Der Feuerplanet

 

Von Barbara Schmid

Eine spannende John-und-Helena-Geschichte!

Nur weiter so, Barbara!!  :-)

 


 

Alles besiegt die Liebe
Vergil

 

Binoybhushon, kurz Binoy genannt, plauderte fröhlich und unbefangen, während Dr. Helena Russell mit routinierter Sorgfalt eine kleinere Rissquetschwunde an seinem Unterarm versorgte. Binoy war Bengale und ein sehr begabter Computerexperte, der in seiner Freizeit leidenschaftlich gerne Basketball spielte und sich da auch diese Verletzung zugezogen hatte. Er war ob seiner Freundlichkeit sehr beliebt, voller Enthusiasmus und Lebhaftigkeit, aber heute versagten alle seine positiven Eigenschaften und seine gut gemeinten Worte prallten an Helenas Schweigsamkeit ab, als wären sie nie gesagt worden. Binoy verstummte und betrachtete interessiert, wie die Ärztin die Wunde desinfizierte und verband.

„Dr. Russell?“

Helena fuhr schuldbewusst zusammen. Sie hatte keine Ahnung von der ziemlich einseitigen Unterhaltung und bedauerte ihre Unaufmerksamkeit. Sie schätzte Binoy und hatte ihn auf gar keinen Fall kränken wollen, also lächelte sie voller Reue:

„Entschuldigen Sie Binoy, aber ich fürchte, ich habe Ihnen nicht zugehört. Was haben Sie mir erzählt?“

„Das ist nicht so wichtig Doktor. Es geht Ihnen doch gut, oder?“

„Natürlich geht es mir gut. Kommen Sie morgen um die Zeit wieder zu mir, ich möchte mir die Wunde noch einmal ansehen, ja?“ Binoy versprach es und wollte gehen, als ihn ein Zuruf der Ärztin kurz stoppte:

„Und ein paar Tage keinen Sport, hören Sie?“ Binoy zog eine komisch-verzweifelte Grimasse, stimmte aber seufzend zu und verließ mit raschen Schritten die Krankenstation.

Kaum alleine verdüsterte sich Helenas Miene ein wenig. Sie war unkonzentriert gewesen und das war sonst nicht ihre Art. Der Grund dafür war John.

Bei der Morgenbesprechung hatte es eine kleine, beunruhigende Szene gegeben, die Helena nicht mehr aus dem Kopf ging. John hatte ungeduldig nach ihren Unterlagen gegriffen, die die notwendigen Veränderungen bei den lebenserhaltenden Systemen beinhalteten. Helena hatte verhindern wollen, dass er Unordnung in ihre Gedankenstützen brachte und hatte in seine Hände gegriffen. Bei der flüchtigen Berührung ihrer Finger hatte Helena eine Art elektrischen Schlag verspürt, der sie so sehr aus dem Konzept gebracht hatte, dass sie den Rest der Besprechung ziemlich schroff zu John gewesen war. Ihm war es offensichtlich nicht anders ergangen und ihre ablehnende Haltung hatte ihn wahrscheinlich verletzt, aber Helena war verwirrt gewesen und hatte John dafür verantwortlich gemacht.

Warum konnte er es nicht bei ihrer besonderen Freundschaft belassen? Es war keine gewöhnliche Freundschaft, das wusste sie selbst, aber sie wollte nicht darüber nachdenken, nur nicht daran rühren, denn mehr konnte sie, oder wollte sie nicht geben. John hatte von Anfang an signalisiert, dass er alles von ihr forderte. Auch wenn er sie nie bedrängte, wusste Helena, dass er sich nur mit der Gesamtheit ihrer Person zufrieden geben würde, alles andere stand außer Frage. Es schmeichelte ihr, so geliebt und begehrt zu werden, so etwas war ihr erst einmal passiert und das war lange her. An Lee zu denken war traurig und führte zu nichts. Er war tot, zumindest für sie, und für immer verloren.
Natürlich hatten sich in den vergangenen fünf Jahren immer wieder Männer für sie interessiert, aber Helena war durch alle diese mehr oder minder deutlich vorgebrachten Gefühle geschritten, als wäre sie immun dagegen.

Warum machte gerade John es ihr so schwer? Auch wenn sie es sich eingestand, ihn attraktiv und anziehend zu finden, war das nicht der wirkliche Grund.

Eigentlich hatte Helena immer beherrschte und ausgeglichene Männer bevorzugt, so wie Lee und keine so ruhelosen Choleriker wie John. John ging ihr manchmal auf die Nerven, machte sie wütend, sogar ziemlich oft, er brachte sie aber auch zum Lachen und konnte sie auf andere Gedanken bringen, auch wenn sie noch so bedrückt war. Wann immer er in der Nähe war, löste er die widersprüchlichsten Gefühle in ihr aus, er beschäftigte sie, ließ sie einfach nicht los.

Und jetzt auch noch das!

Dieser plötzliche und spürbare Funkenflug hatte sie mehr als verunsichert. Sie hatten sich schon so oft berührt, was weit über das normale freundschaftliche Maß hinausging und Helena wusste, dass auf der gesamten Basis hinter vorgehaltener Hand über sie beide geredet wurde, aber sie wollte sich einfach nicht damit auseinander setzen.

Sie wollte keine so tiefe Beziehung mehr und etwas anderes würde John nicht akzeptieren wollen, warum konnte er sie nicht in Ruhe lassen?

Wahrscheinlich aus demselben Grund, aus dem er ihr keine Ruhe ließ.

Das Leben war so einfach und unkompliziert ohne diese Verwirrungen, sie war zufrieden damit, ihre Pflicht zu tun und für alle, die ihre Hilfe benötigten, da zu sein. Aber irgendetwas hatte sich seit der Morgenbesprechung zwischen John und ihr verändert und Helena wurde klar, dass die Phase ihrer Freundschaft, oder was es auch gewesen war, für immer vorbei war. Das sagte ihr untrüglicher Verstand, aber ihr verletztes Herz weigerte sich, diese Tatsache zu akzeptieren und schlug geradezu rebellisch in ihrer Brust.

Genau in diesem Moment meldete sich ihr Commlock.

 

^°^°^

 

Commander John Koenig starrte auf den Hauptbildschirm und betrachtete den roten Planeten darauf. Das Feuer, das dort unten tobte, stand dem in seinem Innern in nichts nach.

Würde es ewig so weitergehen? Würde sich Helena ihm für immer verschließen? Sie musste doch wissen, dass diese Freundschaft, auch wenn sie noch so schön und wichtig war, ihnen beiden niemals genügen konnte.

Fühlte sie denn nicht, wie es in ihm aussah, wie er sich nach ihr sehnte?

John riss sich gewaltsam zusammen. Helena hatte eine sehr glückliche Ehe hinter sich und wenn er Lee Russell auch nicht persönlich gekannt hatte (Lees kurze Wiederkehr als Geist ließ er außer Acht), hatte er doch nur Gutes von ihm gehört und er konnte verstehen, wie es in ihr aussehen musste.

Auch wenn seine eigene Ehe schon länger zurücklag, erinnerte er sich gerne und ohne Wehmut daran. Es war ein so gutes Gefühl, zu jemandem zu gehören und gehalten – festgehalten zu werden. Die Einsamkeit, die er empfand, belastete ihn, während sie für Helena ein guter Freund geworden zu sein schien, es war im Grunde genommen niederschmetternd.

David Kano ratterte neben ihm die Daten über den „Feuerplaneten“, wie er ihn scherzhaft nannte, herunter, aber John hatte kein Wort davon verstanden, ja nicht einmal gehört.

Die gesamte Crew der Main Mission warf ihm mehr oder minder verstohlene Blicke zu, als er keine Antwort gab und weiter mit ausgesprochen düsterer Miene auf den Planeten starrte.

David Kano sah ihn eine Weile an, dann räusperte er sich und wiederholte in groben Zügen mit etwas lauterer Stimme seine vorangegangene, offensichtlich unbeachtete Rede.

„Dieser Feuerplanet ist ziemlich instabil und weist hohe vulkanische Aktivität auf. Er hat aber eine erdähnliche, wenn auch etwas verunreinigte, Atmosphäre und eine ebensolche Gravitation. Er ist wesentlich kleiner als die Erde, befindet sich aber in der Umlaufbahn um eine mittlere Sonne. Er gleicht im Grunde der Erde in einem frühen Stadium wie der Kreidezeit. Aber er ist voll von mineralischen Rohstoffen, die wir benötigen und ein Teil des Planeten könnte sogar bewohnbar sein. Leben ist nicht feststellbar, es muss sich noch in einem sehr frühen Entwicklungsstadium befinden, oder es existiert überhaupt nicht. Die Vegetation hingegen scheint ziemlich üppig zu sein, er sollte trotz allem einen näheren Blick wert sein. Allerdings gibt es da ein Problem. Wir werden dem Planeten auf unserem Weg relativ nahe kommen und unsere Schwerkraft könnte die etwas instabile Lage empfindlich verschlechtern, das heißt, es könnte zu schweren Erdbeben und Vulkanausbrüchen kommen.“ Kano studierte die grüblerische Miene des Kommandanten und wartete zum zweiten Mal auf eine Entgegnung. Als keine kam, fragte er vorsichtig:

„Commander?“

John hob leicht den Kopf:

„Ich habe Sie schon gehört David, danke.“

Er wandte sich schwungvoll um und senkte seine Augen forschend in die von Victor, der eben nachdenklich seine Stirn rieb.

„Was hältst du davon Victor?“

Victor neigte seinen Kopf etwas zur Seite und starrte nun ebenso auf den Bildschirm:

„Wir können es wohl nicht verantworten, den Planeten nicht zu untersuchen, John, außerdem brauchen wir die Rohstoffe. Wir haben dazu, den Berechnungen des Computers folgend, genau sechs Stunden Zeit, dann müsste der Adler zur Basis zurückkehren, um der gefährlichen Phase zu entgehen. Sobald unser Mond sich wieder weiter entfernt, könnten wir Operation Exodus starten, wenn der Planet geeignet sein sollte.“

John sah ebenfalls wieder auf den Bildschirm:

„Auf jeden Fall haben wir genug Zeit, um die Mineralien zu besorgen, alles Weitere werden wir sehen, wenn wir unten sind.“

Die Crew entspannte sich merklich. Der Commander hatte seine Entscheidung getroffen und es gab wieder einen kleinen, sanft leuchtenden Hoffnungsstrahl.

John lief die Treppen zu seinem Büro hinauf, oben wandte er sich noch einmal um:

„Alan, machen Sie einen schnellen Adler startklar. Sie fliegen, ich brauche einen, oder besser zwei Geologen und“, er zögerte kaum merklich, „Dr. Russell wird uns begleiten.“

Damit war alles gesagt und Carter machte sich bereit. Die Chefärztin und die Geologen wurden per Commlock verständigt.

 

^°^°^

 

John flog dann selbst und verbannte Alan auf den Copilotensitz, was der aber nicht anders erwartet hatte. Letztlich flog John immer selbst, egal, was er vorher gesagt hatte, aber Alan konnte ihn verstehen. Das Fliegen war ein Ausgleich für ihn, der im Herzen noch immer Astronaut war, und ein Moment, wo er die Last, die ständig auf seinen Schultern ruhte, die Verantwortung für die Basis und ihre Bewohner, wenigstens kurzzeitig ein wenig beiseite schieben konnte. Außerdem hoffte Alan, dass der Flug die Laune des Commanders etwas verbessern würde, denn seit der Morgenbesprechung war die unter dem Gefrierpunkt.

Koenig setzte weich auf und schaltete die Triebwerke aus. Alan schenkte ihm einen anerkennenden Blick:

„Saubere Landung, Sir.“

John reagierte nicht auf den Versuch, ihn aufzuheitern:

„Also, versuchen wir es wieder einmal. Sie bleiben hier und verlassen unter keinen Umständen den Adler. Sollten wir in spätestens vier Stunden nicht zurück sein, machen Sie, dass Sie fortkommen.“

Alan seufzte, auch diesen Befehl hätte er wortgenau vorhersagen können.

„Geht klar, Commander.“

John fuhr mit dem Pilotensitz zurück und sprang auf. Im Passagierraum waren Helena, die er vor dem Abflug nicht mehr gesprochen hatte, und die beiden Geologen, Desmond Harris und Norman Lindstroem. Sie waren Freunde seit ihrer Kindheit und hatten sich gemeinsam für den Dienst auf der Mondbasis beworben. Sie schienen sich auf den Ausflug zu freuen und John fühlte angesichts der guten Laune der beiden jungen Männer, wie sich ein paar der dunklen Schatten, die seine Seele bedeckten, verflüchtigten.

Er wandte sich an die Geologen:

„Harris, Lindstroem, Sie bleiben in der Nähe des Adlers und suchen die erforderlichen Mineralien. Laut Computer müssten Sie in der unmittelbaren Umgebung alles Nötige finden. Dr. Russell und ich sehen uns den Planeten etwas genauer an. In spätestens vier Stunden treffen wir uns wieder hier.“

Er warf einen kurzen, fast scheuen Blick zu Helena, die ihn ruhig und freundlich erwiderte. Während sie in seinen Augen die gesamte reichhaltige Gefühlspalette lesen konnte, die von Enttäuschung über Verunsicherung bis zu unwandelbarer Liebe reichte, waren ihre für ihn ein Buch mit sieben Siegeln. Helena war sich nicht darüber im Klaren, wie eisern sie ihre Emotionen unter Kontrolle hatte.

John wandte sich ab und öffnete die Schleuse. Nachdem er sich vorsichtig umgesehen hatte, trat er ins Freie. Ein neuer Versuch konnte beginnen.

 

^°^°^

 

Die Landschaft war gebirgig und zerklüftet und wenig einladend, aber laut Computer gab es hinter der Bergkette Wiesen und Wälder, sie mussten nur ein schmales Tal durchqueren, um sie zu erreichen.

John hatte lange überlegt, wo er landen sollte und sich dann für die Berge entschieden, um den Geologen möglichst raschen und ungefährdeten Zugriff auf die mineralischen Rohstoffe zu gewähren.

Helena ging schweigend neben ihm und betrachtete aufmerksam die Daten, die ihr Scanner lieferte. John betrachtete ihr ruhiges ausgeglichenes Gesicht und wandte sich mit einem unterdrückten Seufzen seinem eigenen Scanner zu. Irgendwie hatte er gehofft, Helena würde mit ihm sprechen wollen und das Missverständnis aufzuklären suchen, aber da hatte er sich wohl getäuscht. Helena begann zu reden, ohne den Blick von ihrem Gerät zu wenden:

„John?“

„Helena?“ Der hoffnungsvolle Ton war nicht zu überhören.

„Es gibt wohl Leben hier, aber es scheint über ein primitives Stadium nicht hinausgekommen zu sein. Die Luftverschmutzung scheint hingegen ärger zu sein als angenommen.“

John bemühte sich um einen möglichst sachlichen Tonfall:

„Was meinst du?“

„Die Luft enthält ungewöhnlich viele Staubpartikel, was auf die vulkanische Aktivität zurückzuführen ist, außerdem eine höhere Konzentration an Schwefel und Kohlenmonoxyd als berechnet. Vielleicht hat es inzwischen irgendwo eine kleinere Eruption gegeben.“

John betrachtete besorgt den Himmel, der bedeckt und etwas trüb wirkte.

Er nahm sein Commlock vom Gürtel.

„Alpha, hier ist Koenig, Alpha bitte kommen.“ Ein monotones Rauschen und Knistern war die Antwort.

„Alan, hier Koenig, Alan, melden Sie sich.“ Wieder keine Antwort.

„Das muss auch an atmosphärischen Störungen liegen. Wir sollten uns beeilen.“

Helena nickte und sie machten sich schweigend an den kurzen, aber etwas steilen Aufstieg.

Irgendwann nahm John Helenas Hand, um ihr über den steinigen Pfad zu helfen, was diese mit einem dankbaren Druck ihrer Finger quittierte. Obwohl das nicht die Spur eines Zugeständnisses war, konnte sie sehen, wie sich seine Gesichtszüge aufhellten. Helena verspürte ein Gefühl der Rührung, weil er sich mit so wenig zufrieden gab, aber sie wusste nicht, was sie hätte sagen sollen und so blieben sie weiterhin stumm.

John war glücklich, wenigstens ihre Hand halten zu können und versuchte, nicht an seine verletzten Gefühle zu denken.

Was wäre, wenn er sie einfach in die Arme nehmen und ihr alles sagen würde, was ihm schon so lange auf der Seele brannte? Und sie dann einfach küssen würde, bis…

John schüttelte erschrocken den Kopf. Mit einemmal kamen ihm seine Gedanken ziemlich roh und selbstsüchtig vor. Aber er hätte so gerne Gewissheit gehabt. Wenigstens die Gewissheit, dass es nur Zeit war, was sie brauchte, denn dann würde er ewig warten können. Nun, vielleicht nicht ewig, aber doch noch ziemlich lange, wenn es nötig sein sollte.

John wäre sehr erstaunt gewesen, wenn er gewusst hätte, dass sich Helenas Gedanken um dasselbe Thema drehten wie die Seinen.

Dr. Russell haderte eben mit ihrer beinahe unüberwindlichen Selbstdisziplin, die sie wie eine hohe Mauer umgab. Warum konnte sie ihm nicht einfach sagen, dass sie ihn sehr gern, sogar lieb hatte, aber einfach noch Zeit brauchte, um sich über sie beide klar zu werden. Sie konnte ihr eigenes Herz nicht verstehen, es sagte ja und nein zur gleichen Zeit und auch wenn sie wusste, dass es nur die Angst vor einem neuerlichen Verlust war, die sie so zögern ließ, konnte sie sich einfach nicht dazu überwinden, mit ihm zu reden.

John war wie eine Naturgewalt in ihr abgeschottetes, sicheres Leben eingebrochen und hatte es mit Vehemenz durcheinander gewirbelt, er war... Nein! Sie brauchte einfach noch Zeit.

Es tat ihr weh, dass sie ihm das nicht in aller Ruhe sagen konnte und kurzfristig beneidete sie ihn um seine emotionale, offene Wesensart.

 

^°^°^

 

Die beiden Geologen hatten inzwischen das Gebiet um den Adler genauer unter die Lupe genommen. Lindstroem wandte sich zu seinem Freund und Kollegen um:

„Wir sollten vielleicht noch die Höhlen genauer erkunden, dort wird es vielleicht noch mehr Rohstoffe geben.“

Harris schüttelte den Kopf:

„Du hast doch gehört, was der Commander gesagt hat. Und bei der Laune, die er heute hat, möchte ich ihn ungern reizen.“

Lindstroem brach in ein fröhliches Gelächter aus:

„Er wird sich schon wieder fangen und wenn er sieht, wie viel wir erbeutet haben, wird er uns lieben. Wetten?“

„Also ich weiß nicht, ich würde doch lieber…“

„Nun sei doch kein solcher Hasenfuß, Harris! Der Commander wird uns schon nicht den Kopf abreißen, außerdem ist er mit Dr. Russell allein unterwegs und du weißt doch, was über die beiden geredet wird.“

Harris wiegte, noch immer nicht überzeugt, seinen Kopf:

„Ich gebe nichts auf das Geschwätz und ich möchte lieber den Befehl ausführen, den wir erhalten haben.“

Lindstroem, der seinen Kopf immer durchzusetzen verstand, legte schwungvoll seinen Arm um Harris’ Schultern:

„Dann eben auf meine Verantwortung. Du wirst mir noch dankbar sein!“

Diese Worte sollte er niemals vergessen.

Harris hatte sich ergeben und gemeinsam machten sie sich auf den Weg zu den Höhlen.

 

^°^°^

 

Commander Koenig und Dr. Russell hatten inzwischen eine kleine Anhöhe erreicht, von wo man einen guten Blick in das darunter liegende Tal hatte. Der Abstieg würde in etwa eine Stunde in Anspruch nehmen, aber noch hatten sie genug Zeit.

Helena überprüfte weiterhin die Daten und John sah die leichten Sorgenfalten auf ihrer Stirn:

„Was ist los, Helena? Etwas nicht in Ordnung?“

„Ich weiß nicht, aber ich fürchte, die seismische Tätigkeit nimmt unerwartet rasch zu.“

„Woran kann das liegen, der Computer hat uns doch wesentlich mehr Zeit eingeräumt.“

Sie starrten beide in das grüne, von dichtem, gelblichen Nebel verhangene Tal.

„Denkst du, dass wir hier leben könnten?“

Helena schüttelte langsam, aber bestimmt ihren Kopf:

„Wir wären ständig auf der Flucht vor Erdbeben, Vulkanausbrüchen und anderen Umweltproblemen. Dieser Planet befindet sich einer äußerst instabilen Phase und wird noch lange brauchen, um wirklich bewohnbar zu sein.“

„Wie lange?“

„So 140 Millionen Jahre?“

John lächelte:

„Das ist etwas zu lange, fürchte ich.“

Helena erwiderte sein Lächeln:

„Das fürchte ich auch.“

Einen Moment lang konnten sie ihre Blicke nicht voneinander lösen und fühlten sich so intensiv zueinander hingezogen, dass beide sich nicht bewegen konnten. Aber bevor John irgendetwas sagen oder tun konnte, sah er –

„DER MOND!“

Sein Finger wies auf den trüben Himmel. Helena war zusammengezuckt und folgte der Richtung, in die er deutete.

„Aber das ist doch nicht möglich! Das ist um drei Stunden zu früh!“

John packte ihre Hand:

„Zurück zum Adler, so schnell wie möglich.“

Helena warf einen letzten, Abschied nehmenden Blick in das grüne, lockende Tal. Diese Welt war noch nicht bereit für höheres Leben, würde es vielleicht niemals sein.

 

^°^°^

 

Harris war dem voraneilenden Lindstroem zögernd gefolgt. Er war stets sehr pflichtbewusst und ging ungern unnötige Risiken ein. Norman war ein ganz anderer Typ. Er liebte Herausforderungen und hatte keine Probleme damit, einen Befehl zur Not einmal etwas freier auszulegen.

Eben wandte er sich ungeduldig um:

„Nun komm schon Harris, wir haben nicht ewig Zeit.“

Harris seufzte und beschleunigte seine Schritte, seltsam, der Boden unter seinen Füßen hatte doch gerade ein wenig gebebt.

„Norman. Ich fürchte, wir bekommen ein Erdbeben.“

Lindstroem reckte nervös seine Schultern:

„Übertreib bloß nicht so. Dazu ist es noch viel zu früh und außerdem haben wir noch kaum Rohstoffe gesammelt, also beeilen wir uns.“

Als sie durch den Eingang in die Größte der Höhlen schlüpften, die das poröse, vulkanische Gebirge wie unzählige Röhren durchzogen, fühlten sie es ganz deutlich: die Erde begann zu beben, sie hatten nicht mehr soviel Zeit, wie berechnet.

Rasch und schweigsam führten sie ihre Untersuchungen durch und sammelten die nötigen Proben, als ein tiefes dumpfes Grollen, das aus dem Innersten des Planeten zu kommen schien, beide erschrocken aufhorchen ließ.

 

^°^°^

 

John und Helena liefen Hand in Hand den steilen Pfad hinab. Sie achteten konzentriert auf ihre Schritte und sprachen kaum ein Wort. Trotzdem hatte der Commander das Gefühl, auf Wolken zu schweben. Für einen kurzen, köstlichen Augenblick hatte Helena ihn tief in ihre Seele blicken lassen und was er darin gelesen hatte, gab ihm die Hoffnung, die er so dringend benötigt hatte. Eines Tages würde sie bereit sein, in ihm mehr als nur einen engen Freund zu sehen und dieser Tag war vielleicht nicht mehr allzu fern.

Helena betrachtete gelegentlich erleichtert seine fast heitere Miene. Sie hatten ihr Missverständnis ausgeräumt, auch ohne viele Worte und sie war erstaunt, wie glücklich sie darüber war.

 

^°^°^

 

Harris hatte das Gefühl, als würde es unter seinen Füßen toben und kochen, es donnerte und knirschte und kleinere und größere Gesteinsbrocken begannen sich aus dem gewaltigen Felsendom über ihnen zu lösen. Einer davon streifte Lindstroems Kopf und riss ihn unsanft zu Boden. Harris streckte zu Tode erschrocken die Arme aus und rief Lindstroems Namen, als sich mit einem ohrenbetäubenden Krachen, die Erde unter ihm aufzutun schien und er jeden Halt verlor. Er stürzte, stürzte ins Nichts…

 

^°^°^

 

Als Lindstroem aus seiner Ohnmacht erwachte, hatte sich die Erde wieder beruhigt und das Grollen und Donnern schien verstummt zu sein. Er hob vorsichtig seinen schmerzenden Kopf und versuchte sich zu orientieren. Seine Augen waren mit Blut verklebt und er konnte kaum etwas sehen, alles war in einen trüb – roten Schleier gehüllt.

„Harris?“

Seine Stimme war kaum mehr als ein heiseres Krächzen.

„HARRIS.“

Langsam konnte er seinem ausgetrockneten Mund und den ebensolchen Lungen ein paar lautere Töne abringen, als er die Katastrophe sah.

Der Boden in der Höhle war gebrochen und quer durch die Mitte lief ein furchtbarer breiter Riss, aus dem kochender Dampf aufstieg. Mit rasendem Puls kroch Lindstroem näher und zog sich ein wenig über den Rand. Unter ihm, in einer unglaublichen Tiefe brodelte rote, glühende Lava. Wo war Harris, sein Freund? „Du wirst mir noch dankbar sein.“ Höhnisch klangen seine eigenen Worte in seinen Ohren wieder. Was war nur geschehen, wie hatte so etwas passieren können?

DA! Etwa zwei Meter unter ihm, auf einem schmalen, podestartigen, steinernen Vorsprung lag Harris’ zierlicher, lebloser Körper. Lindstroem gab ein Stöhnen von sich. Wenn er nur noch lebte! Aber er war allein zu schwach und zu schwer verletzt, um ihn zu retten. Er brauchte Alan oder den Commander.

„Desmond!“ rief er in den gähnenden Abgrund:

„Ich hole Hilfe! Bitte halte aus, ich komme wieder und wir holen dich.“ Damit kam er strauchelnd auf die Beine und wandte sich dem Ausgang zu. Aber er drehte sich noch einmal um und flüsterte erstickt:

„Bitte verzeih mir.“

Dann stürmte er davon, schwankend und unsicher, aber voller Hoffnung und Zuversicht, dass doch noch alles gut werden könnte.

 

^°^°^

 

Als Commander Koenig und Dr. Russell den Adler erreichten, fanden sie Alan in hellster Aufregung vor. Er kniete über dem bewusstlosen Lindstroem und versuchte, dessen schwere, stark blutende Kopfwunde notdürftig zu verbinden. Helena war sofort an seiner Seite und kümmerte sich um den Verwundeten. Als sie ihn stabilisiert hatte, trugen John und Alan ihn vorsichtig in das Innere des Adlers.

John sah sich suchend um:

„Wie hat das passieren können? Wo sind die Rohstoffe, die sie besorgen hätten sollen, warum haben sie so lange gebraucht? Und wo zum Teufel steckt Harris?“

Alan zog die Schultern hoch:

„Ich habe keine Ahnung, Sir. Norman kam wenige Minuten vor Ihrer Ankunft aus dieser Richtung“, er wies vage zu den Bergen, „und stammelte irgendetwas von einer Höhle.“

Koenig zerbiss einen Fluch zwischen den Zähnen. Er hatte ihnen doch ausdrücklich gesagt, keine Extratouren zu unternehmen. Und jetzt war durch ihren Ungehorsam offensichtlich ein Unglück geschehen. Er richtete sich auf:

„Ich laufe zu den Höhlen und sehe mich dort um. Helena, du bleibst mit Alan hier. Wenn ich in einer halben Stunde nicht zurück bin, macht ihr, dass ihr wegkommt.“

Helena packte ihre Bereitschaftstasche und legte kurz eine Hand auf seinen Arm:

„John. Harris ist mit Sicherheit auch schwer verletzt, du wirst einen Arzt brauchen. Ich werde dich begleiten.“

Auch wenn John sie lieber in der relativen Sicherheit des Adlers gewusst hätte, erkannte er, dass es sinnlos war, mit ihr zu diskutieren. Letztlich hatte sie ja auch Recht. Harris würde mit Sicherheit einen Arzt brauchen.

 

^°^°^

 

Während sie sich mit raschen Schritten den Höhlen näherten, fühlten sie beide das Beben des Bodens unter ihren Füßen. John starrte zum Himmel und erkannte wieder die schwache Silhouette des Mondes, der im Begriff war, den Orbit des Feuerplaneten zu streifen. Noch einmal kontrollierte er die Zeit auf seinem Commlock, aber es bestand kein Zweifel. Der Computer hatte sich geirrt, die kritische Phase setzte viel früher ein als erwartet.

John warf Helena einen sorgenvollen Blick zu:

„Wir müssen uns beeilen, wir haben noch weniger Zeit als gedacht.

Helena nickte und beschleunigte ihre Schritte.

 

Als sie auf den Höhleneingang zukamen, John hatte wie Lindstroem einfach den größten gewählt, fielen kleinere Steinbrocken von den bebenden Wänden und John legte einen Arm um Helena, um sie mit seinem Körper zu schützen. Er hatte das schon so viele Male getan, aber diesmal fühlten beide, trotz der angespannten Situation, einen prickelnden Schauer, der sie träge überrieselte.

Als sie den Eingang unverletzt passiert hatten, lösten sie sich rasch von einander und sahen sich suchend um. Helena entnahm ihrer Bereitschaftstasche eine Lampe und leuchtete ihnen den Weg. Im Inneren schien der Boden noch stärker zu beben und ein fernes Grollen mahnte zur Eile.

„HARRIS!“

„HARRIS!“

Aber ihre Rufe verhallten ungehört. Leider war Lindstroem in eine tiefe Ohnmacht gefallen und sie hatten auf sein Erwachen nicht warten können. Helena wagte sich weiter in die Höhle vor und entdeckte den gewaltigen Felsendom, der in der Mitte von einem tiefen, bodenlos gähnendem Spalt durchzogen war.

„HELENA? Wo bist du?“

Johns Stimme klang laut und zornig, obwohl sie sich nicht allzu weit von ihm entfernt hatte. Er folgte dem Lichtkegel und packte ihre Schulter:

„Du darfst nicht einfach so weit vorauslaufen, das ist zu gefährlich.“

Helena hatte sich losgemacht und war zum Rand der Felsspalte gegangen:

„Dieser Riss sieht sehr frisch aus, er… HARRIS!“

Das letzte Wort war ein erschrockener Schrei gewesen. Unter ihnen, vielleicht zwei Meter tiefer, lag der noch immer leblose Körper des Geologen. Darunter erblickten sie den furchtbaren Abgrund, in dessen Tiefe brodelnde Lava zu sehen war.

Harris schien schwer verletzt zu sein und Helena reagierte augenblicklich.

„Wir müssen ihn da heraufholen, John. Ich gehe sofort, ich muss ihn zuerst untersuchen. Ich fürchte, er hat eine Rückgratverletzung.“

„HELENA, NEIN!“

Es hatte seine Vorteile, seinen Commander so genau zu kennen. Helena konnte in Johns Augen lesen, dass er ihr notfalls einen dienstlichen Befehl erteilt hätte, um sie vor dieser Gefahr zu bewahren, also beschloss sie zu handeln, bevor er etwas sagen konnte.

Sie schwang ihre Beine über den Rand des Kraters und schickte sich an, hinunterzuklettern, als die Erde unerwartet erneut zu beben anfing. John streckte seine Hand nach ihr aus, genau in dem Moment, als sie den Halt verlor und er umfasste ihr Handgelenk mit aller Kraft.

Helena schlug hart gegen die Felswand und musste voller Entsetzen mit ansehen, wie der schmale Felsvorsprung, auf dem Harris lag, wegbrach und den unglücklichen Geologen mit in den sicheren Tod riss.

Es war ein furchtbarer Moment, aber ihre Lage war nicht weniger hoffnungslos. Sie hing an einer Hand, von John unglaublicherweise noch immer gehalten, über einem gähnenden Abgrund und es gab nichts, wo sie sich hätte abstützen können.

John hatte das Unglück mehr gefühlt als vorhergesehen. Als Helena sich über den Rand geschwungen hatte, hatte er das Beben des Bodens in allen Fasern seines Körpers gespürt und er hatte gehandelt, ohne auch nur eine Sekunde zu überlegen. Seine Finger hatten Helenas Handgelenk erfasst, als die Erde erzitterte und sie verschlingen hatte wollen. Was danach gekommen war, war die Erinnerung an einen heftigen glühenden Schmerz, als seine Muskelfasern rissen und er sich nur mit äußerster Kraft und Willensanstrengung über dem Felsrand hatte halten können. Jetzt lag er keuchend auf dem Bauch und befahl seinen gezerrten Muskeln, ihm ihren Dienst nicht zu versagen. Aber Helenas Gewicht zog ihn Stück für Stück näher an den Abgrund, bis er es endlich schaffte, mit seinen Füßen Halt zu finden.

Nun lag er still, zitternd vor Aufregung und Anstrengung und versuchte verzweifelt, Helena über den brüchigen Rand in Sicherheit zu ziehen, aber er schaffte es nicht. Während er mit einer Hand eisern Helenas Gelenk umklammert hielt, versuchte John mit der anderen irgendetwas von ihr zu erreichen, aber auch das misslang. John ließ seinen Kopf auf den staubigen Boden sinken und kämpfte um eine ruhigere Atmung, um mit ihr reden zu können, um ihr und sich Mut zusprechen zu können.

Helena hielt den Schmerz in ihrem rechten Arm kaum aus, aber er war nun ihre einzige Verbindung zum Leben, so wie John…

So knapp vor dem sicheren Ende, an der Schwelle zwischen Leben und Tod, gingen ihr die seltsamsten Gedanken durch den Kopf. Vor allem die Relativität der Zeit, gab ihr das Gefühl, einen furchtbaren Fehler gemacht zu haben. Wie lange war es her, dass sie gedacht hatte, einfach mehr Zeit zu brauchen, um sich auf John einlassen zu können? Jetzt war es geradezu lächerlich geworden, jetzt, wo ihre Lebenszeit abgelaufen zu sein schien und Zeit ihr kostbarstes Gut war.

Gab es im Leben für alles einen richtigen Zeitpunkt, oder bestimmte man das letztlich selbst?

Wann hatte man genug getrauert, wann war man für etwas Neues bereit? Wann war die Zeit gekommen, sich seinen Wünschen und Sehnsüchten hinzugeben, oder hatte sie aus falschen Ängsten und Befürchtungen einfach das Beste verpasst? Sah sie so klar, weil es jetzt zu spät war, oder weil es galt, eine letzte, wichtige Entscheidung zu treffen?

Helena versuchte zu sprechen und sagte mit erstaunlich klarer Stimme:

„John?“

Johns Antwort war ein raues Flüstern:

„Helena…“

„John, du musst mich loslassen. Es wird immer gefährlicher und Lindstroem muss unbedingt versorgt werden. Du bist der Commander, du musst dich retten.“

John gab einen Laut von sich, der irgendwo zwischen einem Stöhnen und einem Knurren lag:

„Dich loslassen, Helena? Das meinst du doch nicht ernst?“

„Doch John. Ich möchte, ich... wünsche mir, dass du weiterlebst.“

„Ohne dich? Da stürzen wir lieber beide da hinunter, bevor...“ Seine Finger begannen klamm und steif zu werden und wieder befahl er seinen Körper durchzuhalten.

Helena gab einen Laut von sich, der wie ein Schluchzen klang und John redete rasch, mit rauer heiserer Stimme weiter:

„Du bist doch der Grund, dass ich nie meinen Mut verliere, dass ich weitermachen kann und immer wieder ein Ziel, eine Zukunft sehe. Du bist doch alles, was für mich zählt, du…..“

Er konnte nicht weiter und verfluchte seine Unfähigkeit, nicht einmal in dieser Situation die richtigen Worte zu finden.

Aber für Helena waren es genau die richtigen Worte gewesen, sie lächelte trotz der ausweglosen Lage und der Schmerzen über seinen verzweifelten Versuch, sein Herz vor ihr auszubreiten.

Sie hob leicht ihren Kopf, und sah verschwommen sein schweißüberströmtes Gesicht irgendwo weit über sich, ihre Stimme hatte noch eine kleine Ahnung des Lächelns in sich, als sie antwortete:

„Ich weiß, John. Ich liebe dich auch.“

Da ging ein Ruck durch seine Gestalt, alle seine verkrampften Muskeln spannten sich und er fühlte weder Schmerzen noch Erschöpfung, als er seine Finger hart um ihr Handgelenk schloss und sie mit neu erwachter Kraft langsam, aber sicher über den zerklüfteten Felsrand zog. Diese Worte hatten alle Schleusen seines Körpers geöffnet und verborgene Energien mit verschwenderischer Fülle in alle Winkel ergossen. Der raue Fels riss seine Haut auf und schürfte hässliche Wunden, die er nicht einmal bemerkte, er sah nur den blonden Kopf, der langsam immer näher und näher zu ihm kam. Seine andere Hand fasste ihre linke Schulter und endlich – ENDLICH konnte er Helena in Sicherheit und in seine Arme ziehen.

Sie lagen atemlos am Rand des Abgrunds, der Planet schien für diesen Augenblick sein Beben eingestellt zu haben und hielten sich fest so umklammert, als wollten sie sich nie wieder loslassen.

John hatte sein Gesicht an ihrem Hals verborgen und Helena streichelte sein feuchtes dunkles Haar, wieder und immer wieder. Sie konnte nicht sagen, ob es Schweiß oder Tränen waren, was so heiß auf ihrer Haut brannte…

In der Höhle herrschte jetzt absolute, unheimliche Stille, nur von ihrer beider heftigem Atem unterbrochen. Schließlich hob John den Kopf und sie sahen sich an. Helenas grüne Augen waren dunkel von ungeweinten Tränen und glitzerten wie Diamanten. Und endlich trafen sich ihre Lippen zu einem ungestümen, nicht enden wollenden Kuss, der alle Verzweiflung und Todesangst wieder spiegelte, so wie die jubelnde Freude über ihre Rettung und Wiedervereinigung.

Weder der nun wieder bebende Boden, noch die ansteigende Hitze oder das dumpfe Grollen der zitternden Berge hatten irgendeine Bedeutung, nur mehr sie beide existierten und ihre unbeschreiblich große Liebe.

Es war der Moment, wo nur mehr der Wunsch zählte, sich alles zu nehmen und alles zu geben, alles zu vergessen und sich zu verlieren in den endlosen Schlingen einer übermächtigen Leidenschaft…

Aber sie waren in höchster Gefahr und als die ersten kleineren Felsbrocken herabkollerten, war Eile geboten, denn noch eine Warnung würde es nicht geben. John und Helena lösten sich schwer atmend von einander und kamen etwas benommen auf die Beine. Sie sahen sich einen Moment in die lodernden Augen, dann packten sie sich bei den Händen und rannten zurück zum Adler.

Der Boden unter ihren Füßen schien nun zu toben, überall brachen Spalten auf und heißer Dampf stob aus dem tiefsten Inneren des Feuerplaneten hervor.

Alan wartete bereits voller Ungeduld und Sorge und zerrte sie beinahe in den Adler:

„Commander! Dr. Russell! Wo waren Sie so lange? Wir müssen weg, hier wird gleich die Hölle los sein!!!“

Helena und John ließen ihre Hände los und wandten sich ihren Aufgaben zu, nicht ohne das plötzliche Gefühl der Leere zu registrieren, das sie empfanden.

Lindstroem war noch immer von einer gnädigen Ohnmacht umfangen, er würde sich später erst mit dem Tod seines Freundes auseinandersetzen müssen und Helena war froh über die kurze Schonfrist, die das Schicksal dem Unglücklichen gewährte.

John und Alan stürmten in das Cockpit und verließen mit einem Alarmstart den ungastlichen Ort, der unter dem Einfluss der Gravitation des Mondes auseinander zu brechen schien.

 

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Während des gesamten Flugs schaffte der Commander es nicht, sich zu konzentrieren und, wenigstens ansatzweise, Ordnung in seine Gedanken zu bringen. Er gab Alan keine Antworten auf dessen Fragen, da er sie gar nicht hörte und sah auch nicht den verwunderten Blick seines Copiloten. Vor seinen Augen kreiste nichts als Helenas geliebtes Gesicht und trotz des Verlustes eines Mannschaftsmitgliedes, konnte er nichts dagegen tun, dass er sich so unsäglich glücklich fühlte...

Helena versorgte inzwischen gewissenhaft den verletzten Geologen, dann setzte sie sich an seine Seite und lächelte still in sich hinein. Schmerz und Glück lagen so nahe zusammen, es war schwer diesen Verlust zu verarbeiten, wenn das eigene Herz sich nicht fassen konnte vor überströmenden Gefühlen...

 

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Auf Alpha angekommen landete der Commander vorschriftsmäßig, aber etwas holprig. Alan musterte ihn mit einem erstaunt-amüsierten Blick:

„Alles in Ordnung, Commander?“

John erhob sich mit einem flüchtigen Nicken und öffnete ungeduldig die Tür zum Passagierraum, aber er und Helena konnten nur mehr einen kurzen strahlenden Blick tauschen, dann stürmte bereits ein medizinisches Notfallteam die Luftschleuse und Helena folgte ihnen, um sich um Lindstroem kümmern zu können.

Auf John wartete bereits Victor, der für seine Verhältnisse geradezu aufgelöst wirkte.

„John! Ist alles in Ordnung?“

Er blickte besorgt in Koenigs aufgewühltes Gesicht, auf seine zerrissene, schmutzige Uniform und die leicht verletzten Hände.

„Der Computer hat einen Fehler in der Berechnung gemacht und dann konnten wir euch nicht mehr erreichen.“

John versuchte sich zu sammeln:

„Einen Fehler? Wie hat das passieren können?“

Victor machte eine umfassende Geste:

„Er ging von falschen Tatsachen aus. Als ihr schon unterwegs zum Planeten wart, habe ich ihn genauer vermessen und dabei festgestellt, dass er auf der uns abgewandten Seite einen gewaltigen Krater aufweist, der von einem Meteoriteneinschlag stammen muss. Bedingt durch diese Tatsache rotiert der Planet in einer unregelmäßigen Ellipse um die Sonne und dadurch kam unser Mond ihm viel schneller zu nahe als berechnet. Wir…..“

John nickte etwas geistesabwesend:

„Wir haben Harris verloren, Lindstroem ist schwer verletzt. Wir haben auch nur wenige von den erforderlichen Rohstoffen gesammelt und der Planet ist für uns ungeeignet, diese Mission kann man nicht als erfolgreich bezeichnen.“

Plötzlich verstummte er und ein gedankenvolles Lächeln glitt über sein Gesicht. Victor musterte ihn überrascht:

„John? Ist alles in Ordnung?“

Commander Koenig fasste sich:

„Ja. Ich brauche nur eine Dusche und eine frische Uniform, das ist alles.“

Victor lächelte verständnisvoll und John entkam in sein Quartier.

 

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Dr. Russell hatte die Wunde des Geologen versorgt und seinen Schädel gescannt. Glücklicherweise war nichts gebrochen und bis auf eine schwere Gehirnerschütterung gab es keine weiteren Verletzungen. Die Wunden würden heilen und Lindstroem würde bald wieder auf dem Posten sein. Seine seelischen Wunden würden länger brauchen und dabei würde ihm niemand wirklich helfen können. Helena seufzte und überwachte die Daten, die die Scanner lieferten. Noch lag er in einem künstlichen Tiefschlaf und das würde noch eine Weile so bleiben. Solange hatte er Ruhe und Frieden.

Erst danach verließ die Chefärztin die Krankenstation und betrat erleichtert ihr Quartier, um ebenfall eine Dusche zu nehmen und sich umzuziehen. Sie bewegte ihren rechten Arm und registrierte erleichtert, dass sie nicht ernsthaft verletzt zu sein schien. Dann blickte sie lächelnd auf eine Injektion, die sie mit in ihr Quartier genommen hatte. Johns Muskeln würden eine Behandlung nötig haben…

 

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Kaum hatte John die Dusche verlassen und eine frische Uniform angezogen, als er einen Summton an seiner Tür hörte und mit seinem Commlock öffnete.

Victor kam lächelnd herein und begann ihn sofort mit Beschlag zu belegen. Er erörterte in allen Details das Problem, das den Computer zu diesem Fehler verleitet hatte. John hörte nur mit halbem Ohr hin, bemühte sich aber redlich, großes Interesse zu heucheln.

Als Victor schmunzelnd verstummte, bemerkte er es, völlig in Gedanken versunken in ein leeres Regal starrend, zunächst gar nicht. Erst nach dem zweiten Ruf fuhr er erschrocken herum.

„John! Ich denke, wir sollten morgen weiter darüber reden. Du solltest ein wenig schlafen, es ist spät.“

Koenig lächelte ein wenig über Victors altmodische Ausdrucksweise, dann legte er ihm kurz die Hände auf die Schultern und sank danach erleichtert auf eine Couch. Er vergrub das Gesicht in den Händen und versuchte sich zu entspannen, als der Türsummer wieder ertönte. John öffnete ohne aufzublicken, Victors zerstreute Entschuldigung erwartend, als eine weiche Hand seine Wange berührte.

Mit einem Satz sprang er auf und nahm Helenas Hand in die Seine:

„Du bist hier.“ War alles, was er sagen konnte.

Helena hob lächelnd ihre Injektion:

„Ich dachte, ich könnte etwas für dich tun.“

John lächelte ebenso. Er wollte jetzt nicht an die Gefahr denken, die sie beide überstanden hatten, er wollte nur ihre Nähe genießen und ihre Liebe….

„Ich hatte eigentlich gehofft, dass es etwas anderes wäre, was du für mich zu tun gedacht hättest.“

Helena sah in seine Augen und sah die Verletzbarkeit darin. Auch er hatte die Angst, einen geliebten Menschen zu verlieren, noch lange nicht überwunden, würde es vielleicht nie können, so wie sie selbst…

Es gab keine richtigen Zeitpunkte, keine Momente, auf die man warten musste, sondern nur Zeit, die man nützen musste und hüten, wie einen kostbaren Schatz, da sie so unendlich flüchtig und erschütterlich war.

Helena gab ihm sehr sanft die Injektion, dann glitt sie lächelnd in seine sehnsüchtige Umarmung:

„In diesem Fall brauchst du sie erst recht.“

 

-Ende-

 

 


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