Eine fast perfekte Welt |
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Hier eine neue spannende
Alpha-Geschichte von Annabelle, die glücklicherweise ihre Phantasie ausgepackt
hat, um uns mit ihrem Erstlingswerk zu unterhalten!
Herzlichen Dank fürs
Schreiben und Zur-Verfügung-Stellen!!
Es war ein langer Tag gewesen und Helena sehnte sich nach einer Dusche, ihrem gemütlichen Sessel und einem guten Buch. Es war jetzt schon einige Monate her, seitdem der Mond aus der Umlaufbahn gerissen worden war, und immer noch gab es reichlich zu tun. Viele Reparaturen waren noch nicht beendet, zum Glück lief jedoch das Lebenserhaltungssystem jetzt stabil. Eigentlich hätte sie zufrieden sein können, sie hatten alle Patienten aus der Krankenstation entlassen können und ihr Team leistete gute Arbeit. Aber etwas nagte an ihr und sie wusste auch genau, was es war: John Koenig, der Commander. Er schaffte es immer wieder, sie extrem zornig zu machen, manchmal machte er sie schier wahnsinnig mit seiner ungeduldigen und fordernden Art. Gerade heute wieder bei der Kommandokonferenz hätte sie ihn anschreien können. Natürlich war das nicht ihre Art, aber bei ihm fiel es ihr immer schwerer, sich zu beherrschen. Sie wusste nicht warum aber er rief bei ihr die widersprüchlichsten Gefühle hervor, die sie nicht einordnen konnte. Normalerweise war sie ein ruhiger und besonnener Mensch, jetzt kannte sie sich manchmal selbst kaum wieder.
Aus einem Impuls heraus beschloss sie, Victor einen Besuch abzustatten. Er war ihr zu einem väterlichen Freund geworden, mit ihm konnte sie über alles reden. Auch wenn er im Umgang mit anderen manchmal etwas unbeholfen wirkte, hatte er doch ein feines Gespür für zwischenmenschliche Beziehungen, außerdem kannte er den Commader schon sehr lange.
Victor war erfreut, sie zu sehen.
"Helena, meine Liebe, wie schön, dass du mich besuchst. Komm doch herein! Magst du eine Tasse Tee mit mir trinken?"
"Gerne Victor, ich hoffe ich störe dich nicht."
"Nein, ganz im Gegenteil, ich mache gerade eine Pause." Er betrachtete sie aufmerksam, irgendetwas schien sie zu bedrücken.
"Helena, was ist los, du siehst aus, als läge dir etwas auf dem Herzen."
Helena errötete ein wenig. Sie beschloss, nicht lange drum herum zu reden.
"Weißt du Victor, da gibt es tatsächlich etwas, zu dem ich deine Meinung hören möchte. Du kennst doch den Commander schon sehr lange. War er schon immer so impulsiv und ungeduldig? Ich weiß oft nicht, wie ich bei ihm dran bin. Nach dem Vorfall mit Commissioner Simmons haben wir uns ausgesprochen und ich dachte, wir wären so etwas wie Freunde geworden. Aber ich bin nicht sicher, manchmal denke ich sogar, er meidet mich. Du kennst mich, Victor, du weißt, dass ich kein unbeherrschter Mensch bin, aber er schafft es immer wieder, mich wütend zu machen und ich weiß einfach nicht warum. Was ist das nur mit uns? Diese Spannung macht mich sehr unzufrieden, ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll."
Sie blickte ihn hilfesuchend an. Normalerweise fiel es ihr sehr schwer, ihr Innenleben mit anderen zu teilen. Aber in diesem Fall wusste sie sich selber keinen Rat und Victor war der Einzige, dem sie sich anvertrauen wollte. Er sah sie an, ja, mit so etwas hatte er gerechnet. Vor einigen Stunden hatte er ein ähnliches Gespräch mit John geführt. Wie es um seinen Freund stand, hatte er schon lange geahnt. Das Gespräch hatte seine Vermutung bestätigt. John hatte ihn unter einem Vorwand aufgesucht, um dann aber relativ schnell das Gespräch auf Helena zu lenken:
"Sag mal Victor, wie kommst du eigentlich mit Helena zurecht, ihr zwei kennt euch ja schon etwas länger. Ehrlich gesagt ist sie mir manchmal ein Rätsel. Ich werde aus ihr einfach nicht schlau. Sie ist eine sehr kompetente und engagierte Ärztin, ich schätze ihre Meinung wirklich sehr und komme auch eigentlich gut mit ihr aus, aber manchmal wirkt sie plötzlich so distanziert und kühl und ich habe das Gefühl, als wenn sie mir manchmal ausweicht. Ich dachte, wir wären so etwas wie Freunde geworden, aber ich bin mir nicht mehr so sicher. Ich weiß nicht genau, was ich von ihr halten soll. Weißt du, sie spukt mir oft im Kopf herum und ich weiß nicht so genau warum. Was hältst du davon?"
Victor musste jetzt lächeln, als er an Johns unglückliches Gesicht dachte. Es war eigentlich offensichtlich, was das Problem war. Die beiden mochten einander einfach viel zu sehr, aber keiner wollte es sich oder dem anderen eingestehen. Dabei konnte er ihnen nicht helfen, das mussten sie selber herausfinden. Also sagte er Helena ungefähr das Gleiche, was er auch John gesagt hatte.
"Weißt du Helena, John ist ein wirklich netter Kerl und ich glaube, er schätzt dich auch sehr. Er kann es nur nicht immer so zeigen. Ja, er ist impulsiv und ungeduldig, aber er ist auch ein sehr warmherziger und aufrichtiger Mann. Seine Freunde wird er niemals im Stich lassen. Wenn dir an seiner Freundschaft etwas liegt, und das glaube ich, versuche, ihn besser kennen zu lernen. Ich weiß, er kann einen oft wahnsinnig machen, aber denk mal darüber nach, nur wenn dir jemand wirklich etwas bedeutet, kann er dich zu auch zu solchen Gefühlsausbrüchen bringen." Er lächelte sie an. "Jetzt wollen wir aber den Tee trinken, bevor er kalt wird."
Helena blickte ihn versonnen an. Während Victor munter weiterplauderte, hörte sie gar nicht richtig zu. Was meinte er, lag ihr persönlich etwas an dem Commander und ihm an ihr? Wenn sie so darüber nachdachte, fiel ihr unwillkürlich ihre erste Begegnung mit ihm ein und der erste Streit, den sie gehabt hatten, nachdem er mit dem Adler abgestürzt war. Es hatte sie so wütend gemacht, dass er leichtfertig sein Leben riskierte, und sie hatte es ihm auch unmissverständlich gesagt. Seine Erwiderung hatte sie sprachlos gemacht und sehr irritiert. Sorgte sie sich wirklich um ihn und dies nicht nur als Ärztin? Es gab Momente, da waren sie einander körperlich recht nahe gekommen, und wenn sie es sich eingestand, so hatte sie es immer genossen. Seine Nähe strahlte etwas Beschützendes aus, bei ihm fühlte sie sich sicher und geborgen. Ein schönes Gefühl, was sie lange vermisst hatte. War sie dabei, sich in ihren Commander zu verlieben, war das der Grund, warum sie immer so heftig auf ihn reagierte? Helena blickte auf und schaute in das lächelnde Gesicht von Victor.
"Du hast mir gar nicht zugehört, habe ich Recht?"
"Entschuldige bitte, Victor, wie unhöflich von mir. Ich denke, ich sollte jetzt schlafen gehen, es ist doch schon recht spät. Vielen Dank für das Gespräch und den Tee. Schlaf gut."
Sie stand auf und gab Victor einen Abschiedskuss auf die Wange. Dieser schaute ihr nach, als sie ging. Ja, so ungefähr hatte John auch ausgesehen, als er ihn verlassen hatte. Die beiden hatten Einiges zum Nachdenken. Er war gespannt, was passieren würde. Das Leben ging schon manchmal seltsame Wege. Mit einem Mal war auch er sehr müde, also trank er noch seinen Tee aus und begab sich zu Bett.
Der nächste Tag hielt für alle eine Überraschung bereit. Helena wurde von dem durchdringenden Geräusch des Rotalarms geweckt. Sie brauchte einen kurzen Moment, um sich zu orientieren. Sie hatte einen seltsamen und verwirrenden Traum gehabt, aus dem sie erst langsam auftauchte. Irgendwie hatte es mit John zu tun gehabt, aber sie konnte sich jetzt nicht mehr recht daran erinnern. Sie fühlte sich seltsam alleine, wie sie so auf ihrem Bett saß, und wusste nicht warum. Unwirsch schüttelte sie die merkwürdigen Gedanken ab. Sie musste sich konzentrieren, es gab einen Notfall! Schnell kleidete sie sich an und rannte zur Kommandozentrale.
Dort herrschte konzentrierte Betriebsamkeit und es lag höchste Spannung in der Luft. John lief, wie immer, wenn er nervös war, auf und ab. Als sie eintrat, hielt er kurz inne und warf ihr einen sehr intensiven, leicht prüfenden Blick zu. Oder bildete sie sich das nur ein? Kurz nach ihr kam Victor herein und der Augenblick war vorbei.
"John, was gibt es?"
Er zeigte auf den Bildschirm. Wie aus dem Nichts war ein großes Raumschiff aufgetaucht. Bisher gab es keine Reaktion auf ihre Rufe. Alle starrten gebannt auf den Hauptmonitor, als sie plötzlich Kontakt zu dem fremden Raumschiff bekamen. Die Gestalt eines Mannes mittleren Alters in archaischer Uniform füllte den Bildschirm aus.
Helena überlief ein eiskalter Schauer, sie hatte das Gefühl eines Déjà-vus und kurz kam ihr ihr verstörender Traum in den Sinn, jedoch war er nach wie vor nicht greifbar. Die Stimme des Mannes brachte sie zurück in die Realität. Es war eine angenehme tiefe Stimme aber irgendetwas an der Art und Weise, wie er sich gab, machte sie nervös.
"Bewohner der Mondbasis Alpha, seid gegrüßt. Mein Name ist Captain Drako Dorgan. Wir kommen vom Planeten Syrion und sind auf dem Rückweg von einer Forschungsmission. Gerne würden wir mehr von euch und eurem Mond erfahren. Erteilt ihr uns die Erlaubnis zur Landung?" Koenig warf einen fragenden Blick in die Runde und bedeutete Sandra die Kommunikation für einen Moment zu unterbrechen. Sandra neigte den Kopf.
"Unsere Scanner sehen keine Gefahr. Das Schiff scheint keine schweren Waffen zu haben, und auch sonst ist im Augenblick keine Bedrohung auszumachen."
Kano wandte sich John von der Computerwand zu.
"Die Berechnungen und Messdaten des Computers zeigen, dass auf dem Schiff Sauerstoffatmer leben; sie dürften, was ihre Physiologie angeht, uns sehr ähnlich sein." Victor nickte.
"Spricht nichts dagegen, sie zu treffen, wir können bestimmt Einiges von ihnen erfahren und eventuell besteht die Möglichkeit, an Rohstoffe zu kommen." Johns Blick machte die Runde und blieb, als alle anderen zustimmend genickt hatten, an Helena hängen. Sie fühlte sich unwohl dabei, aber da sie keinen konkreten Grund hatte, nickte sie nur. John machte Sandra ein Zeichen und diese öffnete den Kommunikationskanal erneut.
"Captain Dorgan, mein Name ist John Koenig, ich bin der Commander dieser Basis. Wir freuen uns darauf, Sie bei uns zu willkommen zu heißen. Bitte landen Sie auf Landeplatz 4, wir erwarten Sie an der Andockrampe."
"Vielen Dank, wir sehen uns."
Mit diesen Worten beendete der Captain des Raumschiffs die Kommunikation. Koenig wandte sich an die Crew.
"Dann wollen wir unsere Gäste begrüßen! Helena und Victor, kommt ihr mit? Paul, bitte bereite alles für unseren Besuch vor und schicke ein Sicherheitsteam zu Andockrampe 4."
In diesem Augenblick landete das Schiff und sie machten sich auf den Weg. Helena sagte nichts, aber das ungute Gefühl blieb. Victor, der sich auf das Treffen mit den Syrionern freute, redete dafür umso mehr.
"Wer weiß, was für Möglichkeiten sich für uns ergeben, vielleicht kommen wir sogar an ihrem Planeten vorbei und könnten uns dort niederlassen oder sie könnten uns zumindest mit einigen wichtigen Rohstoffen versorgen. Ich bin sehr gespannt, etwas über ihre Kultur zu erfahren und den Stand ihrer Technik. Was mag es wohl für eine Forschungsmission gewesen sein?"
Koenig musste ein wenig über den Eifer seines Freundes lächeln. Das war typisch für Victor, er war eben ein Forscher durch und durch.
Als sein Blick auf Helena fiel, wurde er nachdenklich. Irgendetwas stimmte nicht, es schien, als sei sie über etwas beunruhigt. Außerdem gingen ihm noch immer Victors Worte im Kopf herum. Was dachte sie wirklich über ihn, betrachtete sie ihn als ihren Freund oder war er doch nur ihr Commander? Da sie an Andockrampe 4 angekommen waren, schob er diese Gedanken beiseite und machte sich bereit, die Syrioner zu empfangen. Captain Drako Dorgan war eine beeindruckende Erscheinung. Knapp zwei Meter groß wirkte er mit seinen langen schwarzen Haaren und der archaischen Uniform eher wie ein Krieger als wie ein Forscher. Seine vier Gefährten waren von ähnlicher Größe und trugen ebenfalls lange schwarze Haare. Sie blieben vor der alphanischen Delegation stehen und verbeugten sich, indem sie die geöffnete Hand auf die Faust legten und dabei den Kopf neigten. Als Dorgan den Kopf hob, nahm er Helena ins Visier und einen Moment lang glaubte sie, ein begehrliches Flackern in seinen Augen zu sehen. Als sich ihre Blicke trafen, schlug er die Augen nieder. John ergriff das Wort.
"Captain Dorgan, ich freue mich Sie zu treffen. Darf ich Ihnen Dr. Helena Russell, unsere Chefärztin, und Prof. Victor Bergmann vorstellen. Prof Bergmann ist einer unserer hervorragendsten Wissenschaftler."
Captain Dorgan bedachte sie alle mit einem charmanten Lächeln.
"Die Freude ist ganz meinerseits. Erlauben Sie mir, Ihnen meine Crew vorzustellen. Dies ist Lieutenant Dieran Dral, mein erster Offizier. Ron Brahn, unser Schiffsarzt, Lieutenant Drago Kahl, unser Navigator, und mein Sicherheitschef Snap Kobran." Die Männer verbeugten sich noch einmal, und gemeinsam machte man sich auf den Weg in die Kommandozentrale. Im Büro von John Koenig warteten bereits Paul, Sandra und Kano auf die Gäste. Nach einer kurzen Begrüßung setzte man sich an den Konferenztisch. Captain Dorgan ergriff als Erster das Wort.
"Commander Koenig, wir fühlen uns geehrt von Ihrer Einladung und würden gerne mehr über Sie und diesen Mond erfahren."
In kurzen Worten erklärte John ihre Situation. Captain Dorgan hörte aufmerksam zu. Von Zeit zu Zeit ließ er seinen Blick über die Anwesenden schweifen und jedes Mal, wenn er bei Helena ankam, beschlich sie das Gefühl, dass er versuchte, ihre Gedanken zu lesen. Er war ihr eindeutig unheimlich. Sie schien die Einzige zu sein, die sich unwohl fühlte, die anderen plauderten ungezwungen mit den Gästen. Victor, der darauf brannte, mehr über den Heimatplaneten und die Mission zu erfahren, beugte sich zu Captain Dorgan vor.
"Sagen Sie, Captain, in was für einer Art Gesellschaft leben Sie? Ihre Forschungsmission interessiert mich auch sehr. Wie Sie ja gehört haben, suchen wir eine neue Heimat. Gäbe es Chancen für uns auf Ihrem Planeten, das heißt, sollten wir mit unserem Mond in die Nähe kommen?" Captain Dorgan lächelte höflich.
"Nun, Professor, wir geben Ihnen gerne die Koordinaten unseres Planeten, dann können wir sehen, ob sich unsere Wege kreuzen. Unser oberster Lenker Rasul Drogardis und der hohe Rat würden sich sicherlich sehr freuen, Sie kennen zu lernen. Sie alle."
Dabei sah er Helena direkt in die Augen, so dass dieser ein Schauer über den Rücken lief.
"Wenn ich recht verstanden habe, so brauchen Sie einige Rohstoffe. Darüber können wir gerne verhandeln. Unser Planet liegt ca. 5 Flugstunden unseres Raumschiffs von Ihrem Mond entfernt. Lassen Sie uns prüfen, ob Sie an unserem Planeten vorbeikommen. Dann werden wir weiter sehen."
Victor war sehr erfreut und auch John schien dies für eine gute Idee zu halten.
"Vielen Dank, Captain Dorgan. Sandra Benes wird die Koordinaten Ihres Planeten mit der Flugbahn unseres Mondes abgleichen."
Captain Dorgan nickte und schickte seinen Navigator mit Sandra in die angrenzende Zentrale, um die Daten abzugleichen. In dem Moment meldete sich Dr. Mathias.
"Dr. Russell könnten Sie bitte umgehend ins Lazarett kommen, wir brauchen Sie hier dringend für einen wichtigen Test." Helena kam das sehr gelegen.
"Natürlich Dr. Mathias, ich bin schon auf dem Weg. John, Captain Dorgan, wenn Sie mich bitte entschuldigen wollen."
Mit diesen Worten verließ sie eilig das Hauptquartier. John blickte ihr etwas irritiert hinterher, ihr plötzlicher Abgang kam ihm reichlich merkwürdig vor. Er nahm sich vor, sie später zu befragen. So etwas ließ er normalerweise niemandem durchgehen.
Helena fühlte sich erleichtert, als sie auf der Krankenstation angekommen war. Nachdem sie kurz über die Tests geschaut hatte und Dr. Matthias einige Instruktionen gegeben hatte, ließ sie sich aufatmend in ihrem Büro auf den Sessel fallen. Sie wusste selber nicht, was mit ihr los war, normalerweise neigte sie nicht zu hysterischem Verhalten, sondern ging rational mit Problemen um. Sie war ein kopfgesteuerter, kontrollierter Mensch mit einer rationalen Vorgehensweise. Aber dieser Captain Dorgan hatte etwas an sich, das ihr unheimlich war und gleichzeitig auch vage bekannt vorkam. Sie hatte das Gefühl, ihn schon einmal gesehen zu haben, und irgendwie wusste sie, dass es mit ihrem Traum zusammenhing. Wenn sie sich doch nur erinnern könnte! Gerade in dem Augenblick ging die Tür zur Krankenstation auf und John trat mit Ron Brahn, dem Arzt der Syrioner, ein und kam in ihr Büro.
"Helena, entschuldige bitte, wenn wir dich stören. Unser Besucher interessiert sich für unseren Stand der Medizin und hatte die Bitte, die Krankenstation zu besichtigen. So, wie es aussieht, werden wir in Adlerreichweite an ihrem Planeten vorbeikommen. Wir werden auf alle Fälle mit ihrem obersten Lenker in Verbindung treten, um zu hören, ob es eine Chance für uns gibt, eventuell auf ihrem Planeten zu siedeln. Eine Überprüfung unserer Kompatibilität, um zu sehen, ob wir auf ihrem Planeten überhaupt leben können, wäre sicherlich hilfreich."
John wirkte tatsächlich ein bisschen aufgeregt, die Aussicht auf eine neue Heimat erschien ihm sehr verlockend. Er lächelte sie an.
"Nun ich lasse Ron Brahn in deiner Obhut. Victor und Captain Dorgan versuchen gerade, den obersten Lenker zu kontaktieren, ich sollte mich beeilen."
Mit diesen Worten wandte er sich zur Tür und ließ die beiden Ärzte alleine. Helena fühlte sich etwas unsicher, ließ es sich aber nicht anmerken.
"Wo sollen wir beginnen, was möchten Sie zuerst sehen? Was war das eigentlich für eine Forschungsmission, wenn ich fragen darf."
Ron Brahn bedachte sie mit einem durchdringenden Blick.
"Nun, Doktor Russell, wie wir schon sagten, wir sind Forscher und haben es zum Ziel gesetzt, das Universum und seine Vielfalt zu studieren. In Reichweite unseres Planeten gibt es einige Planeten mit interessanten Kulturen, wenn auch noch nicht so weit entwickelt. Wir führen auf diesen Planeten gewisse, hm, Feldforschungen durch. Nun aber zurück zu Ihnen, Sie scheinen ebenfalls weit entwickelt zu sein, befassen Sie sich auch mit den weit reichenden Möglichkeiten der Genetik und der Reproduktionstechnik?" Helena war etwas irritiert.
"Nun, wie Sie vielleicht bemerkt haben, gibt es auf Alpha keine Kinder. Unser Lebenserhaltungssystem ist gerade auf die hier lebende Anzahl von Menschen ausgerichtet. Daher ist die Reproduktion zurzeit keins unserer vorrangigen Ziele. Wir forschen vielmehr in die Richtung, wie wir diese Situation verbessern können. Die Aussicht auf einen neuen Planeten, auf dem wir dauerhaft leben können, wäre für uns natürlich die beste Lösung. Das bringt mich gleich auf ein anderes Thema: Wie ist es so auf Ihrem Planeten? Wie sieht er aus? Ich bin wirklich sehr neugierig."
Sie lächelte ihn freundlich an, obwohl sie im Innersten sehr beunruhigt war. Was für merkwürdige Fragen er stellte! Sie musste unbedingt mit Victor darüber sprechen. "Unser Planet ist sehr schön, sehr fruchtbar, und wir leben in einer offenen Gesellschaft mit vielen Annehmlichkeiten."
Helena erschrak, als sie die Stimme von Captain Dorgan hinter sich hörte. Er war unbemerkt mit Victor eingetreten. Sofort hatte sie sich wieder im Griff.
"Captain Dorgan, Sie machen mich wirklich sehr neugierig auf Ihren Planeten. Gibt es schon Neuigkeiten?"
Sie bemerkte, dass Victor sehr zufrieden wirkte.
"In der Tat, Helena, es gibt sehr gute Neuigkeiten, deshalb sind wir auch hier. John hat mit dem obersten Lenker und dem Rat gesprochen und wir sind eingeladen zu einem Treffen auf ihrem Planeten. Dort können wir uns in Ruhe umsehen und Entscheidungen treffen. Captain Dorgan hat vorgeschlagen, dass wir beide John zu diesem Treffen begleiten sollten. Deine medizinische Expertise ist hier gefragt. Da ihr Raumschiff unserem an Geschwindigkeit weit überlegen ist, werden wir mit ihnen fliegen. Für Operation Exodus wäre dann gegebenenfalls noch genügend Zeit. Wir treffen uns in einer Stunde an Andockrampe 4."
"Doktor Russell, es ist mir eine Ehre und eine Freude, Ihnen meinen Planeten zeigen zu können." Mit diesen Worten schloss sich Captain Dorgan Victor an. Ron Brahn bedankte sich für das Gespräch und ging mit ihnen. Helena blieb alleine mit ihren Gedanken zurück. Dies klang alles zu gut, um wahr zu sein. Warum war sie offensichtlich die Einzige, die nicht so glücklich über das Angebot war? Seufzend machte sie sich an die Vorbereitungen, um alle Geräte dabei zu haben, die sie für die Tests auf dem Planeten brauchen würde. Auf der einen Seite erschien die Vorstellung, endlich eine neue Heimat zu finden, sehr verlockend. Auf der anderen Seite waren ihr Captain Dorgan und seine Crew nicht ganz geheuer. Besonders die Fragen nach Reproduktionsforschung und der Genetik machten sie misstrauisch. Und was waren das überhaupt für Feldforschungen? Er hatte ein bisschen gezögert, ehe er diesen Begriff benützte. Gerne hätte sie ihre Vorbehalte mit John besprochen, aber bis zur Abreise war keine Zeit dafür, und als sie im Raumschiff saßen, ergab sich keine Gelegenheit. Victor, der völlig fasziniert von der Technik der Syrioner war, stellte während des ganzen Fluges Fragen über Fragen, die von Dieran Drahl beantwortet wurden. John hatte sich in die Pilotenkanzel gesetzt und ließ sich von Drago Kahl die Navigation erklären. Helena fand sich plötzlich alleine mit Captain Dorgan. Er blickte sie mit seinen dunklen Augen an und sie kam sich wie das Kaninchen vor, dass vor der Schlange sitzt. Mit einmal hatte sie das Gefühl, als wenn ihr eine Stimme eine Warnung ins Ohr flüsterte. Ohne sich etwas anmerken zu lassen, begann sie eine unverfängliche Konversation.
"Captain Dorgan, ich bin wirklich sehr gespannt auf Ihren Planeten. Erzählen Sie mir doch bitte noch ein bisschen davon."
"Nun, wie schon gesagt, wir leben in einer offenen Gesellschaft mit vielen Annehmlichkeiten. Wir waren vor Jahren in der Lage, uns von den Fesseln des täglichen Überlebenskampfes zu befreien. Unsere Gesellschaft hat sich zu einer Gesellschaft der Forscher und Entdecker entwickelt, die versuchen, dem Geheimnis des Lebens und der Unendlichkeit auf die Spur zu kommen. Unser oberster Lenker und der Rat sorgen für uns." Bevor Helena noch mehr fragen konnte, erschien John.
"Helena, das musst du dir ansehen, der Planet ist gerade in Reichweite gekommen, ein sehr schöner Anblick."
Sie folgte ihm in die Pilotenkanzel, froh, von Captain Dorgan wegzukommen, und musste ihm Recht geben. Wenn die Erde der blaue Planet war, so schimmerte Syrion in grünen Farben. Sie erkannte Seen und Berge und kleinere Städte. Alles leuchtete in einem satten Grün und die Berge erhoben sich lila schimmernd in die Höhe. Offenbar gab es ebenso wie auf der Erde unterschiedliche Klimazonen und große Meere. Es sah wundervoll aus und sie ließ sich von Johns und Victors Begeisterung anstecken. Die Sehnsucht nach der Erde überkam und sie verlor sich für einige Augenblicke in glücklichen Erinnerungen. Wenige Minuten später traten sie in die Umlaufbahn ein und landeten in der Nähe eines imposanten Gebäudes, welches am Rande einer Stadt lag. Die Stadt war nicht sehr groß, mit kleinen weiß-grünen Gebäuden. Es schien, als gäbe es in der Mitte der Stadt eine Art Markplatz, auf dem sich Menschen versammelt hatten. Es machte alles einen geruhsamen Eindruck. Die Sonne warf ihre orange-roten Strahlen auf den Boden. Als sie aus dem Raumschiff ausstiegen, genoss sie für einen Moment die warmen liebkosenden Strahlen der Sonne auf der Haut. Als sie sich umdrehte, traf sich ihr Blick mit Johns. Er war kurz stehengeblieben, um ebenfalls den Anblick zu genießen und die warme würzige Luft genießerisch einzuatmen. Als er Helena, gebadet in Sonnenstrahlen, vor sich stehen sah, hätte er sie am liebsten in die Arme geschlossen, so überwältigt war er von dem Anblick und dem Gefühl, das ihn überkam. Als sich ihre Blicke trafen, war es ihm, als blickte sie auf den Grund seiner Seele, so wie bei einem früheren Gespräch kurz nach seiner Ankunft auf Alpha. Mit einem Mal hatte er Gewissheit, egal wie sie zu ihm stand, er hatte sich rettungslos an sie verloren. Doch der Ausdruck in ihren wunderschönen Augen machte ihm Hoffnung. Helena schlug die Augen nieder und drehte sich zur Tür. In ihrem Innersten tobte ein Orkan. Dieser Blick von John hätte sie fast umgeworfen. Es war, als hätte er ihr sein Innerstes offenbart und was sie sah, war Liebe und Furcht. War es das, was auch ihre Augen spiegelten? Sie wusste es nicht. Er brachte sie aus ihrem Gleichgewicht und rüttelte an ihren Mauern der Selbstdisziplin, aber ganz tief in ihr fühlte es sich wundervoll an, so lebendig und so richtig. Sie konnte jetzt nicht weiter darüber nachdenken, da sie von einer Ehrengarde erwartet und umgehend zum Regierungspalast eskortiert wurden. Seine Nähe machte sie glücklich und sie fühlte sich sicher. Als seine Hand sie kurz streifte, hätte sie ihn am liebsten festgehalten und das köstliche Kribbeln genossen, aber dafür war weder der rechte Ort noch die rechte Zeit.
Im Regierungspalast wurden sie bereits vom obersten Lenker und seinem Rat erwartet. Als Rasul Drogardis sie begrüßte, vermeinte sie, eine warnende Stimme zu hören. Sie blickte sich kurz um, konnte aber niemanden sehen. Rasul Drogardis, der ebenfalls lange schwarze Haare und durchdringende dunkle Augen hatte, begrüßte sie freundlich.
"Commander, Professor Bergmann und, wie ich annehme, Dr. Russell, seien Sie uns herzlich auf unserem Planten willkommen. Wie ich von Captain Dorgan gehört habe, suchen Sie eine neue Heimat. Wir sind ein friedliches Volk von Forschern und könnten uns vorstellen, unseren Planten mit einem anderen Volk zu teilen. Wie ich verstanden habe, drängt die Zeit, da Ihr Mond bald außer Reichweite sein wird, also wollen wir gleich mit unseren Gesprächen beginnen."
Helena folgte den anderen in den imposanten Regierungssaal. Nachdem alle an dem großen Tisch Platz genommen hatten - Captain Dorgan war wie selbstverständlich dabei - begann der oberste Lenker zu sprechen.
"Commander, wir, das Volk von Syrion, heißen Sie herzlich auf unserem Planeten willkommen. Bitte erzählt uns von eurem Volk und von der Erde und eurer Lebensweise, damit wir uns ein Bild von euch machen können. Zunächst sollten wir natürlich auch die medizinische Möglichkeit eines Zusammenlebens klären. Wurden bereits Kompatibilitätstests durchgeführt?" Dabei blickte er Helena an.
"Nein, bisher konnte ich Ihre Männer nur oberflächlich untersuchen. Auf den ersten Blick scheinen wir uns sehr ähnlich zu sein. Ich würde gerne einige Umwelttests machen, um zu sehen, wie wir auf Ihre Umwelt reagieren."
"Gerne, Dr. Russell, Drako wird Sie zu unseren Laboren begleiten, wo Sie mit unseren führenden Wissenschaftlern sprechen können. Drako, zeige Dr. Russell bitte Einiges von unserer Stadt, damit sie sich einen besseren Überblick über unsere Umwelt und Lebensweise verschaffen kann."
Drako stand sofort auf und führte Helena nach draußen. John schickte ihnen einen nachdenklichen Blick hinterher. Dieser Drako schien ein gewisses Interesse an Helena zu haben. Die Art und Weise, wie er sie betrachtete, gefiel ihm ganz und gar nicht! Überhaupt hatte dieser Mann weniger etwas von einem Forscher als mehr von einem Krieger an sich. John hatte mit einmal ein merkwürdiges Gefühl. Es schien, als wollte etwas aus den Tiefen seines Unterbewusstseins an die Oberfläche. Victor holte ihn wieder in die Gegenwart zurück.
"John, was sagst du dazu? Oberster Lenker, Ihr seid sehr großzügig." John war etwas verwirrt, und da Victor ihm anmerkte, dass er nicht richtig zugehört hatte, wiederholte er noch mal das Angebot des obersten Lenkers.
"Die Gelegenheit, uns selber einen Überblick über die Lebensmöglichkeiten zu verschaffen und uns dafür einen Flieger zur Verfügung zu stellen, begrüßen wir sehr, nicht wahr?!"
"O ja, das ist wirklich eine gute Idee!" John hatte sich schnell wieder gefangen.
"Ihr werdet sehen, wir sind ein kleiner aber fruchtbarer Planet. Vor Generationen konnten wir die Mühsal des täglichen Überlebenskampfes abstreifen. Seitdem können wir uns der Forschung, der Kunst und Kultur widmen. Wir haben das Streben nach Gewinn abgelegt und jeder trägt seinen Teil zum täglichen Leben bei. Unsere Städte sind klein und gehören meistens einer Gilde."
Victor hörte gespannt zu, das klang nach einem Paradies, wie man es sich auf der Erde immer erträumt hatte.
"Wie produziert ihr eure Nahrungsmittel?"
"Nun, dafür haben wir große maschinenbetriebene Anlagen. Es werden wenig Menschen bei der Herstellung benötigt. Wie ich sagte, trägt jeder seinen Teil dazu bei. Alle Bewohner haben Pflichtstunden, die sie in Produktionsstätten verbringen. So ist jeder auch an der Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs beteiligt. Im Norden haben wir große Universitäten, wo unsere Schüler unterrichtet werden. Im Süden haben wir Produktions- und Forschungsstätten für die Weltraumforschung. Aber genug der Worte, lassen Sie uns den Planten besichtigen. Folgen Sie mir."
Mit diesen Worten erhob sich der große Lenker und führte John und Victor nach draußen, wo bereits ein Fahrzeug wartete, um sie zu einem Landgleiter zu bringen.
"Ich würde gerne Dr. Russell davon unterrichten, wo wir sind. Kann ich mit ihr sprechen?"
"Natürlich." Der große Lenker nahm ein Kommunikationsgerät, ähnlich dem alphanischen Comlock, vom Gürtel. "Drako, bitte kommen, Commander Koenig möchte gerne Dr. Russell sprechen." Einen Augenblick später erschien Helena auf dem kleinen Bildschirm.
"John, wo seid ihr?"
"Wir machen einen Erkundungsflug über den Planeten, so können wir uns ein gutes Bild machen von dem, was uns erwartet. Wie sieht es bei dir aus?"
"Captain Dorgan führt mich durch die Stadt und anschließend bringt er mich in das Lebenszentrum. Die Stadt ist wirklich bezaubernd, ich wünschte, ihr wärt hier. Passt auf euch auf!"
Sie schenkte ihm ein liebevolles Lächeln und dann war die Verbindung unterbrochen. John hatte das Gefühl zu schweben, als er in den Landgleiter stieg. Ihr Lächeln schien nur ihm gegolten zu haben und das machte ihn sehr glücklich. Victor, der hinter ihm einstieg, musste schmunzeln. Nun, wie es aussah, waren die beiden auf dem richtigen Weg. Sobald sie in der Luft waren, begann Rasul mit seinen Erklärungen. Wie es schien, hatten auch die Syrioner eine Zeit des Krieges hinter sich. Als der Planet kurz vor der Zerstörung gestanden war, war es den Führern der gegnerischen Parteien gelungen, sich auf einen Friedensplan zu einigen. Dies war nun ungefähr 300 Erdenjahre her. Seitdem hatten sie alle tatkräftig an der Entwicklung einer neuen Gesellschaft gearbeitet, in der man die materiellen Zwänge überwunden hatte. Die Syrioner konnten ihren Interessen nachgehen und sich intellektuell weiterentwickeln. Durch die Pflichtstunden wurde sichergestellt, dass jeder gerecht zum Lebensunterhalt beitrug. In der Gesellschaft war alle gleichgestellt. Der große Lenker und sein Rat wurden auf Lebenszeit gewählt. Sie leiteten die Geschicke des Planeten und achteten auf eine gerechte Verteilung aller Güter. Sie sprachen Recht, leiteten das Weltraumforschungsprogramm und sorgten für die planetare Sicherheit. Wie Drako schon erwähnt hatte, unternahmen sie Forschungsreisen zu benachbarten Planten, um über deren Kultur zu lernen und Rohstoffe zu tauschen. Während das Raumschiff über saftige Felder, dunkle Wälder, Berge, Flüsse und Städte hinwegglitt, hörten sie Rasul Drogardis gespannt zu. Vor allem Victor konnte seine Begeisterung kaum unterdrücken. Die Gesellschaft auf diesem Planeten schien seine kühnsten Träume wahr werden zu lassen. Dass man es ihnen erlauben würde, sich hier anzusiedeln, erschien wie ein Hauptgewinn im Lotto. Allmählich ging die Sonne unter und das sanfte Grün des Planeten färbte sich langsam dunkel lila. In einiger Entfernung sahen sie eine Art Raumhafen, dort landeten sie. John wurde ein bisschen unruhig.
"Oberster Lenker, fliegen wir nicht zurück zu Eurem Palast?"
"Nein, wir setzen morgen unsere Reise fort und übernachten heute im Gildenhaus der Botaniker. Ihr könnt dort alle Fragen stellen, die ihr wollt. Kommt, es sind nur ein paar Schritte, man erwartet uns bereits."
"Was ist mit Dr. Russell, werden wir sie auch hier treffen?"
"Nein, Dr. Russell wird heute noch einige Tests im Lebenszentrum machen und die Nacht im Gästetrakt meines Palastes verbringen. Captain Dorgan kümmert sich um sie. Ich bin sicher, sie hat dort viel zu tun."
John war das gar nicht recht. Erstens schien Captain Dorgan etwas zuviel Interesse an Helena zu haben und zweitens fand er es nicht gut, auf einem fremden Planeten getrennt zu werden. Da ihnen der oberste Lenker bisher sehr zuvorkommend gegenüber getreten war, wollte er nicht auf einer Rückkehr bestehen, obwohl er kein gutes Gefühl hatte.
"Besteht denn die Möglichkeit, noch einmal Kontakt mit ihr aufzunehmen? Sicherlich hat sie einige Fragen an die Botaniker, die wir für sie stellen können." Rasul schenkte ihm ein geduldiges Lächeln.
"Tut mir leid, Commander, wie ich gerade höre, haben wir heute einige Probleme mit dem Kommunikationszentrum, unsere Leute arbeiten bereits daran. Seien Sie versichert, Dr. Russell ist in den besten Händen. Wir werden sie morgen wiedertreffen."
Mit diesen Worten schritt er zu einem großen Versammlungshaus und öffnete die große hölzerne Tür. Das Gebäude war rund gebaut mit einem Dach, das in der Form einem Blütenkelch ähnelte. Die Fenster waren in der Form von Blättern gezackt und strahlten in einem zarten Grün, wodurch das Weiß des Gebäudes gut kontrastierte wurde. Die Tür war ein Meisterwerk der Holzschnitzkunst, verziert mit vielen verschiedenen Blumen und Getreidesorten. Man musste sie einfach berühren, so wundervoll war sie gearbeitet. Als sie eintraten, befanden sie sich in einer riesigen Halle mit einer langen wunderschön gedeckten Tafel, auf der auserlesene Speisen standen. Auch im Inneren hatten die Handwerker ganze Arbeit geleistet. Geschnitzte Blumenranken säumten die Wände. Bunte Wandteppiche erzählten Geschichten über Wachstum und Ernte. Die Botaniker waren ebenfalls groß gewachsene Menschen mit dunklen Haaren. Sie trugen einfache Leinenkleidung, die aber durchaus als elegant gelten konnte. Die Damen hatten ihre Haarpracht kunstvoll frisiert, mit bunten Bändern darin. Man konnte meinen, auf einer blühenden Blumenwiese zu stehen. Der Mann am Kopf der Tafel erhob sich.
"Oberster Lenker, seid gegrüßt, wir fühlen uns von eurer Anwesenheit geehrt. Bitte nehmt Platz an unserer Tafel, wir haben ein Festmahl bereitet, um die Fremden zu ehren und kennenzulernen."
John war überwältigt, mit so einem Empfang hatte er nicht gerechnet. Victor ging es ähnlich. Er konnte sich gar nicht satt sehen an den Farben und den wunderbaren Speisen. Der oberste Lenker trat vor.
"Danke, Ramadis, es ist wie immer wunderbar bei euch. Jetzt möchte ich euch Commander John Koenig und Prof. Victor Bergmann vorstellen. Sie kommen von einem wandernden Mond und suchen eine neue Heimat. Es sind 300 starke und gesunde Männer und Frauen, die sich ein neues Leben wünschen. Bitte heißt sie an eurer Tafel willkommen. Ihr dürft sie alles fragen, aber vielleicht essen wir zunächst, damit die köstlichen Speisen nicht erkalten. Unsere neuen Freunde sind gewiss hungrig."
Mit diesen Worten nahm Rasul Platz und bat John und Victor auf die Sitze neben sich. Die beiden ließen sich nicht lange bitten und bedienten sich ausgiebig an den angebotenen Speisen. John musste an Helena denken und war ein wenig traurig, sie so weit fort zu wissen. Er hoffte sie würde es genauso gut antreffen.
Helena hatte einen anstrengenden Tag hinter sich. Drako hatte sie in die Stadt gebracht und sie zunächst dort ein wenig herumgeführt. Es war eine kleine Stadt mit vielen weißen Häusern, einem Marktplatz mit einem Brunnen und Bänken, auf denen viele Leute saßen und diskutierten. Es gab auch einen Markt, auf dem Gemüse und andere Dinge des täglichen Bedarfs angeboten wurden. Es gab sogar einen Stand für medizinische Geräte. Helena konnte sich gar nicht satt sehen an der Vielfalt und den Farben. In einem anderen Teil der Stadt lagen Werkstätten und Forschungslabore, an denen sich das Lebenszentrum anschloss. Die meisten Menschen waren großgewachsen mit dunklen Haaren und elegant in Seide gekleidet. Die Angehörigen der Gilden auf dem Markt waren etwas kleiner, viele von ihnen hatten orange Haare und trugen Leinensachen. Alle sahen elegant und stolz aus. Es war ein schönes und buntes Treiben in dieser Stadt, sie genoss den Anblick in der Mittagssonne, bis ihr etwas auffiel.
"Captain Dorgan, wo sind die Kinder?"
"Nun, die meisten von ihnen sind in der Schule. Viele wohnen auch in den Schulen. Es ist bei uns so üblich, die Kinder getrennt von den Erwachsenen zu halten."
Als er Helenas überraschtes Gesicht sah, verbesserte er sich.
"Das war wohl nicht das richtige Wort, ich meinte, sie leben in Kindergruppen, um besser gefördert zu werden. Wir tun alles für das Wohl unserer Kinder." Helena blickte ihn an.
"Haben Sie Kinder, Captain Dorgan? Wir konnten auf Mondbasis Alpha bisher keine Kinder haben, aber ich denke, ich hätte meine Kinder immer gerne bei mir. Auch auf der Erde gab es viele verschiedene Erziehungs- und Förderungsansätze, aber in den letzten Jahren ist man zu der anerkannten Meinung gekommen, dass Kinder sich am besten in ihrem häuslichen Umfeld entwickeln. Damit Familien sich es auch leisten konnten, ihren Kindern die nötigen Anreize zu bieten, gab es viele Programme. Aber unsere Kinder wohnten bei ihren Familien." Sie seufzte und schaute verträumt auf den Marktplatz. "Ein schöner Gedanke, dass es für uns doch noch wahr werden könnte." Captain Dorgan betrachtete sie, wie sie angestrahlt von der Sonne dastand.
"Ja, Dr. Russell, da hat wohl jede Gesellschaft ihre eigene Meinung und Vorstellung. Nein, ich habe noch keine Kinder, mir fehlt noch die passende..."
Er suchte kurz nach dem richtigen Wort, und Helena war sich nicht sicher, ob er es dann auch tatsächlich so gemeint hatte.
". Frau gefunden. Aber das kann sich ja schnell ändern." Mit diesen Worten blickte er sie herausfordernd an. Helena fühlte sich unwohl und lenkte schnell ab.
"So, jetzt habe ich uns aber genug aufgehalten, werden wir nicht schon im Lebenszentrum erwartet? Ich bin schon ganz gespannt." Dorgan nickte und führte sie zügig zu dem Gebäude, in dem sich das Lebenszentrum befand. Es war in einer Seitenstraße gelegen. Ein rundes weißes Gebäude mit einem hohen Dach, auf dem eine Art Sonnenkollektoren installiert war. An der Tür waren Symbole angebracht, die vage an einen Äskulap-Stab erinnerten. Sie traten in eine kleine Empfangshalle, von der aus mehrere Gänge in unterschiedliche Abteilungen führten. Dorgan trat an die Rezeption heran und sprach mit einer streng aussehenden Dame mittleren Alters, die ein weißes Bauwollkleid trug.
"Wir werden von Dr. Ron Brahn erwartet, bitte lassen Sie ihn rufen."
Die Frau sprach in ein Kommunikationsgerät. Kurze Zeit später trat Dr. Brahn durch eine Tür und begrüßte sie.
"Ah, Dr. Russell, schön Sie hier zu sehen, seien Sie willkommen in unserem Lebenszentrum. Ich zeige Ihnen gleich unsere Labore und mache Sie mit meinen Kollegen bekannt. Gerne können wir heute auch schon mit Tests anfangen. Wenn Sie mir bitte folgen wollen." Helena wandte sich an Captain Dorgan.
"Vielen Dank fürs Herbringen, Captain. Sagen Sie, was ist für heute geplant? Wann werde ich Prof. Bergmann und Commander Koenig wieder treffen?"
"Heute nicht mehr, wie Sie wissen, sind die beiden bei der Planetenbesichtigung, sie werden die Nacht bei der Botanikergilde verbringen. Wahrscheinlich kommen sie übermorgen zurück. Ich lasse Sie nachher von Snap Kobran abholen. Für sie haben wir im Gästetrakt des Stadtpalastes ein Zimmer vorbereitet. Bis später, wir sehen uns zum Abendessen." Er nickte Dr. Brahn kurz zu und verließ dann das Lebenszentrum.
Helena fühlte sich ein wenig verloren und die Aussicht auf ein gemeinsames Abendessen machte sie nicht froh. Wenn doch Victor und John hier sein könnten, aber sie durfte sich nichts anmerken lassen. Diese Menschen waren wahrscheinlich ihre neuen Nachbarn! Wenn alles so war, wie es den Anschein hatte, würden sie ihnen ein Heim und eine Zukunft bieten. Bisher bestand also kein Grund, misstrauisch zu sein, sie riss sich zusammen und wandte sich lächelnd an Dr. Brahn.
"Dr. Brahn, ich freue mich sehr, ihre Kollegen kennen zu lernen. Wollen wir?" Er nickte und führte sie durch einen langen Korridor in ein Labor. Dort warteten schon verschiedene Ärzte auf sie. Dr Brahn stellte sie vor und sie hatte das Gefühl, als wäre sie auf einem Prüfstand. Anscheinend war das Ergebnis in Ordnung, die Ärzte nickten einander kaum merklich zu. Dr. Brahn ergriff wieder das Wort.
"Wie wir alle wissen, gehören Dr. Russell und die Bewohner der Mondbasis zu der Rasse der Menschen. Wenn ich es recht verstanden habe, sind die Lebensbedingungen auf der Erde denen unseres Planeten recht ähnlich. Unsere Aufgabe ist es, jetzt herauszufinden, ob die Menschen ohne Probleme für sie und für uns auf Syrion leben können. Da die Zeit begrenzt ist, schlage ich vor, wir beginnen gleich mit einigen Tests. Dr. Russell, Sie können uns gerne über alles Fragen stellen. Aber ich denke, so kommen wir am schnellsten zu Ergebnissen." Helena nickte.
"Sie haben Recht, Dr. Brahn, wir haben noch ca. 90 Stunden Zeit, um unsere Operation Exodus in die Wege zu leiten. Je früher wir anfangen, desto besser. Unsere Leute auf Alpha können es sicher auch kaum erwarten."
Eine Ärztin führte Helena zu einer Liege, wo man ihr sogleich Blut abnahm. Nach einer Stunde, die sie mit den unterschiedlichsten Tests verbracht hatte, kam sie sich allmählich wie ein Versuchstier vor. Man beantwortete zwar höflich alle ihre Fragen, aber sie hatte das Gefühl, als suchten die Ärzte etwas Bestimmtes, und bisher hatte sie noch keine Gelegenheit gehabt, selber Tests durchzuführen. Mittlerweile war es schon fast Abend, mit einem Mal fühlte sie sich sehr müde. Sie wollte gerade etwas sagen, als ihre Beine nachgaben und es dunkel um sie wurde. Dr. Brahn kam gerade rechtzeitig, um sie aufzufangen. Er legte sie auf die Liege.
"Schnell, Dr. Otta, lassen Sie uns Rückenmarksflüssigkeit entnehmen, sie wird nicht lange ohnmächtig sein."
Als Helena wieder zu sich kam, lag sie auf der Liege. Dr. Brahn beugte sich über sie.
"Sachte, Dr. Russell bleiben Sie noch etwas liegen, Sie waren kurz ohnmächtig. Es ist schon spät, wir haben Sie offensichtlich überanstrengt. Sie müssen sicherlich sehr hungrig sein. Wir sollten für heute Schluss machen, die ersten Ergebnisse sind sehr vielversprechend. Snap Kobran wird gleich hier sein, und Sie zu Ihrer Unterkunft geleiten. Wir sehen uns dann morgen früh."
Helena war verwirrt. Was war wirklich passiert, sie hatte das Gefühl, als hätte man ihr ein leichtes Sedativum gegeben und sie verspürte ein leichtes Ziehen am unteren Rücken, das sie sich nicht erklären konnte. Sie fühlte sich sehr alleine und hätte alles für Johns aufmunterndes Schulterklopfen gegeben. John, dachte sie, hoffentlich geht es dir gut. Wie gerne hätte sie den Abend mit ihm verbracht! Die Aussicht auf ein Essen mit Captain Dorgan war nicht sehr verlockend. Dennoch war sie froh, aus dem Labor herauszukommen. Die Art und Weise, wie sie jeder ansah, machte sie nervös.
"Danke, Dr. Brahn, ich weiß Ihre Fürsorge zu schätzen, aber mir geht es sehr gut. Wie Sie bemerkt haben, bin ich in der Tat sehr hungrig. Ich freue mich auf morgen, wenn wir die Ergebnisse durchgehen und ich einige von meinen Tests machen kann. Vielen Dank Ihnen allen." Sie lächelte in die Runde und machte sich auf den Weg zum Ausgang. Dort kam ihr bereits Snap Kobran entgegen.
"Ah, Dr. Russell, da sind Sie ja, können wir gehen? Captain Dorgan erwartet uns zum Essen."
"Ja, danke ich bin fertig. Sagen Sie, Mr. Kobran, kann ich mich vorher noch etwas frisch machen?"
"Aber natürlich ihr Zimmer ist vorbereitet. Dort finden Sie alle notwendigen Dinge."
Als Helena das Zimmer verlassen hatte, versammelten sich alle Ärzte um Dr. Brahn. Reesa Otta, eine der älteren Ärztinnen, wandte sich mit einem Lächeln an Ron.
"Sie ist perfekt. Wenn die anderen auf dem Mond auch sind wie sie, werden wir eine reiche Ausbeute haben. Es ist wirklich verblüffend, wie ähnlich sie uns sind! Damit könnten wir unsere genetischen Probleme hoffentlich bald lösen. Ich kann es kaum erwarten, sie alle hier zu haben. Sag mal, Ron, der Commander soll doch ein gut aussehender Kerl sein. Den würde ich mir gerne mal genauer anschauen. Wann kommen sie zurück von der Erkundung?"
"Soweit ich weiß, werden sie für übermorgen wieder hier erwartet. Ja, er sieht in der Tat gut aus, eine Bereicherung für den genetischen Pool."
Reesa lächelte maliziös vor sich hin. In Gedanken wusste sie schon recht genau, welchen Tests sie den Commander unterziehen wollte.
Snap lieferte Helena in ihrem Quartier ab und versprach, sie in einer Stunde abzuholen.
"Dr. Russell, es wurden Kleidungsstücke für Sie gebracht. Captain Dorgan würde sich freuen, wenn sie das Kleid heute Abend tragen würden. Wenn Sie erlauben, lasse ich Ihre Uniform gleich abholen, damit sie gereinigt wird."
Mit diesen Worten entfernte er sich. Helena blickte ihm irritiert hinterher. Sie schüttelte sich und dann sah sie sich in ihrem Quartier um. Es war ein wunderschönes helles Zimmer mit großen Fenstern und einem Erker. Da es im ersten Stock des Gästetrakts lag, hatte man einen eindrucksvollen Blick über die Stadt. Mittlerweile war die Sonne untergegangen und überall brannten Lampen. Es war ein schöner und friedlicher Anblick. An den Zimmerwänden befanden sich Malereien mit mystischen Motiven. Sie schienen eine Geschichte zu erzählen. Hatte es hier einmal Drachen gegeben? Helena musste ein wenig schmunzeln, ein Bild erinnerte sie an die Sage vom Kampf des heiligen Georgs gegen den Drachen. Neugierig schaute sie sich weiter um. Das Bett hatte einen Himmel aus gelber Seide, die wunderbar schimmerte. Die Bettdecke war aus handgefertigtem Leinen in einem zarten Orange gehalten. Es sah alles sehr gemütlich und einladend aus. Als sie weiterging, kam sie in ein Badezimmer. Es war in Erdtönen gehalten mit einer Art Wasserbecken, das in den Boden eingelassen war. Helena überkam plötzlich der unbändige Wunsch, ein Bad zu nehmen. Wie lange war dieser Luxus schon her? Sie zögerte nicht lange, zog sich umgehend ihre Uniform aus, und glitt in das angenehm temperierte Wasser. Wie von Zauberhand wurde aus einer Düse ein angenehm duftender Badezusatz hinzugegeben. Helena seufzte genießerisch. Ja, so ließ es sich aushalten! Sie schloss die Augen und ließ ihre Gedanken treiben. Unwillkürlich hielten diese bei John an. Wie es ihm wohl ginge? Sie vermisste ihn. Sie war so daran gewöhnt, ihn tagtäglich um sich zu haben, dass sie nun eine gewisse Leere spürte. Victor hatte Recht, er bedeutete ihr mehr, als sie bisher zugeben wollte. Eine Zeitlang ließ sie ihren Gedanken freien Lauf und erlaubte ihnen, in Regionen zu wandern, die sie ihnen bisher verboten hatte. Viele schöne Momente und zarte Berührungen fielen ihr ein und einige Begebenheiten mit John sah sie nun in einem anderen Licht. Sie zuckte zusammen, als sie plötzlich eine Stimme hörte. Da fiel ihr ein Gerät in der Nähe des Waschtischs auf, es schien eine Art Kommunikator zu sein.
"Dr. Russell, hier ist Snap Kobran, ich werde Sie einer Viertelstunde abholen."
Sie schüttelte den Kopf. War es tatsächlich schon so spät? Schnell stieg sie aus dem Wasserbecken, auf einem Stuhl lag ein wunderbar flauschiges und wohl duftendes Handtuch, das sie sich umband. Zurück im Schlafzimmer fand sie ein sehr schönes dunkelblaues langes Kleid. Es war aus einem schimmernden, sehr anschmiegsamen Material mit zwei kurzen Ärmeln und saß wie angegossen. Für Helenas Geschmack hatte es ein etwas zu tiefes Dekolleté, aber da ihre Uniform doch schon sehr mitgenommen war, hatte sie keine andere Wahl. Als Snap sie kurz darauf abholte, war sie fertig. Ein Blick in seine Augen sagte ihr, dass das Kleid ihr gut stand.
"Wer wird noch bei dem Essen zugegen sein? Ich bin sehr gespannt, Ihre Leute kennenzulernen."
"Es werden einige Mitglieder des Rates und Vertreter der Gilden da sein."
Sie gingen einen langen Gang entlang, als sie vor der großen Ratskammer ankamen. Bei ihrem Eintritt verstummten die Gespräche. Helena fühlte sich plötzlich wieder unwohl. Erneut hatte sie das Gefühl, taxiert zu werden. Captain Dorgan kam ihr entgegen. In seinen Augen lag ein bewunderndes Glitzern.
"Dr. Russell, wie schön. Darf ich sagen, die syrionische Kleidung steht Ihnen ausgezeichnet. Erlauben Sie mir, Ihnen unsere geschätzten Gildenvorsteher vorzustellen."
Er machte sie der Reihe nach mit den Anwesenden bekannt. Es waren ca. 20 Personen, alles hoch gewachsene Menschen mit dichten dunklen oder orangen Haaren - so, wie sie sie heute schon auf dem Markt gesehen hatte. Sie wurde freundlich von jedem begrüßt. Alle trugen elegante lange Gewänder in verschiedenen Farben, von denen sie annahm, dass sie zu den Gilden gehörten. Schließlich setzte man sich und sodann wurden Speisen aufgetragen. Drako schenkte ihr eine Art Wein ein, der sehr gut mundete und offensichtlich Einiges an Alkohol enthielt. Da es auf Alpha nur synthetischen Wein gab, dem sie eher selten zusprach, fühlte sie bald eine gewisse Leichtigkeit und wusste, sie musste sehr vorsichtig sein, was nicht so einfach war, weil Drako ihr immer zügig nachschenkte. Der Abend verging schnell mit angenehmer Konversation und gutem Essen. Helena genoss alles, was sie so lange entbehrt hatte. Allmählich verließ einer nach dem anderen die Tafel und verabschiedete sich freundlich von Helena. Plötzlich saß sie mit Drako alleine am Tisch. Sie erhob sich.
"Captain Dorgan, es ist schon sehr spät, ich möchte Sie nicht länger aufhalten. Vielen Dank für diesen netten Abend. Es war alles wundervoll und ich danke Ihnen und Ihrem Volk für die Gastfreundschaft. Ich kann es kaum erwarten, allen davon zu berichten. Wenn Sie mich nun entschuldigen, so würde ich jetzt auch gerne schlafen gehen. Ich bin sicher, es wird ein anstrengender und aufregender Tag morgen." Captain Dorgan hatte sich ebenfalls erhoben.
"Meine liebe Dr. Russell, es war mir ein Vergnügen, Sie heute hier zu haben. Ich bin sicher, wir werden zukünftig Gelegenheit haben, dies noch oft zu wiederholen. Darf ich Sie zu Ihrem Quartier begleiten?"
Seine Augen funkelten und übten damit eine leicht hypnotisierende Wirkung auf Helena aus. Er kam langsam auf sie zu und umfasste ihre Schulter. "Kommen Sie, Sie haben ganz Recht, es ist schon sehr spät."
Mit diesen Worten führte er sie den Gang entlang zu ihrem Zimmer. Helena war immer noch leicht benommen und wusste nicht, ob es am Wein lag oder an seiner Ausstrahlung. Vor ihrem Zimmer überkam sie ein Gefühl der Panik.
"John", dachte sie "wo bist du nur!" Der Adrenalinstoß half, klar zu denken.
"Vielen Dank, Captain Dorgan, sehr aufmerksam von Ihnen. Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht." Mit diesen Worten gab sie ihm kurz die Hand und huschte dann schnell in ihr Zimmer. Captain Dorgan schaute erstaunt auf die geschlossene Tür. Sie war stärker als er angenommen hatte. Genießerisch leckte er sich über die Lippen. Nun gut, umso besser, letztendlich hatte sie keine Chance, und er würde bekommen, was er wollte. Mit einem kalten Lächeln wandte er sich um und ging in sein Quartier.
Helena lehnte sich aufatmend von innen an die Tür und lauschte auf die Schritte, die sich langsam und zögerlich entfernten. Zum Glück hatte die Tür ein Schloss, dies verriegelte sie umgehend und stellte zur Sicherheit noch einen Stuhl vor die Tür. Mit dem Gefühl, einer Gefahr entkommen zu sein, machte sie sich schnell bettfertig und schlüpfte dann mit einem wohligen Seufzen unter die Bettdecken. Es war ein himmlisches Gefühl und kaum hatte ihr Kopf die Kissen berührt, war sie auch schon eingeschlafen.
Dann begann der Traum. Eine Frau rief ihren Namen. Sie wusste, sie hatte sie schon einmal gesehen, konnte sich aber nicht erinnern wo. Helena wälzte sich auf dem Bett hin und her.
"Helena, komm und sieh, wir sind hier, um dir zu helfen. Folge mir." In der Ferne erschien eine schwarzgekleidete Frau und winkte ihr zu. "Komm! Noch können wir dich retten!" Sie ging hinter der Frau her und es war, als schwebte sie über das Land. Unter sich sah sie die Stadt, Wiesen und Felder, Berge und Flüsse und zuletzt das Meer. Dann wurden sie langsamer und sie kamen in einen tiefen schwarzen Wald. Tiefer und tiefer wurde sie hineingeführt, bis zu einer Lichtung. Dort war ein großes Gebäude, das sie an ein Kloster auf der Erde erinnerte. Am steinernen Tor stand eine Frau ebenfalls in schwarz gekleidet und verschleiert. Sie hatte eine Fackel in der Hand und deutete ihr, ihr zu folgen. Sie schritt über einen Gartenweg zum Haupthaus. Die Eingangstür öffnete sich und Helena trat ein in eine große Halle, deren Dach kuppelförmig zusammenlief. Es gab hohe Fenster, die mit unterschiedlichen Motiven geschmückt waren. In der Mitte stand ein riesiger runder Holztisch, an dessen einem Ende eine ältere Frau saß. Sie war ebenfalls in Schwarz gekleidet und durch ihr dichtes schwarzes Haar blitzten einige graue Strähnen. Als Helena eintrat, erhob sie sich und begrüßte sie herzlich.
"Helena, meine Liebe, ich weiß, es kommt dir vor wie ein Traum, aber du bist wirklich hier. Wir waren schon in deinen Träumen auf Alpha, aber da waren wir zu weit entfernt. Die Reichweite unserer telepathischen Fähigkeiten ist begrenzt. Bitte setz dich, wir haben dir viel zu erzählen. Mein Name ist Mirsa Waran, ich bin die Oberin der Schwesternschaft der schwarzen Mutter und ich heiße dich herzlich in unserem Haus willkommen. Bitte bringt Helena etwas von unserem Jobanektar zu trinken, ich nehme an, du hattest heute schon genug Wein. Ich kenne Captain Dorgan und weiß um seine dunkle Seele."
Helena setze sich völlig verwirrt an den Tisch und nahm dankbar den Becher entgegen, um den Nektar zu kosten. Sie hatte das Gefühl, alles plötzlich viel klarer zu sehen. Seltsamerweise zweifelte sie keine Sekunde an den Worten der Frau, sie wusste, sie war tatsächlich hier und sie erinnerte sich auch schemenhaft an ihren Traum und an die Warnung und an John (oder war das ein anderer Teil des Traumes gewesen der sie leicht erröten ließ).
"Mirsa, was hat das alles zu bedeuten?" Mirsa blickte sie mit ihren schönen leuchtend grünen Augen an.
"Das ist eine sehr lange Geschichte. Du musst wissen, wir Syrioner stammen alle von Sinaja ab. Sie ist die Quelle allen Lebens auf diesem Planeten. Die schwarze Mutter brachte sie vor vielen Äonen auf diesen Planeten, um ihm Leben einzuhauchen.Sie existiert als Teil des Planeten, wir betrachten sie gerne als die Seele unserer Welt. Sinaja ist den Syrionern besonders eng verbunden, sie gab uns das Leben, indem sie ihre DNA mit uns teilte. . Eine Verletzung ihrer DNA hat eine globale Veränderung zur Folge, genauso, wie die unkontrollierte Manipulation an der syrionischen DNA sie verletzt. So vergingen viele Jahre, in denen der Planet und seine Bewohner sich entwickelten. Wir verehrten die schwarze Mutter als unsere Beschützerin und Sinaja als ihr Werk, das uns Leben brachte. Die Syrioner waren schon immer große Forscher und als Wissenschaftler fingen sie an, die Existenz von Sinaja und schließlich auch die der schwarzen Mutter anzuzweifeln. Der Zweifel säte Zwietracht und Uneinigkeit, und das Unvermeidliche geschah: der große Krieg begann. Es waren schlimme Zeiten. Mächtige Kriegsherren auf beiden Seiten wollten die Gesamtherrschaft. Unsere eigentliche Leidensgeschichte beginnt vor ca. 300 Jahren eurer Erdenzeit. Damals führten die Menschen von Syrion schon lange Krieg miteinander. Die Waffen und Methoden wurden immer ausgefeilter und grausamer und beide Seiten nahmen keine Rücksicht mehr auf das Leben, es ging nur noch um Machtgier und Ländergewinn. In dieser Zeit fingen die Wissenschaftler mit genetischen Experimenten an, beide Seiten versuchten unabhängig voneinander, den Supersoldaten zu erschaffen. Durch Verrat und Betrug gelangte eine Kriegsseite an wichtige Forschungsergebnisse des Gegners. Was dann folgte, war das Chaos. Die Wissenschaftler vermischten die Ergebnisse, was nie so geplant war. Dies veränderte alle Syrioner, und mit der Veränderung des syrionischen Genpools wurde Sinaja verletzt. Diese Verletzung war so schwerwiegend, dass die Schäden an ihrer DNA globale Auswirkungen auf alle Syrioner zur Folge hatte. Die Syrioner, die du bisher kennengelernt hast, sind alles Nachtgänger. Du wirst es vielleicht kaum glauben, aber bei Nacht werden sie zu wilden Bestien, die durch die Wälder schleichen. Die meisten Kinder werden als Halblinge geboren und entwickeln erst bis zu ihrem 10. Lebensjahr die syrionische Gestalt. Deshalb siehst du auch in den Städten keine Kinder, sie werden in Horten gehalten und dressiert, damit sie keine Gefahr für die Syrioner darstellen. Die Mitglieder der ursprünglichen Schwesternschaft wurden verschont, weil sie das Wissen um die schwarze Mutter und Sinaja bewahrten und sorgfältig mit dem Leben umgingen. Wir sind die Bewahrerinnen des Glaubens, der Wahrheit. Unser Leben haben wir dem Dienst an der schwarzen Mutter gewidmet. Es gehört zu unseren Aufgaben, den Syrionern Beistand zu gewähren und ihnen zu helfen, wo es nur geht. Der oberste Lenker versucht schon seit langer Zeit, uns zu töten, weil wir die Wahrheit kennen und sie leben, aber bisher konnte er unserer noch nicht habhaft werden. In vielen von uns ist die unversehrte DNA der Schwesternschaft erhalten, so dass wir nicht viele Nachtgänger in unseren Reihen haben. Wir glauben, die Zeit des Wandels steht bevor, auch viele Syrioner hoffen darauf und so steigt die Zahl der Gläubigen, obwohl sie nur im Geheimen zu uns kommen, aus Angst vor dem großen Lenker."
Mirsa schaute ihn Helenas bestürztes Gesicht.
"Ja meine Liebe, ich sehe, dies alles kommt dir unglaublich vor. Vor allem, weil man euch so freundlich aufgenommen hat und euch eine Zukunft anbietet. Ich weiß so Einiges. Ich kann mir vorstellen, wie ihr euch danach sehnen müsst, endlich wieder sesshaft zu werden und auch Familien zu gründen."
Bei diesen Worten schenkte sie Helena ein wissendes Lächeln.
"Als ich dich in deinem Traum auf Alpha besucht habe, wurde ich ein Teil davon. John Koenig ist ein guter Mann und wird immer für dich da sein, vertrau deinem Herzen." Bei diesen Worten wurde Helena ganz heiß und sie hatte plötzlich einige Traumsequenzen wieder vor Augen. Der Gedanke, dass Mirsa das gesehen hatte, ließ sie schamrot werden. Mirsa lächelte und fuhr fort.
"Seit damals versuchten die Syrioner, die Schattenseiten des genetischen Defekts in den Griff zu bekommen. Das Gute an diesem Unfall war, dass der Krieg endete, man wusste, es gab Wichtigeres zu tun, als einander weiterhin zu töten. Um den Planten effektiv zu bewirtschaften und gleichzeitig weiter zu forschen, wurden Gilden gegründet. Am Anfang waren alle gleichgestellt und hatten ein gleich hohes Ansehen, im Laufe der Zeit wurde die Soldatengilde jedoch immer stärker. Seit vielen Jahren entstammt der oberste Lenker dieser Gilde. Einst wurde sie gegründet, um uns zu verteidigen, gegen äußere und innere Feinde. Dies machen sie heute immer noch, aber nun gehen sie viel offensiver vor. Diese Reisen zu anderen Planeten sind keine wirklichen Forschungsreisen. Mittlerweile sind die Syrioner im benachbarten Planetensystem bekannt und gefürchtet. Sie suchen ständig kompatible Rassen, um sie für ihre genetischen Experimente zu nutzen. Rassen, die nicht kompatibel sind, werden versklavt und müssen für unseren Lebensunterhalt arbeiten."
"Aber ich dachte..." Mirsa unterbrach Helena.
"Ja, ich weiß, mein Kind, sie haben euch die Geschichte von der perfekten Gesellschaft erzählt, in der alle für den Lebensunterhalt arbeiten, jeder gleich gut angesehen ist und keiner privilegiert ist. So sieht es vordergründig aus, aber alleine würden wir es nicht schaffen. Die Gilden der Handwerker und Bauern sind nicht so groß und ihr Ansehen ist im Laufe der Jahre gesunken. Wir sind Forscher und Denker, wir experimentieren, aber die Dinge des täglichen Lebens sind uns fremd geworden. Natürlich leistet jeder seinen Dienst bei den Ackergilden, aber das alleine ernährt uns nicht. Um uns diesen luxuriösen Lebensstandard zu garantieren, benötigen wir Hilfsarbeiter und neue Technologien. Die meisten Syrioner sind friedliebend und vertrauen auf den großen Lenker. Dieser kümmert sich um das Volk, aber oft mit fragwürdigen Mitteln. Die Hauptunterstützung erhält er aus der Gilde der Mediziner und Raumforscher. Du hast Dr. Brahn und Dr. Otta kennengelernt. Sie ist eine extrem skrupellose Frau. Ich habe einige ihrer Experimente gesehen und ich kann nur sagen, sie geht über Leichen. Genau wie Captain Dorgan bekommt sie in der Regel alles, was sie will. Das gilt auch für ihre Liebhaber. Bisher hat es noch keinen gegeben, der sich ihr widersetzt und es überlebt hätte. John Koenig ist ein recht gut aussehender Mann. Er sollte auf der Hut sein. Sie ist einer der grausamsten Nachtgänger. Ich kannte sie schon, als sie noch ein kleiner Halbling war, wir lebten zu dieser Zeit im gleichen Hort. Sie war damals schon sehr zielstrebig."
Helena blickte sie mit großen Augen an.
"Ja, auch ich bin ein Nachtgänger, aber die schwarze Mutter gibt mir Kraft, damit die Genderegulation keine Macht über mich gewinnt. Die Fähigkeit, in deinen Träumen zu erscheinen und dich zu uns zu bringen, verdanke ich einer weiteren Genmutation. Die meisten der Nachtgänger haben nur einen Gendefekt, wodurch sie sich nachts verwandeln können. Bei Einigen gab es durch die Veränderungen der DNA Weiterentwicklungen in den mentalen und auch körperlichen Fähigkeiten."
Bei dem Lächeln, das sie Helena schenkte, blitzten ihre spitzen weißen Eckzähne auf und mit der Haarpracht, die ihr Gesicht umspielte, hatte sie etwas von einem wilden Löwen an sich. Helena schauerte es unwillkürlich, in was waren sie da nur hineingeraten? Ihr fielen die Wandbilder in ihrem Zimmer ein, waren es am Ende keine Fabelwesen, sondern Mutationen? Sie musste schlucken, als sie daran dachte, in was für ein Wesen sich Captain Dorgan nachts verwandeln könnte.
"Mirsa, was wollen die Syrioner von uns und wie kommen wir hier wieder weg? Was ist mit John und Victor, sind sie in Gefahr?"
"Nun, zurzeit geht es ihnen gut. Die Gilde, in der sie zu Gast sind, ist eine friedliche und wissenschaftliche Gemeinde. Dort wird ihnen nichts geschehen. Ich nehme an, dass Victor es sehr interessant finden wird. Alles Weitere hängt von deinen Testergebnissen ab, die, wie ich befürchte, sehr gut sein werden. Viele Nachtgänger wünschen sich und vor allem ihren Kindern ein normales Leben. Du kannst dir vorstellen, wie schwer es ist, wenn man sein Kind erst mit 10 Jahren als menschliches Wesen in die Arme schließen kann. Viele Syrioner wollen keine Kinder, weil ihnen das Risiko zu groß ist. Es kommt immer noch zu spontanen Mutationen und viele davon führen zu mentaler Instabilität. Deshalb hat der oberste Lenker versprochen, nach Lösungen zu forschen. Das tut er bereits seit vielen Jahren. Aus Liebe zu ihren Kindern und in der Hoffnung auf Befreiung von dieser Seuche nehmen viele Syrioner die Experimente hin und glauben den Versprechungen und Lügen des obersten Lenkers. Die meisten wissen nicht um die Ergebnisse und wie viele Missgestaltete in den Fabriken ein trauriges Dasein fristen. Aber allmählich wird die Gesellschaft ungeduldig. Mit euren Genen könnte er ans Ziel gelangen. Gleichzeitig versucht er die DNA der verschiedenen Gilden so zu verändern, dass die körperlichen und oder geistigen Fähigkeiten noch mehr gesteigert werden. Er hat von meinen Fähigkeiten gehört und davon träumt er nun. Vor vielen Jahren, als weitere Mutationen bekannt wurden, ist es der Schwesternschaft mit Hilfe der schwarzen Mutter gelungen verschiedene Mutationssequenzen zu isolieren. Eine davon war die Fähigkeit zur Telepathie. Sie isolierten die DNA-Sequenzen, veränderten sie impften sie den Schwestern. Wie sich herausstellte, wurden Normale durch die Impfung zu Telepathen und die Nachtgänger erhielten die Fähigkeit der Teleportation. Für uns hat sich diese Eigenschaft als sehr nützlich erwiesen, wie du dir denken kannst. Dies ist unser größtes Geheimnis, das uns die schwarze Mutter anvertraut hat, und wir hüten es mit unserem Leben. Nun zurück zu euch. Wie es aussieht, könnte es ihnen mit eurer Hilfe gelingen, die Nachtgängermutation zu bekämpfen, wodurch wieder normale Kinder zur Welt kommen und gleichzeitig die gewünschten Eigenschaften weiter gezüchtet werden könnten. Aber glaub mir, der oberste Lenker würde euch nicht als gleichberechtigt akzeptieren. Euer genetischer Pool ist für die Forscher zu interessant, man würde ihn ausbeuten, aber nie eine willkürliche Mischung akzeptieren. Wenn ihr hierherkommt, wird man euch auf die Gilden verteilen, ohne das Recht auf Fortpflanzung, wie du weißt, gibt es viele Methoden, dies unbemerkt zu verhindern. Du bist Ärztin, Helena, du könntest eine wichtige Hilfe für sie sein. Solltest du dich aber weigern, werden sie dich kaltblütig aus dem Weg schaffen. Auch wenn Captain Dorgan dich begehrt, er würde nicht zögern, dich zu töten, solltest du seinen Plänen im Weg sein."
Helena war blass geworden. Wie sehr wünschte sie sich jetzt John an ihrer Seite! Es würde an der Situation nichts ändern, aber seine Stärke hatte ihr oft Halt gegeben. Sie vermisste seine Nähe und hätte alles für eine tröstende Umarmung gegeben. Gemeinsam hatten sie schon Einiges erlebt und die Gewissheit, auf den anderen bedingungslos zählen zu können, hatte eine tiefere Vertrautheit geschaffen, als sie bisher gedacht hatte. Er war unbemerkt ein Teil von ihr geworden und machte sie stark. Als sie Mirsa anblickte, sah sie Mitleid und Verständnis in deren Augen. "Wieso willst du uns helfen??"
"Nun, wir haben in der Tat unsere Gründe, euch zu unterstützen. Es gibt da eine sehr alte Prophezeiung und wir glauben, ihr seid ein Teil davon. Ich versichere dir, deine Fragen werden beantwortet werden. Ich bringe dich zur schwarzen Mutter, sie erwartet uns bereits."
Helena war unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Bisher hatte sie die schwarze Mutter für ein mystisches Geschöpf gehalten, sie konnte unmöglich eine reale Person sein! Was ging hier vor, war die Schwesternschaft doch nicht so selbstlos wie sie gedacht hatte? Welche Ziele verfolgte sie? Die Vorstellung von Mirsa als Nachtgänger machte ihr Angst, aber faszinierte sie auch gleichzeitig. Mirsa lächelte.
"Du hast Recht, dich zu fürchten, Helena, nur ein Dummkopf kennt keine Angst. Ich kann deine Gedanken hören, wenn ich will, aber um jetzt zu wissen, was du denkst, brauchte ich diese Fähigkeit nicht. Vertrau mir, die schwarze Mutter wird dir Vieles erklären. Es ist heute eine sehr helle Nacht, mein Nachtgänger drängt hervor. Wenn du erlaubst, möchte ich ihn dir gerne vorstellen, damit du uns besser verstehen kannst."
Helena gab ihr Einverständnis. Sie trat instinktiv und erschrocken einen Schritt zurück, als sich vor ihren Augen Mirsa in ein prächtiges Wesen verwandelte, das einer mächtigen Löwin sehr ähnlich sah. Unverwandt starrte die neue Mirsa sie aus intensiven grünen Augen an. Es waren wilde Augen mit einem großen Hunger, aber es schimmerten auch Güte und Weisheit durch. Als sie sprach, blitzen ihre spitzen Zähne.
"Ich sehe in deiner Erinnerung, was eine Löwin ist, und ich erkenne aus deinen Gedanken, was du in mir entdeckt hast. Ja, ich bin Mirsa, die Löwin! Ich danke dir, Helena, du hast ohne Vorurteil in meine Seele geblickt. Wir sind nun Schwestern, vertrau mir und komm!"
Helena fühlte sich völlig sicher, als sie an der Seite der Löwin in den Turm aufstieg. Sie spürte eine Verbundenheit, als wäre sie ein Teil von ihr. Vor einer großen hölzernen Tür hielt Mirsa an.
"Von hier an gehst du alleine weiter, die schwarze Mutter erwartet dich. Frag sie alles, was du wissen willst. Ich bin hier, wenn du zurückkommst."
Mit einem aufmunternden Blick stupste sie Helena an. Diese zögerte einen Augenblick, doch dann öffnete sie die Tür und trat ein. Sie war wie verzaubert. Im Raum stand ein großes schimmerndes Tor, durch das sie in eine andere Welt blicken konnte. Eine schwarz gekleidete Frau kam auf sie zu und lächelte. Die Frau schien alterslos zu sein, es ging eine Aura von Güte und Wissen von ihr aus.
"Tritt näher, meine Liebe. Ich habe viele Namen aber auf diesem Planeten kennt man mich als die schwarze Mutter. Mirsa hat dir von einer Prophezeiung erzählt und du hast sicherlich viele Fragen dazu, jedoch die Zeit drängt, denn die Nacht ist bald vorüber und dann musst du zurückkehren. Wisse mein Kind für das Geschick des Universums ist es wichtig, dass du, Victor und John Koenig gerettet werdet und ihr hier auf diesem Planeten eine Mission erfüllt. Eure Reise hat gerade erst begonnen und hier darf sie nicht enden. Meine Dienerinnen werden alles tun, um euch zu helfen. Du musst morgen Kontakt zu John Koenig und Victor aufnehmen und zu ihnen gelangen. Es ist wichtig, dass ihr zusammen seid. Sag, du musst wichtige Kompatibilitäts-Experimente bei den Botanikern vor Ort durchführen. Lehne alle weiteren Tests an dir ab. Sei sehr vorsichtig, Reesa darf keinen Verdacht schöpfen. Wenn du dort bist, habt ihr Folgendes zu tun..."
Helena hörte ihr gebannt zu. Sie fühlte die Last der Verantwortung auf ihren Schultern, aber auch die dringende Notwendigkeit zu handeln. Die schwarze Mutter schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln, bevor sie sich von ihr abwandte und durch das Tor schritt.
"Lebe wohl Helena, wir werden uns wiedersehen, auch wenn du mich nicht immer erkennen wirst. Ich wache über euch." Dann war sie verschwunden. Helena blickte ihr fasziniert nach, mit einem Seufzen begab sie sich zur Tür, wo Mirsa auf sie wartete.
Als die schwarze Mutter durch das Tor schritt, erwartete sie ein alter Mann. Er betrachtete sie voller Stolz.
"Arra, mein Kind, die Prophezeiung für Syrion wird sich bald erfüllen. Du hast sie auf einen guten Weg gebracht. Die Wunden der Erdenmutter werden heilen und damit wird auch die DNA der Syrioner wieder geheilt werden."
Mirsa hatte wieder ihre syrionische Form angenommen. Sie streckte Helena eine Hand entgegen, die diese dankbar drückte. Es war, als würde ihr durch diese Geste ein Teil der Verantwortung abgenommen werden.
"Ich weiß, es wartet eine schwere Aufgabe auf dich und deine Freunde, aber ich bin sicher, ihr werdet es schaffen. Vertrau auf die schwarze Mutter und auf unsere Hilfe."
"Mirsa, gibt es nicht doch eine Chance für uns, hier mit euch zu leben? Du weißt, wie sehr wir uns ein neues Zuhause und Familien wünschen, wir könnten uns doch anpassen."
Mirsa schüttelte traurig den Kopf.
"Nein, Helena, wenn sich die Prophezeiung erfüllt, wird sich alles ändern. Eure Reise ist noch lange nicht zu Ende. Es ist spät, die Nacht ist bald vorüber, und ich muss dich schnell zurückbringen. Wenn du erwachst, wirst du Captain Dorgan davon überzeugen, dich zu John und Victor zu bringen. Freunde werden euch dann weiterhelfen."
Sie fasste Helena bei der Hand und wenige Sekunden später waren sie wieder in Helenas Zimmer. Dann wurde ihr schwarz vor Augen. Mirsa blickte auf Helena hinab, als sich die Seele wieder mit dem Körper vereinte, und diese sanft weiterschlief.
"Lebe wohl, meine Seelenschwester, ich werde über dich wachen, so lange ich kann. Ich weiß, du bist stark, denn im Herzen bist auch du eine Löwin. Dhehala caba djamera."
Mit diesen Worten wandte sich Mirsa ab und schlüpfte in ihrer löwenähnlichen Gestalt behände durch das Fenster und in die Nacht. Der morgige Tag würde auch für sie anstrengend werden, sie musste sich noch vorbereiten. Mochte die Göttin mit ihr sein, es stand viel auf dem Spiel.
Victor und John hatten den entspannten Abend sehr genossen. Die Gildenmitglieder waren alle sehr wissbegierig und wollten alles über die Erde und das Leben der Menschen auf dem Mond wissen. Vom vielen Essen und dem guten Wein ein wenig berauscht, gab Victor einige Geschichten zum Besten, bei denen John sehr lachen musste. Er kannte seinen alten Freund kaum wieder! Dieser Planet schien ihm gut zu tun. Er selber fühlte eine Leichtigkeit im Herzen, die ihm ungewohnt war. Er ließ sich von Victors Begeisterung anstecken. Die Idee, sich hier niederzulassen und Familien zu gründen, gefiel ihm sehr. Bei diesem Gedanken musste er unwillkürlich an Helena denken. Er hätte sie gerne heute Abend an seiner Seite gehabt. Es war ein wichtiger Tag und er vermisste es, mit ihr darüber zu reden. Unbemerkt war sie zu einem wichtigen Bestandteil seines Lebens geworden, jemand mit dem man seine tiefsten Gedanken teilte, der einem Halt und Unterstützung gab, wo es notwendig war und einen nicht verzweifeln ließ in der Dunkelheit des Alls. Es war schon spät und John nutzte den Aufbruch der meisten Gäste, um sich ebenfalls zu verabschieden. Er fühlte, er musste noch ein wenig an die frische Luft, um seine Gedanken zu ordnen. War es tatsächlich erst ein Tag her, seit er dieses Gespräch über Helena mit Victor geführt hatte?
"Oberster Lenker, werter Ramadis, vielen Dank für dieses wunderbare Essen und die anregenden Gespräche. Ich freue mich darauf, diese fortzuführen und hoffe, wir werden bald Gelegenheit dazu haben. Bitte erlaubt, dass wir uns nun zurückziehen, es ist schon sehr spät, und morgen wartet viel Arbeit auf uns. Wir hoffen, wir können uns eines Tages für eure Gastfreundschaft revanchieren."
Mit diesen Worten gab er Ramadis die Hand und neigte den Kopf vor Drogardis.
"In der Tat haben wir morgen noch viel zu tun, Commander. Ich wünsche Ihnen eine angenehme Nachtruhe."
Drogardis hatte sich ebenfalls erhoben und deutete zwei Wachen, die beiden in ihre Unterkünfte zu begleiten. John und Victor teilten sich ein kleines Studio mit zwei zweckmäßig eingerichteten Schlafzimmern. Sie hatten einen Wohnraum, in dem es eine gemütliche Sitzecke gab. Alles war in sanfte Erdtöne gehalten. An den Wänden hingen kunstvoll gewebte Wandteppiche mit mythologischen Motiven, die John an die Geschichte vom Heiligen Georg, dem Drachentöter erinnerten. Auf einem kleinen geschnitzten Holztisch neben der Sitzecke stand ein Tablett mit Gläsern und verschiedenen Getränken. John und Victor beschlossen, noch einen Schlummertrunk zu sich zu nehmen. John roch an den verschiedenen Flaschen und entschied sich dann für etwas, das ihn sehr an irdischen Cognac erinnerte. Er schenkte sich und Victor ein und reichte das Glas seinem Freund. Victor ließ es sich genüsslich schmecken.
"Weißt du, so eine Flasche alten Cognacs habe ich noch in meinem Quartier auf Alpha, ich habe sie gut vor Helena versteckt. Bisher hat sich noch keine Gelegenheit ergeben, sie zu trinken, aber ich glaube, bald ist es soweit. Das hier ist fast zu gut, um wahr zu sein. Ich bin schon sehr gespannt auf morgen. Hoffentlich haben wir dann wieder Kontakt zu Helena, ich kann es kaum erwarten zu hören, was sie zu berichten hat."
Bei seinen Worten hatte sich Johns Gesicht verdunkelt.
"Was ist los John, was bereitet dir Sorgen?"
"Nun, es ist eigentlich nichts, nur so ein merkwürdiges Gefühl. Es ist schon, wie du sagst, fast zu schön, um wahr zu sein. Ehrlich gesagt, gibt es ein paar Dinge, die mich stören. Ich denke, Drogardis hält uns absichtlich von Helena fern. Sie wollen aus irgendeinem Grund verhindern, dass wir uns austauschen. Meine Intuition sagt mir, hier stimmt etwas nicht. Es gibt keine Kinder und meiner Ansicht nach kann diese Zahl von Menschen nicht das alles produzieren, was hier benötigt wird. Bei Drogardis habe ich das Gefühl, dass er uns abschätzt und bewertet, als wären wir eine Ware! Ich werde mich gleich noch ein wenig draußen umsehen. Du bleibst bitte hier."
Victor seufzte, er wusste, wenn John sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte er ihn kaum davon abbringen. Wenn er ehrlich war, musste er ihm Recht geben. Die Tatsache, dass sie von Helena nichts gehört hatten und sie in der Obhut dieses Captain Dorgans war, der sie mit den Augen zu verschlingen schien, gefiel ihm ganz und gar nicht. Auch er würde gerne wissen, mit welcher Technologie es den Gilden gelungen war, so viel zu produzieren. Also tat er, worum John ihn gebeten hatte. Als dieser durch das Fenster nach draußen stieg, blieb er im Sessel setzen, schenkte sich noch einen weiteren Cognac ein und hing seinen Gedanken nach.
John schlich leise an der großen Versammlungshalle vorbei, die nun völlig im Dunklen lag. Ein Stück weiter Richtung Wald kam er zu einer Art Scheune. Vorsichtig spähte er durch ein Fenster. Was er sah, ließ ihn erstarren. In der Scheune schliefen zahllose merkwürdig aussehende Wesen. Es sah aus wie ein Lager, mit vielen Betten, einer kleinen Küche und einem großen Tisch, an dem noch einige saßen. Als John näher hinblickte, konnte er einzelne Kreaturen erkennen. Alle hatten ein annähernd menschliches Aussehen, aber jeder hatte eine Anomalie aufzuweisen. So stellte er sich misslungene genetische Experimente vor. Er zuckte zusammen und duckte sich tiefer in den Schatten, als sich jemand näherte. Es war Ramadis, er ging in die Scheune. Die Kreaturen am Tisch erhoben sich. Ein männliches Wesen näherte sich Ramadis, der sie ansprach.
"Guten Abend, Koranis, ich wollte euch mitteilen, dass ihr morgen sehr früh auf das Feld am Sonnenhang gebracht werdet. Ihr dürft den Fremden nicht begegnen. Sie wissen nichts von eurer Existenz und so soll es vorerst auch bleiben. Geht nun schlafen."
Mit diesen Worten drehte er sich um und verließ die Scheune. Als John sicher war, das er im Haus war, betrat er die Scheune. Koranis, wie Ramadis ihn genannt hatte, zuckte erschrocken zusammen, als er John sah. Dieser hob beschwichtigend die Hand.
"Ihr habt nichts vor mir zu befürchten, ich komme in Frieden. Mein Name ist John Koenig, ich bin einer der Fremden. Wer seid ihr?" Einige Gestalten kamen näher und betrachteten ihn misstrauisch. Koranis, der offensichtlich der Anführer war, betrachtete ihn nachdenklich. Dann gab er den anderen ein Zeichen. Sie setzten sich an den Tisch und baten John dazu.
"Wir sind alle Wesen von anderen Planeten. Die Syrioner haben uns entführt und mit uns experimentiert. Bis jetzt haben sie noch nicht gefunden, wonach sie gesucht haben. Wir sind verdammt, für sie zu arbeiten bis an unser Lebensende."
Als er Johns ungläubigen Blick sah, fuhr er fort.
"Ich weiß, die Syrioner sind sehr freundlich und zuvorkommend, auf den ersten Blick hält man sie für ein friedfertiges Volk, das sich der Forschung verschrieben hat. So haben wir sie auch kennengelernt. Seit vielen Jahren fliegen sie durch das Universum auf der Suche nach einem Heilmittel für ihre Krankheit. Sie kamen zu uns als friedliche Forscher. Unsere Rasse ist noch nicht so weit entwickelt und unsere Raumschiffe haben nur eine sehr begrenzte Reichweite. Die Syrioner versprachen uns ihre Hilfe. Einige sollten mit zu ihrem Planeten fliegen, damit wir mehr über ihre Technologie lernen könnten. Dafür bekamen sie von uns Rohstoffe. Als wir auf dem Planeten ankamen, wurden wir medizinisch untersucht. Man sagte uns, sie müssten überprüfen, ob wir wirklich kompatibel sind und wir keinen Schaden nehmen, wenn wir uns auf ihrem Planeten aufhalten. Wir haben ihnen vertraut, es war alles so wundervoll und die Syrioner so freundlich. Dann trafen wir auf Dr. Otta, eine herzlose Frau. Sie unterzog uns verschiedenen Tests und am Ende war sie nicht sehr erfreut. Wir wussten nicht, was passiert war. Man sperrte uns ohne Erklärung in die medizinische Abteilung ein. Ich weiß nicht, was sie mit uns gemacht haben, aber wir waren alle einige Zeit bewusstlos. Als wir aufwachten, bemerkten wir, dass wir uns veränderten. Das Ergebnis siehst du jetzt. Einige Zeit blieben wir noch in der medizinischen Einrichtung, wo noch Tests mit uns gemacht wurden, dann kamen wir hierher."
John hatte nur noch einen Gedanken: Helena. Was würden diese Monster mit ihr anstellen? Sie war ihnen ausgeliefert und alleine. Er machte sich Vorwürfe, sie zurückgelassen zu haben.
"Koranis, warum machen die Syrioner das?" Koranis schüttelte traurig den Kopf.
"Ich bin mir nicht sicher. Soweit ich weiß, haben sie seit der Beendigung der großen Kriege einen genetischen Defekt. Selbst mit ihrer fortschrittlichen Medizin konnten sie sich noch nicht davon heilen. Offensichtlich benötigen sie außerirdische DNA. Deshalb fliegen sie durch das Weltall und bringen alle möglichen Rassen hierher, um mit ihnen zu experimentieren. Bisher erfolglos, wie du sehen kannst. Die meisten Syrioner sind in der Tat friedliche Wissenschaftler. Sie glauben dem obersten Lenker und hoffen auf Heilung. Viele wissen nicht einmal, dass es uns gibt. Wir werden für die Arbeiten in ihren Fabriken und auf den Feldern eingesetzt. Euch haben sie wahrscheinlich auch erzählt, dass jeder Syrioner mitarbeitet und somit alle ernährt werden können. In der Tat hat jeder seine Pflichtstunden, aber ihre Arbeitskraft alleine würde nicht reichen, selbst nicht bei der fortgeschrittenen Technologie, über die sie verfügen. Noch benötigen ihre Maschinen und Anlagen Lebewesen, die sie bedienen und kontrollieren, vor allem bei der Produktion der Lebensmittel. Da die Syrioner nicht genug Nachwuchs haben, müssen sie auf uns zurückgreifen. Von Zeit zu Zeit holen sie uns in die Stadt, um weitere Experimente durchzuführen oder um uns zu reproduzieren. Mittlerweile sind sie recht gut im Züchten bestimmter Eigenschaften. Unabhängig von der Lösung ihrer eigenen Probleme werden sie uns nie gehen lassen."
John sprang auf und begann, erregt auf- und abzulaufen.
"Ich verstehe es nicht! Wir müssen sie aufhalten!" Koranis blickte John traurig an.
"Es gibt keine Rettung. Wir haben uns mit unserem Schicksal abgefunden."
"Nein! Nein, das kann ich nicht glauben!"
Er ballte die Fäuste. Wenn Koranis Recht hatte, war Helena schon verloren! Damit konnte er sich nicht abfinden! Schließlich blieb er stehen, atmete tief durch und wandte sich wieder an sein Gegenüber.
"Danke für deine Offenheit, Koranis. Nur über meine Leiche kommen sie damit durch! Wenn es einen Weg gibt, werden wir ihn finden!"
Aufgebracht verabschiedete er sich von den Gefangenen und begab sich zurück zur Unterkunft. Vorsichtig schlich er sich an sein Zimmerfenster und stieg, nachdem er sich noch einmal umgeblickt hatte, leise hinein, um damit Victor, der tief in seinen Gedanken versunken war, fast zu Tode zu erschrecken.
"Mein Gott John, wo kommst du plötzlich her? Du siehst aus, als hättest du den Teufel gesehen." John nickte grimmig.
"So ähnlich ist es auch gewesen. Victor, ich hatte leider Recht, diese Syrioner sind nicht so, wie sie uns vorgaukeln. Wie es aussieht, sind wir alle in großer Gefahr!" Kurz berichtete er Victor, was er von Koranis erfahren hatte. Dieser hörte mit versteinertem Gesicht zu. Als John geendet hatte nickte er.
"Ja das macht Sinn. John, wir brauchen einen Plan. Vor allem müssen wir Kontakt zu Helena aufnehmen. Ich darf gar nicht daran denken, was sie mit ihr machen."
Er stoppte sich selber und blickte in Johns Augen. Er wusste, John machte sich ebenfalls große Sorgen und Vorwürfe, sie dort gelassen zu haben. Beschwichtigend legte er seinen Arm auf dessen Schulter.
"Nun andererseits ist Helena eine intelligente und mutige Frau, ich bin sicher, es geht ihr gut. Wie können wir vorgehen?" John nickte ihm, dankbar für die Aufmunterung, zu.
"Du hast Recht, wir müssen unbedingt herausfinden, was sie als Nächstes hier mit uns vorhaben. Wir sollten..." Bevor er den Satz zu Ende bringen konnte, hörte er ein Geräusch an der Tür. Er legte den Finger auf die Lippen. Victor nickte stumm. John schlich zur Tür und sah, wie ein Stück Papier hineingeschoben wurde. Als er die Tür aufriss, konnte er niemanden sehen, der Flur war leer. Er hob das Papier auf und zeigte es Victor.
"Sieh dir das an, jemand hat uns eine Nachricht geschrieben."
"Was steht da?"
Victor war ebenfalls aufgesprungen. John begann zu lesen.
"Bewohner des wandernden Mondes, seid uns gegrüßt. Wie ihr erfahren habt, liegt ein düsterer Schatten über diesem Planeten und seinen Einwohnern. Wir haben die Hoffnung, dass ihr die Prophezeiung erfüllt und uns von der Verdammnis befreit. Eure Freundin wird sich morgen wieder bei euch einfinden. Sie hat Instruktionen erhalten. Unser aller Schicksal steht auf dem Spiel. Hört nun die Prophezeiung: Vor vielen Jahren, als die Bewohner von Syrion noch erbitterte Kriege führten, wurde ein Zwillingspärchen geboren. Ein Junge und ein Mädchen. Der Legende nach hatte sie das Herz und den Mut einer wilden Löwin und er den Stolz und auch die Grausamkeit eines Drachen. Damals beteten die Einwohner von Syrion noch zur schwarzen Mutter und huldigten ihr. Als man die Kinder in den Tempel brachte, um für ihr Leben den Segen der schwarzen Mutter zu erbitten, sprach diese durch eine Dienerin. Es wurde geweissagt, dass durch die Taten der beiden Kinder der Krieg für immer beendet werden würde. Es wurde aber gewarnt, dass das Volk noch lange leiden müsste, bevor es endgültig gerettet werden könnte. Ein wandernder Mond würde ihren Weg kreuzen und mutige und mitfühlende Seelen würden das Volk der Syrioner von den Qualen befreien. Drei von ihrer Art müssen sich dem Drachen stellen, nur vereint können sie ihm Frieden geben und den Fluch aufheben. Der Drache wird sich mit dem Löwen vereinen und die Syrioner werden frei sein.
Das Volk war so froh über das Geschenk der Kinder, dass sich niemand gerne an den zweiten Teil der Prophezeiung erinnerte.
Tatsächlich wuchsen die Kinder zu großen Führern heran, die tapfer viele Schlachten schlugen. Im Inneren seines Herzens war der Junge davon überzeugt, besser als seine Schwester zu sein. Mithilfe seiner Berater intrigierte er gegen sie und sie musste letztendlich fliehen. Ihr gelang es, sich in Sicherheit zu bringen. Sie wusste von seinen Experimenten, mit denen er versuchte, eine ultimative Waffe zu entwickeln, um die Feinde ein für alle Mal zu besiegen. Sie hatte noch genügen Freunde und Unterstützer und entwickelte mit deren Hilfe ebenfalls eine Waffe, die sie dem Anführer der Gegenseite anbot. Sie tat es aus Verzweiflung, denn sie wusste, es war Zeit, diesen Krieg zu beenden, und sie wollte die Menschen nicht unter der Herrschaft ihres Bruders wissen. Fast gleichzeitig wurden beide Waffen aktiviert und damit wurde der Krieg tatsächlich beendet. Der Preis, den die Syrioner zahlen mussten, war die Beschädigung ihrer DNA. Seither suchte man nach einem Heilmittel. Bis jetzt jedoch vergeblich. Wie ihr vielleicht verstehen könnt, ruhen unsere Hoffnungen auf euch. Helft uns, damit wir euch helfen können."
John ließ das Dokument sinken und blickte Victor mit großen Augen an.
"Was hältst du davon, reichlich mysteriös und kein Absender."
"Hm, John, jedenfalls erklärt es so Einiges. Wir mir scheint, glaubt sowohl der oberste Lenker als auch der Verfasser dieses Schreibens, dass wir in irgendeiner Art und Weise hilfreich sein können. Hoffen wir darauf, dass Helena morgen tatsächlich zu uns kommt, sie kann uns vielleicht mehr erklären. Jetzt lass uns schlafen gehen, es wird sicherlich ein anstrengender Tag werden."
Mit diesen Worten erhob sich Victor und ging in sein Schlafzimmer. John tat es ihm nach, er konnte aber, als er im Bett lag noch lange kein Auge zubekommen. Zuviel ging ihm im Kopf herum. Vor allem die Sorge um Helena und ihre Sicherheit machten ihn schier wahninnig. Es war nicht nur die Sorge eines Commanders um seine wertvolle Mitarbeiterin, es war die Angst um einen guten Freund. Da war eine Stimme in seinem Kopf, die Gehör finden wollte, ein Gefühl, das ihn zu übermannen drohte, aber er scheuchte diese Gedanken wieder in die tiefen Niederungen seines Gehirns und konzentrierte sich auf die Fakten, die vor ihm lagen. Es musste ihnen gelingen, diesen Menschen zu helfen. Vielleicht bestand dann auch für sie die Chance hier ein Zuhause zu finden.
Als Helena am nächsten Morgen aufwachte, war sie zunächst verwirrt und brauchte einige Zeit, um sich zu orientieren. Ganz allmählich kamen ihr die Ereignisse der letzten Nacht wieder in Erinnerung. Fast glaubte sie, alles doch nur geträumt zu haben, als ihr Blick auf den Wandbehang fiel. Die Abbildung zeigte ein löwenartiges Wesen, das mit einem Drachen einen erbitterten Kampf führte. Da fielen ihr die Worte der schwarzen Mutter und deren Instruktionen wieder ein und sie wusste, was zu tun war. Sie seufzte. Es würde ein schwerer Tag werden, aber als Erstes musste sie zu John und Victor. Bei den Gedanken an die beiden Männer wurde ihr leichter ums Herz. Zu dritt würden sie schon einen Ausweg finden. Schwungvoll kletterte sie aus dem Bett und ging ins Badezimmer, wo sie, wie versprochen, ihre gereinigte Uniform vorfand. Sie musterte sich kritisch im Spiegel. Was hatte Mirsa gesagt, in ihrem Inneren wäre sie auch eine Löwin, oder so ähnlich. Helena blickte sich in die grünen Augen und musste lächeln, nun gut, wenn Mirsa ihr vertraute, wollte sie sie nicht enttäuschen. In diesem Augenblick klopfte es an ihre Zimmertür und sie zuckte zusammen, jedoch hatte sie sich sofort wieder im Griff.
"Ja bitte."
Herein trat eine junge Dame, die ihr Frühstück brachte.
"Seid gegrüßt, mein Name ist Lavia Snugot und ich habe den Auftrag, euch nach dem Frühstück zu Captain Dorgan zu bringen, außerdem wurde ich gebeten, euch dieses hier zu geben." Mit diesen Worten reichte sie Helena eine kleine Schachtel, die diese mit hochgezogenen Brauen entgegen nahm. Irgendetwas rührte sich in ihren Erinnerungen, aber sie war sich nicht ganz sicher.
"Vielen Dank Lavia, bitte setz dich doch und erzähle mir ein bisschen von dir."
Das Mädchen zögerte einen kurzen Moment, nahm aber dann am Tisch Platz. Sie war recht hochgewachsen und sehr schlank. Ihr feuerrotes Haar war zu einem komplizierten Zopf geflochten. Passend zu der Haarfarbe hatte sie ein wadenlanges grünes Leinenkleid und eine Kette mit einer Mondsichel um den Hals. Sie war noch recht jung und schien ein wenig befangen zu sein. Helena musste lächeln.
"Möchtest du mich etwas fragen? Irgendetwas scheint dich zu beschäftigen."
Lavia errötete leicht.
"Ich habe gehört, ihr kommt von einem wandernden Mond, ist das wahr? Wisst ihr, es gibt Geschichten darüber, und ich war nur neugierig." Verschämt brach sie ab.
"Ja wir leben wirklich auf einem Mond. Durch einen Unfall wurde dieser ins Weltall geschleudert und seitdem sind wir auf der Reise. Euer oberster Lenker macht uns Hoffnung, uns hier niederlassen zu können. Es ist sehr schön hier, nicht wahr."
Bei dieser Frage musterte sie Lavia genau. Unwillkürlich fragte sie sich, in was sich dieses reizende Kind bei Nacht verwandelte.
"Ja es ist sehr schön hier, aber bitte esst euer Frühstück, ihr müsst doch hungrig sein." In der Tat meldete sich ihr Magen und Helena griff beherzt zu. Sie probierte die Köstlichkeiten, die ihr Lavia gebracht hatte, und besonders das Heissgetränk, das sehr an irdischen Kaffee erinnerte, erfüllte sie mit Hochgenuss, kein Vergleich zu dem synthetischen Zeug, das man auf Alpha bekam. Gerne hätte sie diesen friedlichen Augenblick noch ausgedehnt, aber sie wusste, es war höchste Zeit zu gehen. Die Konfrontation mit Captain Dorgan war unausweichlich. Sie entschuldigte sich kurz bei Lavia und ging noch einmal ins Bad, um sich noch ein wenig zurecht zu machen. Im Bad öffnete sie die Schachtel. Ein goldenes Amulett mit einem Drachen und einem Löwen, die ineinander verschlungen zu sein schienen, lag darin. Das Gespräch mit der schwarzen Mutter fiel ihr wieder ein. Mit zittrigen Händen nahm sie das Amulett und legte es um, aber verbarg es unter ihrer Uniform. Sie blickte noch einmal in den Spiegel.
"Nun Helena, zeig, dass du eine Löwin sein kannst, es steht für uns alle sehr viel auf dem Spiel!" Sie straffte die Schultern und atmete tief durch, bevor sie wieder ins Zimmer zurückging, wo Lavia schon an der Tür stand. Schweigend gingen die beiden Frauen neben einander her, bis sie vor der Tür zum großen Saal standen. Lavia öffnete die Tür und verabschiedete sich.
"Ich wünsche Euch viel Glück."
Mit diesen Worten drehte sie sich schnell um und verschwand. Helena schritt durch die Tür und begrüßte Captain Dorgan, der mit einigen Beratern am Tisch saß.
"Guten Morgen, Dr. Russell, schön, Sie zu sehen. Haben Sie gut geschlafen?" "Ja vielen Dank, Ihre Gästezimmer sind sehr komfortabel. Captain Dorgan, es ist notwendig, dass ich mich mit Commander Koenig und Professor Bergmann treffe. Wir müssen wirklich dringend einige biologische Experimente durchführen, für die ich die beiden unbedingt benötige. Es wäre sehr freundlich, wenn man mich dorthin fliegen könnte, da wir für diese Tests nur ein bestimmtes Zeitfenster zur Verfügung haben. Und ich brauche auch meinen Untersuchungskoffer, den habe ich wohl gestern im Lebenszentrum stehen gelassen."
Captain Dorgans runzelte die Stirn.
"Nun Dr. Russell, eigentlich sollten Sie doch bei Dr. Otta Tests durchführen, die ebenfalls sehr essentiell sind. Nicht wahr?"
"Das stimmt, aber von den Ergebnissen der Untersuchungen, die wir vornehmen müssen, hängt sehr viel ab. Erst bei positiven Ergebnissen können wir eine Entscheidung treffen. Es gibt da einige biologische Besonderheiten in unserem Stoffwechsel, die uns grundsätzlich von Ihnen unterscheiden. Deshalb müssen wir spezielle Umwelttests durchführen. Ich möchte auch daran erinnern, dass ich mich bislang sehr kooperativ gezeigt habe, selbst aber noch gar keine Gelegenheit hatte, meine eigenen Tests durchzuführen, wie mir eigentlich zugesichert wurde. Und überdies: Ihre Ergebnisse in allen Ehren, aber ohne unsere eigenen Erkenntnisse gewonnen zu haben, wird Commander Koenig definitiv niemals zustimmen, den Mond zu verlassen."
Sie merkte, wie sie unter seinem kritischen Blick zu schwitzen begann, hoffte aber, nach außen hin ruhig zu wirken. Das Amulett zwischen ihren Brüsten schien warm zu pulsieren, als wollte es sie ermutigen.
"Nun, Dr. Russell, unsere Untersuchungen sind mehr als umfassend und zuverlässig, aber ich verstehe, dass auch Sie Ihre eigene Vorgehensweise haben. Ich werde Commander Koenig und Prof. Bergman hierher bringen lassen, damit Sie die Tests unter Laborbedingungen durchführen können." Helena schüttelte energisch den Kopf.
"Genau das kann ich nicht brauchen! Es geht um Umweltbedingungen, am besten ist eine pflanzenreiche Umgebung voller reizauslösender Stoffe wie Pollen und Samenflug und dergleichen mehr. Wenn ich mich recht erinnere, befinden sich Commander Koenig und Victor Bergman bei der Botanikergilde. Voilà! Ideale Bedingungen für die Testläufe. Es muss aber gleich geschehen, denn der Kontakt mit den Stoffen in der Luft sollte nicht zu lange gedauert haben, sonst werden die Ergebnisse verfälscht."
Anhand seines Gesichtsausdrucks wusste sie, dass er keine Ahnung hatte, ob ihre Behauptungen stimmten. Seine Antwort gab ihr Recht.
"Ich informiere Dr. Otta und bitte sie, sich spätestens morgen wieder bereit zu halten."
Mit diesen Worten nahm er sein Kommunikationsgerät und gab einige Befehle.
"Ein Raumgleiter steht gleich für Sie zur Verfügung. Snap Kobran wird Sie begleiten. Er kümmert sich auch darum, dass sie Ihre Ausrüstung erhalten. Ich sehe Sie dann morgen und freue mich darauf, unsere Unterhaltung von gestern Abend fortzusetzen."
Bei diesen Worten lief es Helena kalt den Rücken hinunter.
"Vielen Dank, Captain Dorgan. Auch ich freue mich auf unser Wiedersehen."
Sie schenkte ihm ein verführerisches Lächeln, in der Hoffnung, seinen Unmut zu besänftigen. Dann ging sie hinaus. Draußen wartete Snap Kobran bereits auf sie. Sein Blick war undurchdringlich, während er sie schweigend zum Raumgleiter dirigierte. Helena atmete tief durch, als sie starteten. Der erste Schritt war getan. Da der Flug ca. 2 Stunden dauern würde, nahm sie ihren Untersuchungskoffer zur Hand und gab vor, Einiges vorzubereiten. Die Anweisungen der schwarzen Mutter waren sehr präzise gewesen. Blut musste vergossen werden und zwar das von ihr, John und Victor. Nur so konnte man das Tor öffnen. Der Drache und die Löwin würden kämpfen und durch die Vermischung ihres Blutes erlangte man den Schlüssel, um den Fluch oder Gendefekt aufzuheben. Bei Nacht hatte alles ganz plausibel geklungen, aber im Tageslicht gab es viele Fragen. Wie würden sie das Tor finden, und was war mit der Löwin und dem Drachen? Helena hoffte nur, dass John und Victor helfen konnten. Sie mussten es zu dritt tun, soviel war sicher.
"Sagen Sie, Mr. Kobran, ist es möglich, Commander Koenig zu kontaktieren? Ich würde ihn gerne davon informieren, dass ich bald eintreffe und wir dringende Tests zu machen haben."
"Ich werde sehen, ob ich ihn erreiche."
Mit diesen Worten ging Snap Kobran ins Cockpit und kam kurze Zeit später mit einem Kommunikator wieder, den er ihr reichte. Helenas Herz machte einen Freudensprung, als sie Johns Gesicht sah. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war er ebenfalls mehr als froh, sie zu sehen.
"Helena wie geht es dir, wo bist du?"
"Ich bin auf dem Weg zu euch. Mir ist eingefallen, dass wir noch unbedingt die Xerra Detondulus-Tests durchführen müssen. Du weißt schon, zur Untersuchung der Umwelttoleranz unserer Stoffwechsel, dabei brauche ich deine und Victors Hilfe. Bitte bleibt also im Gildenhaus, damit wir gleich beginnen können, wenn ich komme. Ich werde einige Blutuntersuchungen machen müssen."
Sie hoffte, er hatte zwischen den Zeilen lesen können und erkannt, dass etwas nicht stimmte. Zu ihrer Erleichterung schien er verstanden zu haben.
"Ja, ist gut, wir warten auf dich. Victor hat mich daran erinnert, dass wir auch noch dringend einige Alpha Beta Zero-Tests machen müssen. Wir sehen uns."
Damit war die Kommunikation unterbrochen. Helena runzelte die Stirn, John und Victor waren entweder in Schwierigkeiten oder hatten etwas herausgefunden. Alpha Beta Zero war ein Notfallcode. Sie war erleichtert, als der Raumgleiter kurze Zeit später vor dem Gildenhaus niederging. Es war schon fast Mittag. Ungeduldig befreite sie sich von den Gurten, die sie für die Landung hatte anlegen müssen, und lief hinaus, wo Victor und John schon auf sie warteten. Beide legten den Arm um sie und drückten sie herzlich. Gemeinsam schritten sie in die große Halle, wo Ramadis mit dem großen Lenker auf sie wartete. Diese begrüßten sie höflich, wobei der große Lenker nicht so herzlich wirkte wie am Tag zuvor.
"Dr. Russell, ich dachte eigentlich, Sie wären in der Obhut unserer Ärzte, um wichtige Untersuchungen durchzuführen. Haben Sie schon Ergebnisse? Wir möchten Sie wirklich alle gerne hier bei uns haben, je eher die Tests abgeschlossen sind, desto besser."
"Sie haben völlig Recht, großer Lenker, aus diesem Grund bin ich hier. Mir fiel gestern eine Grundverschiedenheit in den Stoffwechseltoleranzen auf, die ich unbedingt unter Umweltbedingungen verifizieren muss. Dazu brauche ich dringend Commander Koenig und Prof Bergmann als Kontrollgruppe. Die beiden sind als Kontrollgruppe eigentlich zu wenig, aber sie müssen jetzt eben ausreichen. Wenn Sie gestatten, machen wir uns gleich an die Arbeit. Wir müssen auch draußen arbeiten, wenn die Bluttests abgeschlossen sind. Das wird sicherlich einige Stunden dauern"
Victor und John tauschten unauffällig erstaunte Blicke aus. Sie wussten zwar nicht genau, was hier vor sich ging, aber sie vertrauten Helena. Victor sprang sofort ein. "Ramadis, können wir uns in das Labor zurückziehen, das ihr uns gestern gezeigt habt?"
Dessen Blick war geringschätzig. Es war deutlich zu sehen, was er von Helenas Tests hielt, und offensichtlich spielten er und seine Leute nur mit, um die Alphaner in Sicherheit zu wiegen.
"Ja, natürlich, ihr kennt den Weg, bitte gebt Bescheid, wenn ihr etwas benötigt."
"Vielen Dank, ich habe die meisten Dinge dabei, die ich brauche. Je eher wir beginnen, desto besser."
Mit diesen Worten folgte Helena John und Victor zu dem Labor. Als die Tür hinter ihnen sich schloss, fragten John und Victor gleichzeitig.
"Helena was geht hier vor?"
Bevor sie den beiden antwortete, zog sie das Amulett aus ihrem Ausschnitt, nahm das Auge des Drachen und befestigte ihn am Fensterrahmen. Als sie die erstaunten Gesichter sah, musste sie ein wenig lächeln.
"Es ist eine lange Geschichte, die große Mutter versprach, mir einen Störsender zukommen zu lassen. So wird hoffentlich die Kommunikation zu Dr. Otta gestört, was uns etwas Zeit verschafft."
Dann berichtete Helena von ihren Erlebnissen am gestrigen Tag und in der Nacht. Bei der Erwähnung von Captain Dorgans Annäherungsversuchen und den vielen mysteriösen Tests, die die Ärzte mit ihr gemacht hatten, verfinsterte sich Johns Gesicht. Er ließ sie aber geduldig zu Ende erzählen. Die Geschichte, die sie von der schwarzen Mutter und Mirsa gehört hatte, stimmte in etwa mit dem überein, was sie von Koranis und dem Verfasser des Schreibens erfahren hatten. Als Helena geendet hatte, fragte Victor.
"Also, welche Anweisungen hast du bekommen, um die Prophezeiung zu erfüllen?" Helena holte tief Luft, jetzt kam der Teil, bei dem sie nicht wusste, wie die beiden es auffassen würden, und vor allem, wie sie es bewerkstelligen sollten.
"Also, sie gab mir folgende Instruktionen: Im Wald nicht weit von hier gibt es einen kleinen Tempel, der schon seit Jahren verlassen ist. Im Inneren ist ein kleiner Altar, auf dem die Prophezeiung eingezeichnet ist. In der Mitte dieses Alters ist das Symbol der Hoffnung, in dieses sollte ich das Amulett hineinlegen." Sie zog die Kette hervor und zeigte sie ihnen. "Dadurch wird sich ein Gefäß öffnen, in das wir unser Blut hineingießen sollen. Wenn ich es richtig verstehe, haben wir spezielle DNA-Sequenzen in unserem Blut, die gemeinsam die Kombination für die Öffnung der ursprünglichen DNA-Spindel ist. Es wurde geweissagt, dass das Volk der Syrioner wieder zu seiner eigenen Natur zurückfinden werde, wenn es bereit ist, der Gewalt zu entsagen. Wie es scheint, wurdest du, John, wegen deiner Kühnheit und Charakterstärke, du, Victor wegen deiner Besonnenheit und Intelligenz und ich.." Sie zögerte kurz und errötete ein wenig, um kurz ins Stottern zu kommen. "..also, ich wurde wegen meines Herzens, das dem einer Löwin ähneln soll, ausgewählt. Jedenfalls birgt diese Kombination den Schlüssel."
John war bei ihren Aufführungen auf- und ab gegangen. Er konnte sich aber ein Lächeln wegen ihrer Stotterei, als es um ihre Person ging, nicht verkneifen.
"Also, wenn wir den Tresor geöffnet haben, was passiert dann, wie kommen wir an die DNA?"
"Die schwarze Mutter sagte, der Drache und der Löwe würden kämpfen und durch die Vermischung ihres Blutes würde die DNA freigesetzt. Wie ihr wisst, verwandeln sich die meisten offensichtlich in eine Art Wölfe oder Ähnliches, aber in der Blutlinie des Zwillingspaares gibt es immer wieder Löwen- und Drachenmutationen."
Helena kam ins Stocken.
"Was ist los?"
"Ich bin mir nicht sicher, aber Mirsa ist eine Löwin. Ob sie ebenfalls Teil der Prophezeiung ist?"
Victor kratzte sich am Kinn.
"Nun, als Wissenschaftler habe ich so meine Zweifel was die Geschichte mit der Urmutter angeht. Aber auf der anderen Seite geschehen hier offensichtlich merkwürdige Dinge, . Daher bin ich geneigt, an alles zu glauben. Tatsache ist, dass die Syrioner Lebewesen für ihre Zwecke missbrauchen und das Gleiche auch mit uns vorhaben. Wir müssen etwas tun, und wenn das unsere Chance ist, hier etwas zu ändern, sollten wir sie ergreifen. Was meinst du, John?"
"Ich stimme dir zu, Victor. Helena, lass uns keine Zeit verschwenden. Folgen wir den Instruktionen der schwarzen Mutter, ich glaube wir haben nicht viel Zeit."
Während Helena ein paar Utensilien aus ihrem Koffer holte, um ihnen im Tempel Blut abzunehmen, bewachten John und Victor den Eingang. Gerade, als sie alles zusammen hatte, näherte sich eine junge Frau. Victor und John stellten sich hinter die Tür, um sie gegebenenfalls zu überwältigen. Die Frau klopfte und trat vorsichtig ein. Sie lächelte Helena zu und begrüßte sie mit den Worten
"Dhehala caba djamera. Ich bin eine Freundin, mein Name ist Celestra und ich gehöre zur Schwesternschaft. Mein Auftrag ist es, euch zu dem geheimen Tempel zu führen. Bitte folgt mir, wir müssen uns beeilen."
John und Victor tauschten Blicke mit Helena, diese wusste, sie hatte diese Worte schon einmal gehört, war sich aber nicht sicher, wann. Ihr Gefühl sagte ihr, sie konnte dieser Frau vertrauen. Helena nahm ihre Utensilien auf und folgte Celestra. John und Victor taten es ihr gleich. Diese berührt einen Schalter an der Wand und eine geheime Tür öffnete sich, die in einen Geheimgang mündete, der sie hinaus führte. In einiger Entfernung von dem Gebäude kamen sie wieder ans Tageslicht. Celestra führte sie über einen dicht bewachsen Pfad tief in den Wald. John blickte sich immer wieder um, er hatte das Gefühl, verfolgt zu werden, konnte aber niemanden sehen. Nach einer Weile standen sie plötzlich vor dem Tempeleingang, so wie die schwarze Mutter es gesagt hatte. Celestra verbeugte sich.
"Jetzt müsst ihr alleine weitergehen und tun, was die schwarze Mutter euch gesagt hat. Ich wache hier und werde euch mit meinem Leben verteidigen. Möget ihr erfolgreich sein und wir alle von diesem Fluch geheilt werden. Wir stehen für immer in eurer Schuld."
Victor, Helena und John blickten einander einen kurzen Moment an, dann schritt John durch die Tür, und es war, als kämen sie in eine andere Welt. Der Tempel war nicht sehr groß und hatte einen runden Grundriss. Durch die Fenster fiel spärliches Licht herein, das die trefflichen Fensterbilder illuminierte. In der Mitte stand der Altar. Helena stockte der Atem - so lebendig wirkten die Schnitzereien darauf. In der Mitte waren Löwe und Drache im Kampf abgebildet, zögernd nahm sie das Amulett und legte es ins Zentrum. Es passte genau hinein. Sie blickte John und Victor an, dann drehte sie das Amulett und man konnte hören, wie etwas einrastete und sich eine Art Trichter nach oben herausschob.
"Es ist, wie die schwarze Mutter gesagt hat, jetzt müssen wir unser Blut hineingießen und dann sollten der Drache und der Löwe erscheinen." John trat vor und hielt Helena seinen entblößten Arm hin. Sie nahm einen Stauschlauch aus der Tasche und stach mit einer Kanüle in die deutlich hervortretende Vene in seiner Armbeuge. Er ließ das Blut über seinen Arm in den Trichter rinnen. Als es ihr ausreichend erschien, befreite sie ihn von der Nadel. Mit Victor verfuhr sie gleichermaßen. Zum Schluss half John ihr beim Anlegen des Stauschlauchs und sie punktierte ihre eigene Vene, um auch ihr Blut in den Trichter laufen zu lassen. Leicht zittrig drückte sie am Ende einen Tupfer auf ihren Arm, um dabei zuzusehen, was nun vor sich ging. Eigentlich sollte das Blut stocken, denn sie wusste, dass Johns und ihr Blut mit Victors Blut wegen unterschiedlicher Blutgruppen nicht kompatibel war, aber eigenartigerweise passierte zunächst gar nichts. Dann aber - ganz langsam - begann das Blut zu pulsieren und zu leuchten, es lief durch eine Spirale nach unten auf den Boden und folgte unsichtbaren Linien die sie zuvor nicht bemerkt hatten. Durch das Leuchten des Blutes konnten sie ein Muster erkennen. Wie von Zauberhand gemalt erschien auf dem Boden ein Drachen in der Umarmung einer Löwin. Die Löwin hatte das Maul geöffnet und darunter schien eine Vertiefung zu sein. Fasziniert blickten sie auf die Figuren, die immer intensiver schimmerten. Plötzlich schien sich die Luft zu verdichten und wie aus dem Nichts erschienen Mirsa und Captain Dorgan mitten drin. Letzterer machte ein sehr erstauntes Gesicht, vor allem, als er Helena, John und Victor sah, doch dann schien er zu begreifen, was auf dem Spiel stand. Er blickte sich zu Mirsa um und innerhalb eines Wimpernschlages hatte er sich in einem Drachen verwandelt, ebenso wie Mirsa in eine stolze Löwin.
"Nun gut, Mirsa, lass uns beenden, was vor vielen Jahren begann. Ich bin ein Drache und werde immer einer sein und niemand wird mir das nehmen."
Mit diesen Worten stürzte er sich auf die Löwin und es begann ein heftiger Kampf. Helena, Victor und John hatten sich hinter den Altar zurückgezogen. Fasziniert und besorgt zugleich beobachteten sie, wie sie einander zusetzten. Allmählich wurde der Kampf wilder und schließlich tropfte das Blut von beiden aus tiefen Wunden auf den Boden. Es floss auf die Vertiefung zu und vermischte sich auf dem Weg. In dem Moment, da das Blut diese erreichte und hineinfloss, strömte auch das Blut aus dem Kreis hinein. Aus dem Trichter auf dem Altar schoss ein Lichtstrahl bis zur Decke der Kapelle, in diesem Strahl drehte sich ein DNA-Strang. Im Zucker-Phosphatrückrat schimmerten diverse Stücke in einem giftigen Grün, und die dazu gehörigen falschen Basenketten pulsierten grellgelb. Helena wusste, was zu tun war, beherzt griff sie in den Lichtstrahl hinein. Dieser umhüllte sie, floss durch sie sowie durch John und Victor hindurch, die beide nach ihr gegriffen hatten. Wie in Trance stand sie da und rührte sich nicht. Nach einer Weile, die John wie eine Ewigkeit vorkam, erlosch das Licht, Helena blickte in Mirsas Augen und mit einem geflüsterten "Jetzt seid ihr frei" glitt sie bewusstlos in Johns Arme. Dieser bettete sie vorsichtig auf den Boden und kontrollierte ihre Atmung. Victor zupfte an seinem Arm.
"John, sieh nur, Captain Dorgan und diese Mirsa, sie haben sich zurückverwandelt." Tatsächlich lagen beide in ihrer ursprünglichen Gestalt ebenfalls am Boden, immer noch aus verschiedenen Wunden blutend. Als Helena kurze Zeit später zu sich kam, blickte sie in ein paar tiefblauer Augen, die sie besorgt musterten. Sie genoss diesen Moment der Schwäche, um sich seiner freudigen Umarmung zu überlassen.
"Helena, geht es dir gut?"
Sie machte sich wiederstrebend von ihm los.
"Ja, John, jetzt ist alles in Ordnung, hoffe ich. Schnell, wir müssen Mirsa und Captain Dorgan helfen, sie müssen beide ärztlich versorgt werden! Victor, kannst du Hilfe holen? Ich denke, Celestra wartet noch draußen auf uns."
Victor eilte hinaus und John half Helena, die Blutungen der beiden zu stoppen, die noch immer bewusstlos dalagen. Zum Glück ging kurze Zeit später die Tür auf und Celestra trat ein, gefolgt von einem atemlosen Victor und einigen weiteren Helfern, die alle aus der Botanikergilde zu stammen schienen. Mirsa und Captain Dorgan wurden auf die mitgebrachten Bahren gelegt. Draußen wartete bereits ein Gleiter, um sie aufzunehmen und ins Gildenhaus zu bringen.
Als die drei nach draußen traten, hatte sich eine Menschenmenge angesammelt aber es herrschte eine Totenstille, alle schienen auf etwas zu warten. Der Planet schien sich schneller zu drehen und die Abenddämmerung brach bereits an, da kam der oberste Lenker mit Ramadis angelaufen. In diesem Augenblick versank die Sonne, und als sich die Dunkelheit über den Tempel senkte, schien es, als wenn alle den Atem anhalten würden, dann erschallte nach einigen Sekunden ein unbeschreiblicher Jubel.
"Wir sind frei, der Fluch ist aufgehoben, wir sind frei!"
Die Menschen tanzten, lachten und fielen einander in die Arme. John, Helena und Victor blickten einander an, sie wussten nicht genau, was sie davon halten sollten. Helena, die eine ungefähre Ahnung von dem hatte, was passiert war, flüsterte den Männern zu.
"Ich denke, es geht darum, dass sie sich nicht mehr verwandeln, wir scheinen tatsächlich den DNA-Strang geheilt zu haben, was eine globale Heilung zur Folge zu haben scheint. Es ist mir immer noch unbegreiflich, aber es hat funktioniert."Rasul Drogardis trat vor und brachte die Syrioner zum Schweigen.
"Meine Freunde, nach all diesen Jahren, in den wir geforscht haben, durften wir nun das Wunder der Heilung erleben. Lasst uns ins Haus der Gilde zurückkehren, wir wollen das Ereignis gebührend feiern."
Mit diesen Worten drehte er sich um und die Menge folgte ihm. Helena, John und Victor blieben ein wenig zurück und wandten sich Celestra zu, die unbemerkt zurückgekehrt war.
"Celestra, wie geht es Mirsa, wird sie wieder gesund werden?"
"Ja, sie ist zwar noch etwas schwach, aber das wird wieder. Sie lässt euch grüßen und dankt euch für das, was ihr getan habt. Wir stehen für immer in eurer Schuld. Die Syrioner können nun unbelastet leben und sie brauchen jetzt auch keine Experimente mehr an unschuldigen Völkern vorzunehmen. Ich hoffe, sie werden diesen Neuanfang nutzen, um ihr Leben wieder selber in die Hand zu nehmen, sich auf ihre Herkunft zu besinnen und Frieden mit den benachbarten Völkern zu schließen. Sinaja ist noch immer geschwächt, aber sie wird ebenfalls wieder völlig gesunden. Die Schwesternschaft wird über sie wachen und der schwarzen Mutter treu dienen und so den Syrionern helfen. Wie ich den großen Lenker einschätze, wird er Captain Dorgan und Dr. Otta die Hauptschuld an allen Gräueltaten geben und beide in die Produktion stecken.
Helena fasste Celestra an den Händen.
"Gibt es für uns hier und mit euch eine Zukunft?" Diese lächelte traurig.
"Ich fürchte, nein, so, wie es vorhergesagt wurde, ist es dies nicht das Ende eurer Reise. Ihr müsst auf den wandernden Mond zurückkehren, er entfernt sich rasch außerhalb der Reichweite unseres Planeten. Kommt, ein Gleiter wartet darauf, euch zum Raumhafen zu bringen. Wenn ihr im Raumschiff seid, nehmt Kontakt zu euren Leuten auf, ihr bekommt die Koordinaten, an denen sie euch treffen sollen, unser Raumschiff schafft es nicht mehr bis zu eurem Mond. Es tut mir sehr leid. Passt gut auf euch auf." John, Helena und Victor stiegen in den Raumgleiter. Bevor sich die Tür schloss, drehte sich Celestra noch einmal um.
"Ehe ich es vergesse, wir haben einige Geschenke für euch. Es sind Rohstoffe, Pflanzen und Samen, die euch sicherlich weiterhelfen werden. Nehmt sie mit unserem Dank und, Helena, für dich ist auch ein Geschenk dabei, es kommt von Mirsa."
Dann schloss sich die Tür und der Raumgleiter hob ab. Celestra winkte ihnen und mit einem geflüsterten "Dhehala caba djamera" ging sie in Richtung Gildenhaus, wo sie nach Mirsa sah. Diese war froh zu hören, dass ihre Freunde den Heimweg angetreten hatten.
Auf einer anderen Welt wandte sich der Rat an die Frau, die in der Mitte stand.
"Arra, wir sind sehr zufrieden mit dir, die Prophezeiung wurde erfüllt, die Wunden der Erdenmutter sind geheilt. Die Syrioner können sich nun in Frieden weiterentwickeln, wie es ihre Bestimmung ist. Wir wünschen, dass du über den wandernden Mond wachst. Geh nun."
Arra verbeugte sich, dankte dem Rat und schritt hinaus.
Die Rückreise verlief ohne Zwischenfälle. Der Adler wartete am Treffpunkt, um die drei und ihre wertvolle Fracht aufzunehmen. Auf Alpha herrschte eine Mischung aus Freude und Traurigkeit. Wieder einmal war ihre Hoffnung auf ein neues Zuhause nicht in Erfüllung gegangen. Aber die Freude und Erleichterung, den Commander, Prof. Bergmann und Dr. Russell gesund und munter wieder zu haben, überwog dann doch die Enttäuschung, und als die Rohstoffe, Pflanzen und Samen ausgepackt und an die entsprechenden Abteilungen ausgegeben wurden, war die Begeisterung groß. Nach einer ausführlichen Kommandokonferenz trafen sich John, Victor und Helena in Johns Quartier. Gemeinsam tranken sie von dem syrionischen Wein und sprachen noch einmal über ihre Erlebnisse.
"Helena, was glaubst du wer diese schwarze Mutter ist? Ein übersinnliches Wesen?" "Ich weiß es nicht Victor, sie wirkte so menschlich und doch hatte sie etwas Überirdisches und Mystisches an sich. Ich kann es nicht genau erklären, aber ich habe ihr vertraut, so wie ich auch Mirsa vertraut habe. Irgendetwas hat uns verbunden."
Sie schüttelte den Kopf.
"Das klingt jetzt nicht sehr wissenschaftlich, aber was an diesen Ereignissen lässt sich schon wissenschaftlich erklären? Celestra hat recht, es gibt viele Dinge im Universum, die man nicht rational begründen kann und je weiter wir fliegen, desto mehr müssen wir das akzeptieren."
John und Victor stimmten ihr zu. John beugte sich zu ihr vor.
"Sag mal, was für ein Geschenk hast du eigentlich bekommen?"
Helena zog ein goldenes Amulett, ähnlich dem, das sie auf den Altar gelegt hatte, unter ihrer Uniform hervor. Es war kleiner und zeigte den Drachen und den Löwen in einer Umarmung. Darunter waren kunstvolle Schriftzeichen eingraviert.
"Weißt du, was das heißen soll"
Helena fuhr versonnen mit den Fingern über die Zeichen.
"Frag mich nicht warum, aber ich kann es tatsächlich lesen, es heißt Dhehala caba djamera und bedeutet so viel wie Gib auf dich Acht, Schwester, wenn ich es richtig verstanden habe ist es der Spruch der Schwesternschaft. Sie scheinen mich wohl aufgenommen zu haben."
"War nicht noch etwas in dem Paket?"
John machte ein ganz unschuldiges Gesicht. Helena wurde ein wenig rot. Es war ein wunderschönes langes Kleid darin gewesen. Es bestand aus einem blauschimmernden seidigen Material, das sich wunderbar der Haut anschmiegte. Es hatte einen tiefen Ausschnitt und war an einer Seite hochgeschlitzt. Mirsa hatte einen Zettel beigelegt und ihr viel Glück gewünscht. Anscheinend war es ein traditionelles syrionisches Hochzeitskleid.
"Doch, es war noch ein Kleid darin."
Die zwei Männer schauten sie interessiert an.
"Ja und ....?"
"Nun es ist ein sehr.. schönes Kleid. Ich fürchte, ich werde hier nicht viel Verwendung dafür haben."
Victor und John unterdrückten ein Schmunzeln. Sie sinnierten noch ein wenig über die Syrioner und ihren Planeten und die Fehler, die sie in der Vergangenheit gemacht hatten, und ob sie unter diesen Umständen auch so gehandelt hätten. Schließlich erhob Victor sich und verabschiedete sich mit einem herzhaften Gähnen. Als er fort war, herrschte eine etwas verlegene Stille zwischen den beiden. Jeder wollte dem anderen noch etwas sagen, aber keiner wusste, wie er anfangen sollte.
"Weißt du, Helena, als wir getrennt waren und ich von den Experimenten hörte, hatte ich sehr große Angst um dich."
Er fasste ihre Hand und blickte ihr in die schönen grünen Augen.
"Ich fürchtete mich davor, dich zu verlieren, nicht dich als Ärztin, sondern vielmehr dich als meine Vertraute, als meine .... Freundin."
Bei diesen Worten wurde sein Blick sehr intensiv und auch fragend. Helena musste schlucken, sie fühlte sich verloren in diesem blauen Meer seiner Augen und Tausende von Schmetterlingen flatterten in ihrem Bauch. Sie entzog ihm ihre Hände und umfasste zärtlich seinen Kopf, um ihn sanft auf die Lippen zu küssen. Dann nahm sie ihn wieder bei den Händen.
"Ich weiß, mir ist es ähnlich gegangen. Danke, John, dass du für mich da bist, das bedeutet mir sehr viel. Ich denke, ich sollte jetzt gehen, es ist schon sehr spät."
Mit diesen Worten küsste sie ihn auf die Wange und ging zur Tür.
"Helena?!"
"Ja."
"Werde ich dieses Kleid je zu sehen bekommen?!"
"Nun ja", sie lächelte schelmisch, "ich denke darüber nach. Gute Nacht, John." Lange, nachdem sie gegangen war, starrte er noch auf die Tür. Dann traf ihn die Erkenntnis, dass sie ihn doch tatsächlich auf den Mund geküsst hatte. Glücklich grinsend ging er zu Bett.
Selbst im dunkelsten Universum gab es einen Hoffnungsschimmer und einen Grund zum Glücklichsein. In dieser Nacht schlief er wie ein Murmeltier, beglückt von dem Gedanken, einen Menschen zu haben, den er lieben konnte.
Ende