Die Patrouille |
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Die "Shark", ein fast 25 Jahre altes Patrouillenschiff, flog mit rasantem Tempo durch den Raumquadranten Iota/C/27. Nicht, daß es in diesem Grenzbereich etwas zu bewachen gab, aber auch im 23. Jahrhundert existierten noch eine Reihe von Außenposten, deren einziger Zweck der war, strafversetztes Personal aus dem Weg zu schaffen.
Die Besatzung der "Shark" waren die beiden Raum-Cops Oswald "Ozzie" Gumm und Bo Xidor, die sich beim Drehen ihrer Runden redlich langweilten und deren Ereignis der Woche es war, wenn sie dem Kapitän eines Transporters einen Strafzettel wegen überhöhter Geschwindigkeit verpassen konnten. Die meiste Zeit aber stritten sie sich oder spielten Stripp-Poker oder stritten sich und spielten Stripp-Poker.
Im Augenblick langweilten sie sich nur, weil ein Streit auf die Dauer zu aufwendig ist und der Reiz des Kartenspiels mangels weiblicher Beteiligung schon dramatisch nachgelassen hatte.
Sie saßen in der Pilotenkanzel, um sich verstreut verschimmelte Essensreste und Berge von Verpackungen eingeschmuggelten Junkfoods, und Ozzie klopfte verärgert auf die Anzeige des Schwerkraftadapters, der, wie auch die meisten übrigen Geräte an Bord, drauf und dran war, den Geist aufzugeben.
"Deine Schuld, daß wir hier sitzen," ließ er seinen Partner unmutig wissen, "warum mußtest du auch auf dem Empfang unbedingt die Frau vom Polizeichef begrapschen?"
"Du bist gut! Solche Blicke kann man unmöglich ignorieren!"
"Sie schielt wie ein stockbetrunkener Gorilla!"
"Jetzt weiß ich das auch! Aber wer hat eigentlich dich dazu aufgefordert, den Polizeichef K.O. zu schlagen? Wenn ich ihm den alten Drachen abgenommen hätte, wäre ich unter Umständen sogar befördert worden!"
"Man kann schließlich nicht jeden kennen! Und wer eine solche Visage hat, kann normalerweise sowieso nur Verbrecher werden." Bo holte Luft, um die Debatte mit ein paar Beleidigungen und ungerechtfertigten Anschuldigungen in Schwung zu bringen, als er bei einem zufälligen Blick aus dem Sichtfenster einen außerordentlich großen, runden Gegenstand aus einem der Raumtore treten sah, der mit gefährlich - um nicht zu sagen: unmöglich - hoher Geschwindigkeit am Patrouillenschiff vorbei zischte. Gleichzeitig erscholl die Alarmsirene in penetranter Lautstärke.
"Unangemeldet! Und nicht einmal ein Kennzeichen! Das gibt eine saftige Strafe! Loretta, was zum Henker ist das?"
"Toll, daß ihr euch noch an mich erinnert", erklang eine beleidigte Männerstimme, ohne Anstalten zu treffen, die Frage zu beantworten.
"Keine Sprüche, Blechbüchse! Was ist das für eine Kugel?" Der Computer seufzte gekünstelt.
"Anhand vorliegender Daten ist darauf zu schließen, daß es sich um den Mond handelt."
"Mond? Was für ein Mond?" Ein Hologramm des Objektes erschien und drehte sich vor Bos Nase.
"Luna, der irdische Mond. Das Ding, das nachts über den Himmel zieht und Licht und Romantik verbreitet. Soweit ich weiß, stammt ihr beide von der Erde."
"Ausgeschlossen! Wir sind Lichtjahre von unserem Sonnensystem entfernt. Außerdem sehe ich keine Städte und Ansiedlungen. Wo ist Lunapolis? Die größte Stadt des Universums kann doch nicht einfach spurlos verschwinden!" schrie Ozzie, der einige sehr angenehme Erinnerungen mit dem Mond verband, empört.
"Laut Sensoren gibt es dort nur ein paar Siedler, kaum der Rede wert."
"Das reicht mir schon! Von Verkehrsordnung und Geschwindigkeitsbegrenzungen haben sie wohl noch nie etwas gehört! Die zahlen, bis sie schwarz sind!" Bo, der dem nichts hinzuzufügen wußte, riß das Steuer der "Shark" herum, ließ die Maschinen aufheulen und nahm die Verfolgung auf, ungeachtet der Proteste des Computers, der befürchtete, daß das Schiff für solche waghalsigen Manöver mittlerweile aus zu vielen Schrottkomponenten bestand.
"Mondbasis Alpha ruft fremdes Raumschiff, identifizieren Sie sich! Mondbasis Alpha ruft Raumschiff, bitte identifizieren Sie sich!" Gleichzeitig mit dem Ton erschien, von blauen Begrenzungsbalken aus Licht umgeben, die zweidimensionale Projektion einer jungen Frau mit kurzem, schwarzem Haar.
"Hier spricht die 'Shark'," meldete sich Ozzie, den die Erscheinung sichtlich beeindruckte. "Dies ist eine Verkehrskontrolle, wir erbitten Landeerlaubnis. Drehen Sie bei und halten Sie Ihre Papiere bereit: Pässe, Zulassungsscheine, Frachtpapiere, etc." Und in vertraulichem Ton: "Haben Sie heute am Abend etwas vor?"
"Was? Sie meinen mich?"
"Sicher. Ich habe kein Rendezvous mit Ihrer gesamten Mondbasis vor."
"Einen Moment, bitte." Sie blätterte in einem Skript, das vor ihr auf dem Pult lag. "Tut mir leid, im Drehbuch ist nichts dergleichen vorgesehen. Vorgesehen ist allerdings, daß ich Sie nun an meinen Commander verweise." Unversehens verschwand ihr Bild und machte dem eines Mannes mit strengem Gesicht und scharfem Blick Platz.
"Commander John Koenig," stellte er sich vor. "Sie werden verstehen, daß wir den Mond nicht anhalten können. Wir wollen keinen Ärger, deswegen erteile ich Ihnen die Landeerlaubnis. Lassen Sie sich von meinen Leuten einweisen."
Ozzie, dem nicht einleuchten wollte, wieso ein Flugobjekt, das derartig schnell fliegen konnte, nicht auch dazu in der Lage sein sollte , seine Geschwindigkeit zu drosseln, wollte aufbegehren, wurde jedoch von seinem älteren und gelegentlich weiseren Kollegen - den übrigens das Schicksal der Versetzung nur ein halbes Jahr vor seiner Pensionierung ereilt hatte - eingebremst.
Sie waren dabei, die Meldung zu bestätigen, als plötzlich ein Geräusch wie von einer Explosion erklang und sich das Cockpit umgehend mit Rauch füllte. Die Maschinen fielen samt und sonders aus.
"Auf Gefechtstation!" schrie Ozzie im Irrtum, ein mehrere hundert Mann starkes Kriegsschiff zu befehligen. "Die greifen uns an!"
"Immer mit der Ruhe," mischte sich Loretta ein, "unser Antrieb ist endgültig eingegangen. Damit rechne ich schon seit Monaten. Von den Leuten am Mond droht, scheint es, keine Gefahr. Im Gegenteil, sie sind zur Zeit eure einzige Chance, wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen. Seid also freundlich zu ihnen und benehmt euch."
Wenig später näherte sich der "Shark" ein insektenartiges Raumschiff und nahm dank seiner grenzenlos adaptierbaren Andockvorrichtung die beiden schiffbrüchigen Männer an Bord. Der Erste Pilot Alan Carter begrüßte sie mit einem seiner improvisierten musikalischen Zweizeiler:
"Seid so frei und tretet ein
Ihr müßt mir den Gesang
verzei´n!
Leider," fuhr er sprechend fort, "leider bin ich von Zeit zu Zeit gezwungen, ein wenig zu singen. Ich weiß nicht, woran das liegt. Macht es euch hier im Passagiermodul bequem. Ich schleppe euer Schiff ab und bringe es ins alphanische Reparaturdock."
"Wie wollt ihr den Antrieb reparieren? Nichts gegen eure komischen Flugkisten," wandte Bo ein, "für eure Zwecke mögen sie ja ausreichen, aber sie sehen nicht so aus, als ob ihr technisch ausreichend was am Kasten habt."
"Das macht nichts. Wir können alle Ersatzteile und Geräte beschaffen."
"Wie denn?"
"Wir bestellen sie natürlich bei den Modellbauern. Die Dinge, die sie konstruieren, sehen manchmal wirklich abenteuerlich aus, aber sie funktionieren ohne Ausnahme. Also macht euch keine Sorgen." Einigermaßen eingeschüchtert nahmen die zwei Havarierten Platz. Die Idee, großartig Kontrollen bezüglich der rechtmäßigen Anwesenheit dieses eigenartigen Mondes und seiner Bewohner durchzuführen, hatten sie mittlerweile ganz tief und reichlich unauffindbar in ihren Hirnwindungen versenkt.
Koenig erwartete sie an einer Station des basisinternen U-Bahnsystems zusammen mit einer traurigen Truppe von lilaärmeligen Sicherheitsdienstleuten, Invaliden, die übel zugerichtet waren und ausgedehnt Zahnlücken zur Schau stellten, blau unterlaufene Augen, zahllose Schürf- und Platzwunden, Armschlingen, Kopf- und Gipsverbände, und einer saß sogar im Rollstuhl und zielte, wie auch seine Kollegen, verbissen mit seiner Waffe auf die Ankömmlinge. Koenig, dem der vielsagende Blick der Cops, den sie einander zuwarfen, nicht entging, seufzte.
"In jeder Episode lassen sie die Bösen entkommen und stecken fürchterliche Schläge ein. Ich weiß wirklich nicht, warum ich sie überhaupt noch beschäftige. Allerdings, so einfachen Aufgaben wie dieser hier sind sie gerade noch gewachsen. Geben Sie nun also Ihre Waffen ab."
"Commander Koenig, wir sind Polizisten," widersprach Bo, "Sie sollten wissen, daß wir unsere Waffen nicht aus der Hand geben können."
"Dann entleeren Sie die Magazine," rief Koenig ungeduldig, und angesichts der Übermacht, auch wenn - oder vielmehr weil - es sich um Stümper handelte, gehorchten sie.
Dann wurden sie durch ein Labyrinth aus sich überschneidenden Korridoren geschleust, die alle gleich aussahen mit ihren Lichtwänden, Kommunikationssäulen und undurchschaubaren Lageplänen der Basis.
"Wir verlaufen uns selbst noch oft genug," sagte der Pilot Carter, der die Gruppe ebenfalls begleitete, "es gibt hier Stationen, die von Mal zu Mal völlig anders aussehen! Das macht die Sache auch nicht gerade leichter." Nach einer Odyssee, bei der die zwei Männer den Verdacht hatten, daß man sie zwecks Verwirrung eine Weile im Kreis herumgeführt hatte, erreichten sie die Kommandozentrale.
Dort sah Ozzie die attraktive Schwarzhaarige wieder, die wohl aufgrund mangelnder Anweisungen in ihrem ominösen Drehbuch keinerlei Interesse an ihm zu haben schien und sich auch sonst dezent im Hintergrund aufhielt.
Ins Auge aber stach ihm ein gefährlicher riesengroßer, schwarzer Panther, der mitten auf dem Boden lag und die Eintretenden kritisch betrachtete, als suchte er sich unter ihnen wie an einer Salatbar sein zukünftiges Mittagessen aus. Natürlich wußte Ozzie nicht, daß dies ein Panther war, denn, wie auch die meisten anderen Tiere, die nicht unmittelbar in den menschlichen Futtertrog wanderten oder zumindest als Haus- und Schoßtiere vor demselben saßen, waren sie bereits vor 150 Jahren von der Erdoberfläche verschwunden.
Immerhin sah das Tier ziemlich gefährlich aus, und Ozzie wunderte sich, was die übrigen Anwesenden davon abhielt, angstschreiend auf alle verfügbaren Arbeitstische zu springen. Er jedenfalls hatte gute Lust dazu.
Doch das Nervenflattern war unbegründet. Das Untier verwandelte sich in eine exotisch anmutende Frau mit roter, aufgetürmter Haarpracht, die betörend lächelte, und es war dies Maya, die letzte Überlebende der Psychons.
"Zum Kampf gegen meine Feinde verwandle ich mich lieber in Gummi- und Latexmonster," verriet sie, die Miene der Gäste richtig deutend, "sie sehen so unecht aus, daß niemand sie für gefährlich hält. Ein paar kräftige Ohrfeigen reichen meistens aus, um sie kampfunfähig zu machen." Auch Bo sah sich in der Zentrale um. Eine Blonde mit kühlem, wasserblauem Blick erhob sich und trat ihnen entgegen. Er ergriff die ihm dargebotene Hand wie benebelt.
"Dr. Helena Russell," stellte sie sich vor. "Ich bin Experte in Weltraummedizin. Außerdem Herzchirurgin, Neurologin, Gynäkologin und Allgemein-, Notfalls- und Intensivmedizinerin. Ganz zu schweigen von meinen Ausflügen in die experimentelle und exobiologische Medizin. Wer gesundheitliche Probleme hat, ist bei mir also hervorragend aufgehoben." Sie lächelte bedauernd. "Was nichts daran ändert, daß wir aufgrund unserer gefahrvollen Abenteuer einen sehr hohen Personalverschleiß haben."
"Das macht allerdings gar nichts," sagte Koenig beruhigend, "das Besetzungsbüro hat uns noch immer genug Nachschub geschickt." Bo löste widerwillig den Blick von der Ärztin und wandte sich dem Kommandanten zu. Dieser fand offensichtlich, daß es an der Zeit wäre, von wichtigen Dingen zu reden.
"Mr. Xidor," sagte er, "Sie sind also der irdischen Autorität unterstellt?"
"Nun ja, wenn man so will. Eigentlich den Vereinigten Welten, deren Vorsitz zur Zeit die Erde hat."
"Kommen wir zum Geschäftlichen. Wir reparieren Ihr Schiff, und Sie vergessen dafür die Einreiseformalitäten. Wir sind schließlich kein Frachtschiff und haben daher auch nichts zu verzollen. Es steht Ihnen frei, sich davon zu überzeugen."
So recht überlegt und nach Verfliegen des ersten Schreckens fühlte Bo nun ein Pflichtgefühl aufkeimen, das selten bei ihm zu Gast war, und wenn, dann nur, wenn er gerade überhaupt nichts damit anfangen konnte. Folglich teilte er Koenig mit, daß der Plan, den er ihm vorschlug, leider nicht durchgeführt werden könne. Zum einen wegen der enorm strengen Einreisebedingungen und zum anderen und insbesondere wegen der enorm fürchterlichen Disziplinarstrafen, die ihn und Ozzie erwarteten, wenn sie gegen die Regeln verstießen. Wenn nicht zufällig das interstellare Kommunikationssystem der "Shark" vor einigen Tagen ausgefallen wäre, dann hätte er bereits eine ganze Flotte angefordert, die die Alphaner, notfalls auch ohne ihren Mond, aus dem Hoheitsgebiet der Vereinigten Welten verjagt hätte. - Selbstverständlich, nicht ohne sich sozusagen als Aufwandsentschädigung sämtliche Habe der Alphaner unter den Nagel zu reißen - Der Kommandant war davon wenig beeindruckt.
"Entweder Sie erfüllen meine Bedingungen, oder Sie bleiben bei uns auf dem Mond!"
"Nehmen wir einmal an, daß wir akzeptieren, wie wollen Sie verhindern, daß wir den Vorfall bei der nächstbesten Gelegenheit melden?"
"Sie werden sämtliche Daten über unseren Kurs aus Ihrem Computer löschen. Keine Daten, keine Verfolgung. Und täuschen Sie sich nicht: wir haben die Möglichkeit dazu, dies sicherzustellen und auch zu überprüfen!" Bo wußte, wann er geschlagen war. Er hatte zwar den Verdacht, daß dies noch nicht alles war, doch Koenig äußerte sich nicht weiter. Und er entschloß sich, das Beste aus seinem Aufenthalt auf dem mysteriösen Mond zu machen.
Er und Ozzie wurden eingeladen, den verschiedenen Sektionen der Basis einen Besuch abzustatten.
Carter und Dr. Russell begleiteten sie. Letzteres wertete Bo übrigens als äußerst gutes Zeichen, da er das Hauptziel des Lebens in der Eroberung einer möglichst großen Menge von Frauen sah, einer Aufgabe, der er jetzt schon seit etlichen Wochen nicht mehr hatte nachgehen können (was die Sache um so dringlicher machte). Ein heimlicher Blick auf ihre Hand zeigte ihm keinen unerquicklichen Ehering, und er atmete erleichtert auf.
"Schielt sie?" fragte er Ozzie leise, als sie die Kommandozentrale verließen, und der verneinte, empfahl ihm jedoch in einem seltenen Anfall von geistiger Klarheit, trotzdem die Finger von ihr zu lassen.
Auf ihrem Rundgang gelangten sie in zahlreiche Abteilungen, und die Basis präsentierte sich ihnen als harmlose Forschungsstation, die notgedrungen zur Heimat der Wissenschaftler und Astronauten geworden war. Auf dem Weg hörten sie die reichlich abstruse Geschichte, wie es den Mond in die Tiefen des Weltraums verschlagen hatte. Von höllischen Explosionen des gelagerten Atommülls und immensen Beschleunigungen war die Rede und auch davon, daß das All voller Außerirdischer war, die alle in der Schule Englisch als Fremdsprache gelernt hatten, weswegen es bei kaum einem Kontakt zu Sprachschwierigkeiten gekommen war.
Bo und Ozzie, die anderes gewohnt waren, wunderten sich nur und blieben ansonsten auf der Hut, weil in ihrem Hinterkopf noch ein weiterer Mond herumspukte, er, wie es sich gehörte, nach wie vor seine Kreise um die Erde zog.
In der technischen Sektion stießen sie auf ein riesenhaftes Ungetüm von einer Maschine mit Rohren und Leitungen, Schaltpulten, Kontrollampen und einer Kabine aus Plexiglas.
"Das ist die letzte Arbeit von Professor Bergman," erklärte Helena ihnen. "Es ist ein Verjüngungsgerät."
"Und funktioniert es?"
"Selbstverständlich. Alles, was Victor hergestellt hat, funktioniert. Es gibt allerdings ein kleines Problem. Er hat vergessen, der Maschine beizubringen, daß es sich nach der Verjüngung um dieselbe Person handeln muß."
"Ja," fuhr der Adlerpilot traurig fort, "Victor war selbst sein erstes Opfer. Jetzt hält er sich für einen Italiener namens Tony Verdeschi und glaubt, er sei der Chef des Sicherheitsdienstes."
"Wir belassen es dabei," sagte sie, "der Posten war sowieso gerade frei."
Schließlich war noch ein gemeinsames Dinner im Erholungszentrum vorgesehen. Die Runde war klein und bestand aus Koenig, Dr. Russell, Tony Verdeschi, Maya, Captain Carter sowie den beiden Gästen. Bo hatte es darauf abgesehen, einen Platz neben der Chefärztin zu ergattern, doch als sich der Commander mit giftigem Blick vordrängte und auf den Sitz fallen ließ, ging ihm ein Licht auf. Er war wieder einmal hoffnungslos zu spät.
So wollte er zum Trost wenigstens das Essen genießen, doch leider schmeckte es derart scheußlich, daß sich seine teuren Haarimplantate sträubten und Ozzie vor lauter länger werdenden Zähnen kaum noch den Mund zubrachte. Zu allem Überfluß schienen die übrigen Anwesenden von der Köstlichkeit des grauenhaften Mahls überzeugt und erwarteten ein Lob auf die alphanische Küche.
Die einzige Möglichkeit, den sicheren Tod der Geschmacksknospen zu verhindern, sahen die beiden Raumfahrer darin, mit großen Mengen eines recht rauhen Gebräus aus Mr. Verdeschis eigener Produktion, dem er optimistisch die Bezeichnung 'Bier' verpaßt hatte, die schonungslosen, chemischen Keulen im Mund wegzuspülen.
Plötzlich glaubte Ozzie, den Sinn hinter diesem Manöver zu begreifen. Daß es allerdings für eine wirksame Gegenwehr längst zu spät sein mußte, sah selbst er ein. Auf unerklärliche Weise hatten sich nämlich die Personen im Raum multipliziert, mehrere Koenigs saßen ihm gespenstisch gegenüber, er zählte mindestens vier Mayas und entdeckte zu allem Überfluß, daß ihm sechs weitere Hände gewachsen waren und er also nunmehr über vierzig Finger verfügte. Sein entsetzter Blick streifte Bo, der überhaupt nur noch dumpf auf den Tisch starrte und gelegentlich schwer seufzte.
"Commander," sagte er leicht verwaschen, "was wollen Sie wirklich von uns?" Koenig machte zuerst ein überraschtes Gesicht, dann schien ihm etwas einzufallen und er setzte kurzerhand eine grimmige Miene auf.
"Nun, ich möchte die Baupläne Ihres Schiffes haben. Ehrlich gesagt, wir hätten uns selbst bedient, aber leider konnten wir das Sicherheitssystem an Bord nicht knacken. Ihr Computer stellte uns nur die Unterlagen für das defekte Bauteil der Maschine zur Verfügung."
"Brave Loretta," murmelte Bo dazwischen, was bewies, daß er wenigstens noch peripher erfaßte, worum es ging.
"Sehen Sie, Mr. Gumm, wir sind lange herumgereist und haben keinen Platz gefunden, an dem wir bleiben hätten können. Wir haben genug von der ewigen Irrfahrt, und mit dem Antrieb der 'Shark' könnten wir leichter einen bewohnbaren Planeten erreichen Ob wir nun in unserem eigenen Universum leben oder in dieser parallelen Welt, das ist uns schon einerlei!"
"Und wenn wir uns weigern?"
"Dann besteht endgültig die Möglichkeit, daß Sie uns bis an Ihr Lebensende Gesellschaft leisten müssen, weil meine Techniker die 'Shark' in ihre Einzelteile zerlegen werden!"
Ozzie bedachte Koenig mit einem überlegenen Silberblick.
"In dem Fall kann ich unglücklicherweise gaaar nichts machen, Commaner, denn ich bin" - und er deutete mit Daumen und Zeigefinger eine verschwindend geringe Menge an - "nur ein winsig gleiner Polisist, genauso wie mein Gumpel hier. Wenn Loretta sagt, die Informazionen sind geheim, dann sind sie es. Ich kratuliere herslich su Ihren swei neuen Besatsungsmitgliedern!"
Am nächsten Morgen hatte sie der Kater fest in seinen Klauen. Sie wankten benommen aus dem Gastquartier und fanden, wie es der Zufall wollte, die medizinische Station, wo ihnen eine mitleidige Dr. Russell mittels kurioser Laserlicht-Spritze ein wirksames Mittel verabreichte, das nach einigen Kämpfen die Mörderbrigaden in ihren Oberstübchen ausquartierte.
Nachdem sie sie auf diese Weise halbwegs wiederhergestellt hatte, begleitete die Ärztin sie in die Kommandozentrale, wo bereits das Personal in großer Zahl versammelt war. Koenig schaute auf und grinste beim Anblick der zerstörten Gesichter.
"Haben Sie sich von dem Höllentrank erholt? Ich kann mir wirklich angenehmere Arten vorstellen, in alkoholische Bewußtlosigkeit zu fallen. Vielleicht hätten wir Sie vor den Auswirkungen warnen sollen." Die plötzliche Entspannung kam den beiden Cops sehr verdächtig vor, und sie fragten sich, welche Tiefschläge nun wieder gegen sie geplant waren.
"Hören Sie zu," sagte der Commander, "Sie wissen sicher, was ein Drehbuch ist. Eine Geschichte, die ein potentielles Publikum unterhalten soll. Soweit, so gut. Lästig wird die Sache nur, wenn man, wie wir hier auf Alpha, selbst nach dieser Geschichte leben soll."
"Ja, Sie können sich kaum vorstellen, wie viele Leute ihre Nase in unsere Angelegenheiten stecken," ereiferte sich Tony Verdeschi, "nie existiert ein endgültiges Konzept; die Drehbücher ändern sich quasi, während man sie noch liest, und wir wissen nie , wie die Handlung wirklich weitergehen wird!" Zum Beweis schlug er ein dickes Heft auf, in dem der Großteil des maschingeschriebenen Textes durchgestrichen und mehrfach handschriftlich überarbeitet worden war. "Anfänglich war vorgesehen, daß die 'Shark' abstürzt und dabei das Erholungszentrum in die Luft jagt. Die Idee wurde aber wegen eines kollektiven Nervenzusammenbruchs der überlasteten Pyrotechniker wieder fallengelassen."
"Alle bestimmen über unser Leben," sagte Koenig und nahm das Skript selbst zur Hand, "der Produzent, die Regisseure, Autoren, Kameraleute, selbst die Schauspieler; weiters die Wettervorhersage, Bakterien, Viren, Hinz, Kunz und ob das richtige Rugby-Team gewonnen hat." Er blätterte in den Seiten und unterzog den eliminierten Text einer genauen Inspektion. "Allerdings," gab er zu, "für die Streichung der Romanze zwischen Dr. Russell und Ihnen, Mr. Xidor, bin ich persönlich verantwortlich."
"Das kann ich mir denken," murmelte Bo in Ermangelung eines geistreichen Kommentars.
"Wie bitte??"
"Ich meine, was soll das alles bedeuten?"
"Eigentlich gar nichts. Für gewöhnlich ignorieren wir das Drehbuch einfach. Es sei denn, wir finden darin etwas für uns Nützliches, das hieb- und stichfest scheint. In diesem Fall zum Beispiel befindet sich laut neuester Änderungen auf unserem Kurs ein weiteres Raumtor, das uns wieder in ein anderes Universum schleudern wird. Natürlich liegt das Fenster so nah, daß für eine Evakuierung der Basis keine Zeit mehr bleibt." Bo und Ozzie lauschten den Erklärungen mit offenem Mund, und die Menge der Informationen, die auch ihren Zielort in den Gehirnwindungen erreichte, ging sichtlich streng gegen Null.
"Der Antrieb Ihres Schiffes wurde repariert," fuhr Koenig ungerührt fort, "mein Rat: Vergessen Sie die ganze Sache und brechen Sie lieber bald auf, falls Sie es nicht doch vorziehen, bei uns zu bleiben." Einen Augenblick lang sah es so aus, als hegte Ozzie den Wunsch, das Durcheinander in seinem Kopf in Ordnung bringen zu wollen, doch dann gab er sich einen Ruck.
"Alles klar," sagte er, und dann im Flüsterton: "Komm, Bo, nichts wie weg, hier bleibe ich keinen Augenblick länger! Ich sag's dir, das sind entlaufene Irre, vielleicht fällt ihnen noch ein, uns in ihr komisches Drehbuch einzubauen!"
Mit steinerner Miene beobachtete John Koenig auf dem Monitor die Flucht des Patrouillenschiffs. Schließlich schwenkte sein Blick zur Chefärztin, die wie üblich die medizinische Station sich selbst überließ und es aus unerfindlichen Gründen für vorteilhaft hielt, Stellung an einem der Computerterminals in der Kommandozentrale zu beziehen. Sie schmunzelte.
"Das nenne ich rasant," sagte sie. "Ich kann mich nicht erinnern, daß es jemand schon einmal so eilig gehabt hat, uns zu verlassen!" Tony lehnte sich in seinem Sessel zurück.
"Was man sich nicht alles ausdenkt, um die Behörde daran zu hindern, eingehende Untersuchungen anzustellen, all unsere unverzollten Ressourcen zu entdecken und sie einfach zu konfiszieren. - Wir haben die beiden derart verwirrt, daß sie nicht gemerkt haben, wie leicht sie uns hätten zwingen können, nach ihrer Pfeife zu tanzen!"
"Ja, Sandras Idee mit dem Drehbuch war tatsächlich ausbaufähig," bemerkte Alan zufrieden, "diese Ablenkungstaktik hat uns gerade genug Zeit gegeben, den Defekt an unserem experimentellen Raumtorgenerator zu beheben!".
"Das werden wir erst noch sehen, ob er jetzt wieder funktioniert," sagte Koenig, und fügte nach einer Pause an:"Es ist schon bedenklich genug, daß er uns nicht nur an einen anderen Ort gebracht hat, wie ursprünglich geplant, sondern gleichzeitig in ein paralleles Universum!"
"Kinderkrankheiten," erwiderte Maya, ohne mit der Wimper zu zucken, "das kriegen wir schon noch alles in Griff." Sie drückte auf ein paar Knöpfe und sah auf. "Sind alle bereit? In wenigen Minuten starten wir!"
"Eigentlich schade, daß uns unsere einzige Möglichkeit, in die irdische Zivilisation zurückzukehren, schnurstracks zu illegalen Einwanderern, Schmugglern und kriminellen Elementen gemacht hat," meinte der Commander sinnierend, "aber was soll´s. Mittlerweile habe ich mich schon an unser Vagabundendasein gewöhnt."
Die "Shark" flog davon, zwei noch reichlich benebelte Raum-Cops an Bord, die nicht recht wußten, wie sie den Vorfall protokollieren sollten, und die schließlich, als der Mond aus der Parallelwelt tatsächlich wenig später durch ein Raumfenster auf Nimmerwiedersehen verschwand, beschlossen, daß es das Einfachste war, die gesamte Angelegenheit stillschweigend unter den Tisch fallen zu lassen. Und Loretta, die durchaus über einen gesunden Hausverstand verfügte, spielte mit.
Ende
07/99