor Russell. Wir verlassen die Basis, Sie können nicht hier bleiben, wir nehmen alles mit, die Lebenserhaltenden Systeme werden nicht mehr arbeiten, Sie werden nicht überleben können.“
Helena starrte verständnislos in ihr Gesicht und schien sie gar nicht zu erkennen. Aber als Erin sie mit Gewalt hochheben und von John trennen wollte, kam Leben in sie und sie klammerte sich mit aller Kraft an den Leichnam. Schließlich gab Erin auf und wandte sich wütend ab:
„Dann sterben Sie eben auch, wenn Sie es unbedingt wollen, Sie Närrin!“
Damit ließ sie Helena endlich allein, was diese voller Erleichterung registrierte. Sie war endlich wieder allein mit John. Sie musste sich um ihn kümmern, er war so kalt. Er würde Wärme brauchen und Pflege, aber sie war ja da. Sie war für ihn da…
:-:-:-:-:
Helena hatte ihr Gesicht an Johns kalte Wangen geschmiegt und hörte wieder Stimmen, die nach ihr riefen. Warum ließen sie sie nicht in Ruhe, sie würden John aufwecken und er brauchte doch seinen Schlaf, er war krank…
„Dr. Russell? Wir kommen von der Space Commission. Sie müssen jetzt sehr stark sein. Die Jupiter – Sonde ist verschollen und ihr Mann Lee…“
Die Stimmen verhallten und Helena hielt sich verzweifelt die Ohren zu. Sie konnte nicht noch einmal verlieren, nicht noch einmal...
Helena hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, als sie eine vertraute Stimme vernahm. Sie erhob sich ein wenig von Johns kalter, stummer Brust und sah sich verwirrt um.
Lee saß neben ihr und sah sie mit einem Ausdruck namenloser Trauer an.
„Lee…“ Helenas Stimme kam wie aus einem tiefen Abgrund.
„Lee, bitte hilf mir.“ Die Hoffnungslosigkeit in ihrer Stimme schien den ganzen Raum zu erschüttern.
Lee streckte seine Hand nach ihr aus und Helena ergriff sie, aber sie konnte sich nicht entschließen, sich zu erheben. Sie lächelte Lee unter Tränen an:
„Ich möchte John nicht wecken, Lee. Bleiben wir hier.“
All diese furchtbaren Visionen und Träume waren einfach über sie hereingebrochen, Helena wollte nicht mehr zurück in die Realität, hier konnte sie nun auch mit Lee sprechen, als wäre er noch am Leben und für sie da.
Lee betrachtete sie voller Sorge:
„Helena, du musst zu dir kommen. Du musst stark sein, für John.“
Helena lächelte ihn an:
„Du kennst John doch gar nicht Lee, warum….“
„Helena! Du musst John retten, nur du kannst ihn retten, wenn du mir genau zuhörst.“
Helena betrachtete Johns wächsernes Gesicht und drückte seine eisige Hand an ihr Herz. Die Kälte schien es ebenfalls zum Erfrieren zu bringen:
„Bist du traurig, Lee, dass ich John liebe? Aber ich habe so lange um dich geweint und John war für mich da, immer… bis heute.“ Ihre Stimme brach.
Lee nahm ihre Schultern:
„Helena! Hör mir bitte zu. Es ist lebenswichtig, dass du mir genau zuhörst.“
Die Ärztin sah ihn erstaunt an, ihre Vision war ziemlich realistisch, wie sie fand.
„Die CALDARANER waren ein sehr zivilisiertes Volk, friedlich und wissbegierig, bevor ihre Sonne zu verglühen begann. Sie flohen unter die Erde in tiefe, steinerne Stollen, um die Katastrophe dort zu überleben. Sie warteten ab, in verschiedenen dunklen felsigen Gängen, als die Vorgänge auf der Oberfläche, die Eingänge einstürzen ließen und die CALDARANER für immer eingesperrt in den Tiefen der Erde zurückließ. Die CALDARANER kennen keine Sprache, sie verständigten sich rein telepathisch. Nach Jahren gelang es ihnen, eine Sonde durch einen schmalen Spalt an die Oberfläche zu befördern, in der Hoffnung, irgendeine intelligente Spezies würde den Planeten betreten, die Sonde finden und ihre Botschaft empfangen, um sie nach Jahren der Gefangenschaft endlich zu befreien.“
Helena stieß ein Seufzen aus:
„Dann war dieses Artefakt nur die Sonde, mit der die unglücklichen CALDARANER um Hilfe gefleht haben?“
„Ja. Leider seid ihr um hundert Jahre zu spät gekommen, alle CALDARANER sind längst tot und die Sonde erfüllt keinen Zweck mehr. Im Gegenteil, sie hat euch, da ihr der Telepathie nicht mächtig seid, den Alptraum eingepflanzt, selbst in den Höhlen gefangen zu sein und euch durch Träume von einer fernen Jugend bei Verstand zu halten. Und auf der Basis hat das „Artefakt“ die Leute so beeinflusst, dass sie unbedingt auf den Planeten wollen. Das war der Wunsch der CALDARANER, weil sie hofften, wenn jemand den Planeten betreten würde, würde er sie letztlich auch befreien.“
„Aber ist CALDARAN denn dann bewohnbar, eine Heimat für uns?“
„Nein, Helena. Die Sonne wird nun endgültig verglühen und den Planeten ohne Licht sterbend zurücklassen, als ein gewaltiges Grabmal für eine unglückliche Zivilisation.“
„Aber die Alphaner. Unsere Leute, sie sind alle unten und John... John ist tot.“
Lee sah sie wieder an:
„Du wirst nicht noch einmal so unglücklich sein, Helena, nicht, wenn ich es verhindern kann.
Du kannst Johns Leben retten, wenn du das Artefakt vernichtest, aber du musst es schnell tun, mein Liebling.“
Helena fühlte, wie ihr Herz sich schmerzlich zusammenzog:
„Lee. John ist seit Stunden tot, niemand kann ihm mehr helfen.“ Ihre Erstarrung und Verwirrtheit waren von ihr gewichen und hatten einer hoffnungslosen Verzweiflung Platz gemacht.
Lee sah sie an:
„Vertrau mir Helena und zerstöre das Artefakt! Damit kannst du den telepathischen Bann lösen.“
Helena hatte Johns Hand sanft auf dessen Brust gelegt und sie hatte sich schwankend erhoben:
„Bist du wirklich gekommen um mir, um John, zu helfen?“
Lee lächelte zärtlich:
„Du sollst nicht mehr leiden, Helena. Komm, zerstöre das Artefakt und sieh, was geschieht.“
Helena hatte Johns Laser aufgehoben und sich wieder aufgerichtet:
„Ich werde dich nicht wieder sehen, nicht wahr? Lee, ich…“
Lee hob beide Hände und legte sie auf Helenas Schultern. Er schwieg, aber seine Züge waren voller Bewegung. Helena schmiegte ihre Wange einen Augenblick an seine Hand, dann löste sie sich aus seinen Armen und wandte sich zur Tür…
:-:-:-:-:
Der Weg zum Labor, durch eine leere Basis, schien endlos zu sein und Helena musste gegen die Einsamkeit ankämpfen, die sie zu ersticken drohte, ihre eigene und die der unglücklichen CALDARANER, die ein schreckliches Schicksal für immer in die tiefen Katakomben ihrer Heimatwelt verbannt hatte.
Alles in Helena wehrte sich gegen die Zerstörung des letzten Rettungsankers der Telepathen, aber sie vertraute Lee und hoffte gegen jede Vernunft, dass es für John doch noch Hilfe geben würde und für die anderen, die auf einen sterbenden Planeten geflohen waren.
Helena hob ihren Laser und stellte ihn auf volle Energie. Dann drückte sie ab. Ein greller Strahl traf die Sonde und ließ sie zu einem formlosen Klumpen Metall verschmelzen und mit ihm den Hilfeschrei der CALDARANER, der sie unwissentlich beinahe ins Verderben gerissen hatte…
:-:-:-:-:
Professor Victor Bergman beugte sich über seine kugelförmige Schöpfung, an der er immer arbeitete, wenn er nervös war, oder tief in Gedanken. John und Helena waren nun schon seit Stunden überfällig und man hatte jeden Kontakt zu ihnen verloren. Aber das war eigentlich nur das Ende einer langen Reihe von Schwierigkeiten, die sie durchlaufen hatten.
Eigentlich hatte es ganz harmlos angefangen…
:-:-:-:-:
Helena erwachte auf CALDARAN. Sie lag in der Nähe des Adlers und hielt Johns Hand umklammert. Sie war warm und lebendig.
„JOHN!“
Helena schloss den Erwachenden heftig in ihre Arme und rief seinen Namen wieder und immer wieder.
John hatte das Gefühl, aus einem totenähnlichen Schlaf erwacht zu sein und genoss die stürmische Zärtlichkeit, mit der Helena ihn begrüßte.
Er nahm ihr Gesicht in seine Hände und küsste atemlos ihre tränenfeuchten Wangen und die zitternden Lippen, bis Helena sich vorsichtig von ihm löste.
„John. Wir können hier nicht bleiben. Wir müssen zurück.“
„Helena, hast du auch diese Erinnerungen, ich...“
„Ja, John. Auf dem Rückflug werde ich dir den Rest erzählen.“
Commander Koenig nickte und betätigte seinen Commlock:
„Koenig an Alpha, kommen Alpha.“
Ein überaus erleichterter Paul meldete sich:
„Commander! Wir vermissen Sie seit Stunden, Wo haben Sie gesteckt? Ist alles in Ordnung?“
„Ja, uns...“, er zögerte einen Moment, dann fuhr er fort, „..uns geht es gut. Aber CALDARAN ist eine sterbende Welt, wir kehren zurück zur Basis.“
Der Rückflug wurde sehr lange und stellte ihre verloren geglaubte Nähe völlig wieder her. John war sehr nachdenklich, als er den Adler landete.
Helena war überaus nervös und nahm an der Schleuse rasch Johns Hand:
„Ich habe Angst, Erin zu begegnen, John.“
John drückte sanft ihre kalten Finger:
„Helena. Nichts davon ist wirklich passiert. Daran müssen wir immer denken.“
„Bist du dir da so sicher?“
„Nein, keineswegs, aber wir müssen einfach daran glauben. Dann fällt es uns leichter.“
Helena schluckte, dann riss sie sich zusammen:
„Du hast ja Recht, John. Aber werden wir diese Erinnerungen jemals überwinden können?“
John wurde der Antwort enthoben, als die Schleuse auf glitt und Victor und Alan sie sofort mit Beschlag belegten. Sie zogen John fort Richtung Main Mission und Helena musste sich zur Krankenstation begeben, wovor sie zum ersten Mal Angst hatte.
Erin kam auf Helena zu und hatte Tränen in den
Augen, als sie ihre verehrte Chefin wohlbehalten wieder sah.
Die Chefärztin hatte beinahe ein schlechtes
Gewissen, als sie in den strahlenden, arglosen Augen hinter den Brillengläsern
die Mörderin suchte. Aber sie konnte sie nicht finden, vielleicht, weil sie in
Wahrheit gar nicht existierte…
:-:-:-:-:
Helena kontrollierte die Berichte, dann wurden ihre Erinnerungen zu bedrückend und sie begab sich zur Main Mission. John reagierte sehr erfreut, als er sie erblickte.
„Helena. Bist du schon fertig?“
Sie waren übereingekommen, dass sie von ihrem Erlebnis niemandem erzählen würden. Erstens war es nicht wirklich von Interesse für die Crew, weil es in erster Linie sie beide betroffen hatte und zweitens war es zu erschreckend für die anderen Beteiligten, vor allem für Erin und es war nicht nötig, die angehende Ärztin dermaßen zu schockieren.
Victor wandte sich eben lächelnd an John:
„Wie habt ihr herausgefunden, dass die Sonne weiter verglühen wird, unsere Scanner haben erst nach genauester Prüfung dieses Ereignis bestätigen können?“
John und Helena tauschten einen Blick:
„Wir haben eine telepathische Botschaft in Form einer Art Sonde von den CALDARANERN erhalten und so alles über ihren Planeten und ihr eigenes tragisches Schicksal erfahren.“
Victor gab einen Laut des Bedauerns von sich:
„Wie schade, dass ihr die Sonde nicht mitbringen konntet. Wer weiß, wie viele Erkenntnisse wir noch von ihr gewinnen hätten können.“
Helena schüttelte den Kopf, es war ihr nichts anzumerken:
„Es tut mir Leid, Victor. Sie hat sich zerstört, nachdem wir die Botschaft empfangen hatten. Damit schwand auch die Erinnerung an die unglücklichen CALDARANER.“
Victor hob seine Schultern:
„Da kann man nichts machen.“
Dann, mit einem Lächeln:
„Aber ihr beide solltet euch ausruhen, wir haben noch einen langen Flug vor uns.“
Victors Augenzwinkern schien die Felswände in ihren Gedanken zu zerbrechen und Licht hereinfallen zu lassen, durch einen neuen Ausgang…
:-:-:-:-:
Gemeinsam betraten Commander Koenig und Dr. Russell das Quartier des Kommandanten und Helena sah sich schaudernd um:
„Es ist alles so wie gestern, John. War es denn überhaupt gestern? Es ist so unheimlich, wie ein Déjà vu…
John zog sie an sich und küsste verlangend ihre weichen Lippen:
„Noch ist es nur beinahe so wie gestern……..“
:-:-:-:-:
Sehr viel später in der Nacht lag Helena wach an Johns Brust gekuschelt und lauschte dem ruhigen, gleichmäßigen Schlag seines Herzens. Bei jedem seiner Atemzüge kitzelten die feinen Härchen ihr Ohr, aber Helena veränderte ihre Position um keinen Millimeter.
John bewegte sich im Schlaf und Helena registrierte, wie sich sein Herzschlag geringfügig erhöhte, er war erwacht.
„Helena. Warum schläfst du nicht?“
Helena bewegte sich nicht, aber er konnte ihr Lächeln auf seiner nackten Haut fühlen:
„Und warum schläfst du nicht?“
„Normalerweise bin ich doch der Schlaflose von uns beiden. Ich habe dich immer um deine Fähigkeit, dir deine Ruhephasen so rationell einzuteilen, beneidet.“
„Heute habe ich eben etwas Wichtigeres zu tun.“
„Was könnte wichtiger sein, als dass du dich erholst, Helena?“
Johns Stimme war tief, besorgt und zärtlich und Helena fühlte einen würgenden Schmerz, der ihre Kehle zu sprengen drohte, aber sie schluckte ihn tapfer hinunter. Trotzdem klangen ihre Worte ein wenig heiser, als sie antwortete:
„Ich möchte nur deinen Herzschlag hören, John und sicher sein, dass er nicht verstummt.“
John, der begonnen hatte, sanft ihr Haar zu streicheln, hielt betroffen inne:
„Aber es wird weiter schlagen, Helena…..“
Diese stieß einen zitternden Seufzer aus:
„Kannst du mir das garantieren? Dass ich mich darauf verlassen kann, dass es nie wieder aufhören wird, solange ich lebe?“
John legte seine Hand behutsam an Helenas Wange. Natürlich hätte er jetzt sagen müssen, dass es solche Garantien nicht gab, aber das wusste sie schließlich selbst. Was sie jetzt hören wollte, waren Illusionen, die jeder Vernunft spotteten und ihre Intelligenz normalerweise beleidigt hätten. Aber es war nur ein kleiner Betrug, der notwendig war, um eine tiefe Wunde mit einem heilenden Balsam zu bedecken. Und er wollte ihr alles geben, was sie brauchte und wenn er dafür lügen musste.
„Und wenn ich dir verspreche, dass mein Herz noch schlagen wird, wenn du morgen aufwachst? Und dass es weiter schlagen wird, solange du mich brauchst? Würdest du dann ein wenig schlafen?“
Helena lächelte unter Tränen über seine Bemühungen, sie zu beruhigen, aber der Schock saß zu tief…..
„Würdest du es schwören?“
Bei Tageslicht hätte sie solche Worte niemals ausgesprochen, aber im Dunkel der Nacht, öffnete sich ihre wunde Seele weit und ließ ihn tief blicken, in ihre zarte Verletzbarkeit, die keinen Verlust mehr ertragen konnte.
John fühlte, wie seine Augen brannten, als er ihre so ungewohnte Schwäche erkannte:
„Bei allem, was du willst.“
Helena entspannte sich dankbar in seinen Armen. Dankbar, dass er die Vernunft einfach beiseite ließ, für sie.
„Ich werde dir glauben“, murmelte sie, schon halb im Schlaf, „aber wage es nicht, dieses Wort zu brechen.“
John lauschte den Rest der Nacht ihren
ruhigen, gleichmäßigen Atemzügen, die nur gelegentlich von einem leisen Seufzer
unterbrochen wurden.
Und er wünschte sich nichts so sehr, als dass
er sein Wort würde halten können und sie niemals enttäuschen musste..
Der, den ich liebe |
Bertolt Brecht |
Ende