Der WeihnachtsMeteorit

 

...irgendwann nach Episode 48...


Yasko saß verlassen, wie man halt so zu sein pflegt, wenn man allein zum Nachtdienst eingeteilt ist, in der Kommandozentrale, und feilte sich die Nägel. Es war, gelinde gesagt, stinklangweilig, und sie wünschte sich sehnlichst ein paar Modemagazine herbei, mit denen sie sich die Zeit vertreiben konnte, und hätte in Anbetracht ihrer allgemeinen Situation (seit Jahren fernab von jeglichen irdischen Massemedien) auch herzlich gerne mit dem einen oder anderen veralteten Exemplar vorlieb genommen. Mittlerweile waren die Nägel picobello, sozusagen ein manikürtes Gesamtkunstwerk, an dem es auch mit viel Phantasie nichts mehr zu feilen gab, und seufzend legte sie die Feile zur Seite.

Ihr Blick streifte dabei den Hauptmonitor, der den Schwenk einer der computergesteuerten Kameras bei ihrer Routinekontrolle des nächtlichen alphanischen Himmels zeigte. Just in dem Moment blinkte eine Sternschnuppe über Alpha auf und verschwand hinter den angrenzenden Kraterbergen. Yasko überlegte sich, ob sie sich denn anlässlich dieses seltenen Ereignisses ein Modemagazin wünschen sollte, denn Sternschnuppen sind bekanntlich Glücksgaranten und veranlassen Wünsche auf nicht näher eruierbare Weise, in Erfüllung zu gehen. Gleichzeitig aber trat die Qual der Wahl auf, denn vehement drängten sich noch zahlreiche andere Ideen in ihr Bewusstsein. Während sie noch ein Begehren gegen das andere abwog, erschien plötzlich ein neuer, wenig erfreulicher Gedanke, der ihr erklärte, dass die Beobachtung von Sternschnuppen zwar auf der Erde ihre Berechtigung hatte aber sicher nicht im atmosphärenlosen Raum um den Mond und dass sie also tunlichst von ihren heimlichen Hoffnungen ablassen und lieber zur Arbeit schreiten solle.

Folglich sprang sie wie von der Tarantel gestochen auf und hämmerte gegen alle ergonomischen Annehmlichkeiten im Stehen ihre Befehle für den Computer in die Tastatur. Der Rechner indes erwachte langsam aus der Lethargie des Alltags und ließ Yasko wissen, dass er trotz der Mitarbeit all seiner Sensoren und technischen Spielereien beileibe nichts Aufregendes bemerkt habe, dass alles also in schönster Ordnung sei, und wollte abschließend wissen, ob er denn noch was für den "Operator" tun könne. Der "Operator" in Yaskos Gestalt war nun einigermaßen aus dem Konzept gebracht und starrte auf den Hauptbildschirm, der noch den Kraterkamm zeigte, hinter dem die "Sternschnuppe" in Deckung gegangen war. So völlig allein gelassen, ergriffen nun ihre Hände die Initiative und wählten via Commlock die Nummer des Kommandanten.

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John Koenig befasste sich gerade trotz der fortgeschrittenen Uhrzeit, es war gegen halb drei nachts, mit seiner neuesten Gewohnheit, nämlich jener, sich Sorgen um die Funktionsfähigkeit der gesamten Basis zu machen. Freilich war die Mannschaft ständig mit Wartung und neuen Konstruktionen von Geräten, Hardware und Programmen beschäftigt, aber schön langsam schienen Verschleiß und Abnutzung den Sieg über ein funktionstüchtiges Alpha davonzutragen. Die Mittel reichten, um die Station in Gang zu halten, aber alles darüber hinaus? Mit Arbeitskräften und Rohstoffen sah es schlecht bestellt aus - um die vielen und zunehmenden Schäden auszubessern, hätte es nämlich mindestens doppelt so viele Menschen gebraucht, wie auf Alpha lebten.
Allmählich fiel die Basis auseinander.

Mitten in diese Überlegungen platzte sein Commlocksignal, und John war sich nicht sicher, ob die Nachricht, die am anderen Ende auf ihn wartete, seinem Wälzen von Problemen vorzuziehen sein konnte.
Yasko, die Wachdienst hatte, blinzelte ihm vom kleinen Monitor aufgeregt entgegen, und innerlich lehnte er sich entspannt zurück. Bei Yaskos "Notfällen" handelte es sich üblicherweise um Kleinigkeiten und Banalitäten, die mit wenigen aufmunternden Worten und einigen klaren Anweisungen zu beheben waren.

"Commander! Irgendetwas stimmt hier nicht!!"

"Was soll das heißen, Yasko? Ein bisschen genauer, bitte." Eine Salve von undurchdringlichem Kauderwelsch kam aus dem Commlocklautsprecher, und John bremste Yasko und ihre losgelassenen Pferde mit einem scharfen Wort.
Aus dem Nebenraum kam Helena, angetan mit einem uralten verblichenen Pyjamaoberteil und einer Haartracht, die, wie immer um diese Uhrzeit, am Boden zerstört war.

"Was ist los, John?" Er sah sie mit hilflosem Blick an.

"Keine Ahnung. Yasko scheint während ihrer Wache eingeschlafen zu sein und erzählt mir jetzt von einem Meteoritenhagel, der anscheinend Alpha unter sich begraben haben soll." Seine Interpretation von Yaskos Schilderung hatte einen neuen akustischen Dauerbeschuss aus dem Commlock zur Folge.

"Aber wenn der Alarm nicht ausgelöst wurde und auch gar keine abnormalen Messungen gemacht wurden, wo ist dann bitte das Problem?"

"Commander! Ich weiß, was ich gesehen habe." John erhob sich seufzend.

"Sie weiß, was sie gesehen hat", erklärte er Helena mit vielsagendem Blick und stieg in seine Uniform.

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John trat aus dem Aufzug, der schon mit Weihnachtsdekoration aller Art - bis hin zum künstlichen Mistelzweig (eine mitunter fatale Lokalisation, wie er da von der Decke des Lifts baumelte) - behängt war, in den kahlen Korridor, der zur Kommandozentrale führte und zur "Arbeitsräumlichkeit" und somit zur Tabuzone erklärt worden war, was allzu eifrigen Mannschaftsmitgliedern mit "Weihnachts-Schmückomanie" einen Riegel vor den Tatendrang geschoben hatte.

Aus dem Hauptquartier drang bereits Tony Verdeschis laute Stimme, die für Yasko wenig Verheißungsvolles ankündigte, falls ihr Inhaber, also Tony in seiner Person als Sicherheitsdienstchef, völlig umsonst die Niederungen des Tiefschlafs verlassen haben sollte. John gelangte in die Zentrale und fand dort auch noch Maya vor, die angestrengt die von Yasko beanstandete Kameraaufzeichnung auf ihrem Tischmonitor durchforstete. Schließlich richtete sie sich auf.

"Es tut mir leid, Yasko. Es ist hier nichts zu sehen. Nicht einmal der Hauch einer Sternschnuppe." Yasko wand sich unter den versammelten Blicken ihrer Vorgesetzten und raffte sich schließlich mutig zu einer Antwort auf.

"Bitte Commander! Glauben Sie mir, es war wirklich da! Ist das nicht verdächtig, dass jetzt plötzlich niemand etwas davon sieht?" Tonys Gesichtsausdruck sprach Bände davon, was ihm an der Sache verdächtig vorkam, und das hatte offensichtlich nichts mit außerirdischen Phänomenen oder vielleicht mit technischen Defekten zu tun, sondern vielmehr mit mehr geistigen Insuffizienzen, die sich seiner Meinung nach munter in Yaskos Kopf tummelten. Doch er behielt seine Meinung für sich, als er Maya, die genau wusste, was ihm auf der Zunge lag, mit zusammengekniffenen Augen opportun den Kopf schütteln sah.

"Gut", sagte John. "Wenn es Sie also beruhigt, werden wir später, wenn die Tagesschicht begonnen hat, einen Adler an die Stelle schicken, wo Ihre Sternschnuppe runtergefallen ist. Die sollen mal nachsehen, ob es dort irgendwelche Spuren gibt. Sonst können wir im Moment nichts machen."

"Jetzt einen Adler schicken, Commander!"

"Na, wollen wir es mal nicht übertreiben!"

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Die Nacht war ruhig und ohne weitere Störungen zu Ende gegangen.
In der Kommandozentrale herrschte wieder Normalbetrieb, das Team des Tages hatte Yasko abgelöst und erheitert ihren aufgebrachten Bericht der nächtlichen Ereignisse zur Kenntnis genommen.

Sandra wandte sich mit breitem Lächeln an Tony, der verschlafen und mit zerknittertem Gesicht zu spät zum Dienst antrat.

"So, so, dann werden wir heute also auf Sternschnuppenjagd gehen!", sagte sie, "Wer sie fängt, der hat dann aber hoffentlich drei Wünsche frei!"

"Klappe!", erwiderte er übellaunig, "Ich will von dem Unfug hier nichts mehr hören! Wir sollten Yasko mal zu einem Langzeitaufenthalt im Medizinischen Zentrum überreden."

"Tony!!", kam auch postwendend die Zurechtweisung aus Mayas Ecke, "Es ist besser, sie schlägt einmal zu viel als einmal zu wenig Alarm!" Dieser Sichtweise konnte nun jeder etwas abgewinnen, und man ging auf die tägliche Routine über, zumindest bis sich Alan Carter, der wohl offensichtlich gerade die Tagesplanung der Adlerflüge gecheckt hatte, bei Sandra meldete.

"Wonach sollen wir suchen?", schrie er in seinen Commlock, als wäre jemand auf der anderen Seite der Leitung nicht ganz dicht und außerdem nicht ganz hörtüchtig. In dem Augenblick ging der Alarm los, und so unerwartet, wie er auftrat, blieb allen Anwesenden das Herz fast stehen. Fieberhafte Hektik war die Folge, Sekunden später kam John in die Zentrale geschossen, und noch ehe er die unvermeidliche Frage, was denn zur Hölle jetzt geschehen sei, stellen konnte, hatte Maya bereits eine Antwort parat.

"Commander, Sie werden es nicht glauben: Draußen steht ein Mann, der klopft an die Tür und will eingelassen werden." Sie drückte ein paar Knöpfe, und schon war auf dem Hauptbildschirm eine unförmige, graue Gestalt zu sehen, die soeben ihre Nase am Glas der Tür platt drückte und mit beiden Händen frenetisch winkte. Auffällig war, abgesehen von der bloßen Präsenz des Mannes, die Tatsache, dass er ohne Raumanzug unterwegs war.

"Was zum Geier..!", entfuhr es Tony, als die Gestalt von einem Bein auf das andere zu hüpfen begann und die Arme bibbernd vor der Brust verschränkte. Kleine Staubwölkchen lösten sich bei jeder Bewegung von ihm, verharrten zunächst im Nichts und schwebten schließlich unentschlossen zu Boden.

"Unsere Geräte machen keine Messungen", verkündete Maya besorgt, während sie dennoch - aber weiterhin erfolglos - versuchte, die Sensoren zu einer Aussage zu bewegen.

"Großartig!", rief Tony, "Dann sind unsere Messvorrichtungen inzwischen also auch alle im Eimer! Sandra, ich brauche einen Systemcheck!"

"Mit den Sensoren ist alles in Ordnung", erwiderte die Analytikerin nach einer Weile und betrachtete besorgt die Gestalt am Bildschirm, die ihnen augenscheinlich etwas zurief, was allerdings aufgrund der mangelnden Leitfähigkeit des Vakuums nicht gehört werden konnte. Lippenlesen allerdings war nicht schwer, denn das Wort war Hilfe.

"Commander", ließ Sandra, vor Mitleid hinwegschmelzend, verlauten, "wir können ihn doch nicht einfach da draußen stehen lassen!" John hob beide Hände und deutete damit an, dass ihm die Entscheidung genommen war.

"Öffnet das Schott", sagte er kapitulierend, "ich will aber ein Sicherheitsteam vor Ort haben, Tony. Wer immer der Kerl ist, er soll gleich wissen, dass wir nicht vollkommen wehrlos sind!"

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Die innere Schleusentür öffnete sich, und wenige Augenblicke lang passierte gar nichts. Dann kam Bewegung in die graue Masse, die sich hinter dem Einlass befand, und sie schob sich torkelnd auf das Empfangskomitee zu, das aus fast zwanzig Personen, Sicherheitsdienstkräfte und medizinisches Personal inbegriffen, bestand. Der Ankömmling erreichte die Schwelle, und fiel dann den Alphanern mit einem dumpfen Plumpsen der Länge nach vor die Füße. Eine Unmenge von Staub wirbelte hoch, führte zu Husten- und Niesattacken unter den Anwesenden und reduzierte die Sichtverhältnisse radikal auf Null. Der Sicherheitsdienst hob kollektiv die Waffen und zielte verbissen in die Staubschwaden, um sofort dem grausamen Monster, sollte eines aus der Wolke entweichen, den Garaus machen zu können.

Als aber nichts geschah, und sich der Staub gemütlich auf Anwesende und Räumlichkeit zu verteilen anschickte, gab John dem Sanitätsteam ein Zeichen. Zwei Wachen pirschten sich an den seltsamen Gast heran, der bäuchlings und mit seitwärts ausgestreckten Armen vor ihnen lag und sich nicht regte. Helena wies sie an, ihn umzudrehen, was sie mit aller gebotenen Vorsicht und spitzen Fingern taten. Er ließ sich schwer wie ein nasser Sack bewegen, zeigte ihnen aber schlussendlich seine ebenso bewusstlose Vorderansicht.

"Du meine Güte", entfuhr es Helena, "hat der Kerl im Mondstaub ein Bad genommen?" Sie befreite das Gesicht provisorisch vom Schmutz, und zutage trat ein ältlicher, vollbärtiger Mann mit bläulichen Lippen, roter Nase und einer riesengroßen Beule auf der Stirn. Die Chefärztin ließ ihr Diagnosegerät über ihn gleiten, las es ab, drehte dann an den Einstellungen, nahm eine neue Messung vor und klopfte schließlich mit dem Finger auf die Anzeige, als noch immer keine Daten aufschienen. "Mir scheint, mein Gerät ist kaputt." John klärte sie darüber auf, dass von diesem Gast wohl keine Messergebnisse zu erwarten waren.

"Schafft ihn ins Lazarett. Ich will, dass er rund um die Uhr bestens bewacht wird. Helena, wenn er aufwacht, dann sagt mir bitte Bescheid." Der Pulk löste sich auf, und John begab sich wieder in die Kommandozentrale. Dort hörte er, dass Alan sozusagen mit laufendem Motor im Adler wartete, um den geplanten Erkundungsflug nun anzutreten. John schickte Maya in den Adlerhangar; sie sollte den Piloten begleiten und mit scharfem Blick die Mondlandschaft nach Ungewöhnlichem abgrasen.

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Erst etwa eine Stunde später kam aus dem Lazarett die Nachricht, dass der Fremde inzwischen das Bewusstsein wiedererlangt hatte und sich zur allgemeinen Erleichterung friedlich gebärdete.
John wartete noch auf den ersten Bericht vom Adlerteam, der allerdings unspektakulär ausfiel. Die Absturzstelle, falls man die Landung des Unbekannten als solche bezeichnen konnte, war nicht aufzutreiben, weil es einfach zu dunkel war. John befahl, die Gegend nach Planquadrat absuchen zu lassen, denn seiner Meinung nach konnte der Mann ja nicht wie ein menschliches Geschoss durchs All geflogen sein. Irgendwo musste sein Raumschiff an einer Kraterwand kleben!

Als nächstes eilte er ins Lazarett, auf der Strecke an allen Ecken und Enden akustisch vom Gedudel weihnachtlicher Lieder bedrängt. Aus allen offenen Türen, an denen er vorüber ging, quollen Feiertagsstimmung und Weihnachtsdüfte hervor, und er seufzte kapitulierend. Er wusste zwar sehr wohl die Tatsache zu schätzen, dass die irdischen Bräuche selbst hier in der Verlorenheit des Weltalls hochgehalten wurden und hatte deswegen der Mannschaft, was die Gestaltung der Festtage anging, auf weiten Strecken freie Hand gelassen, war aber selbst nicht gerade ein inniger Freund derart ausschweifender feierlicher Aktivitäten.

Das Medizinische Zentrum verhielt sich zu seiner Freude jedoch nüchtern wie eh und je, nur an den Fenstern hatte sich ein wenig weihnachtlicher Schmuck verirrt. Helena mochte die kitschige Überladenheit heimatlicher Bräuche genauso wenig wie er und hatte ihr dekorationsfreudiges Personal eisern im Griff. John grinste, als er sich daran erinnerte, wie Helena ihm empört von ihren Schwestern erzählt hatte, die sich jedes Jahr aufs Neue mit irgendwelchen bunten Lämpchen, Kugeln, Plastikschneemännern und leuchtenden Rentieren bewaffnet aus dem Hinterhalt auf jede freie Wand-, Glas- und Abstellfläche zu stürzen pflegten und die Chefärztin wie ein Dompteur zwischen den Losgelassenen herumspringen musste, um wenigstens medizinische Geräte, Computer und Laboreinrichtung von den wohlgemeinten optischen Unfällen zu befreien.

John trat aus dem Seiteneingang in den Untersuchungsraum, wo inmitten des medizinischen Personals und der Sicherheitsdienstkräfte der Fremde in einer riesengroßen, weißen mit enormen blauen Punkten übersäten Unterhose stand und sich geduldig von Helena untersuchen ließ. Er war groß, dick und mittlerweile wieder sauber. Sein Bart war weiß und umkränzte zusammen mit einer ebenso schlohweißen, wirren Mähne ein freundliches, von fröhlichen blauen Augen mit Lachfältchen dominiertes Gesicht.

"Bin gleich fertig", sagte Helena in Johns Richtung und nahm die Stoppeln des Stethoskops aus dem Ohr. Dann bat sie ihren Patienten, es sich auf der Liege bequem zu machen, und John ging ins Büro der Chefärztin.
Wenig später kam sie herein und überraschte ihn mit einem sehr verblüfften Gesichtsausdruck.

"Was ist?", wollte er wissen.

"Zunächst einmal: Auch unsere Geräte hier detektieren den Mann nicht", gab sie zur Antwort, "nur, was wir mit unseren eigenen Sinnen erfassen, können wir registrieren. Er scheint mörderisch auf den Kopf gefallen zu sein, wenn man sich die Beule ansieht, aber ich kann nicht einwandfrei überprüfen, ob er einen organischen Schaden abbekommen hat."

"Hat er euch was erzählt?" Sie seufzte.

"Nicht viel. Er ist, sagen wir mal, etwas von der Rolle. - Nein! Meiner Meinung nach nicht gefährlich", warf sie schnell ein, als sie in Johns Blick eine Batterie Alarmsirenen losgehen sah, " nein, sehr liebenswürdig und fröhlich, aber er steht doch etwas neben sich!"

"Spielt er uns denn was vor?" Sie hob die Schultern.

"Wer weiß? Wir haben keine Möglichkeit, das herauszufinden. - Aber du solltest dir das ansehen!" Sie rief Paula durch die offene Tür, und wenige Augenblicke später erschien die Schwester mit einem Berg von Kleidung in den Armen.

"Das ist sein - wie soll ich sagen - Kostüm. Wir haben es notdürftig gereinigt." Paula breitete die Sachen vor John auf Helenas Schreibtisch aus. Es war die knallrote, jetzt nur noch ein wenig staubige, Kleidung eines Weihnachtsmannes, komplett mit schwarzem Gürtel, goldenen Knöpfen, weißem Pelzkragen und dazugehörigen Pelzmanschetten. Nur die Zipfelmütze fehlte.
Johns Hand legte sich perplex auf seinen Mund, während er die Kleidung anstarrte.

"War was in den Taschen?" Sie nickte.

"Süßigkeiten", sagte sie, "Zuckerstangen und Krachmandeln. Alles echt." Sprachlos sah er sie an, und ihr Gesicht spiegelte ein buntes Wirrwarr aus Erstaunen, Ungläubigkeit und Protestwillen wider. In den Winkeln ihrer vielsagenden Miene aber schwebte eine Prise lächelnder Amüsiertheit.

"Helena, ich muss mit ihm sprechen."

"Kannst du auch", meinte sie, "ich möchte nur, dass er etwas isst."

"Hat er gesagt, dass er hungrig ist?" Sie lachte.

"Das war nicht nötig. Sein Magen hat so laut geknurrt, dass ich ihn kaum abhören konnte!"

Als sie zusammen ins Patientenzimmer traten, war der seltsame Gast adrett in einen blauen Basispyjama Größe XL gehüllt und saß freundlich lächelnd am Bettrand. John stellte sich als Kommandant der Ansiedlung vor und erzählte ihm auch, wo er sich befand.

"Sehr interessant", sagte er, und man konnte sehen, dass er nicht den blassesten Schimmer dessen hatte, was hier vor sich ging, "wissen Sie, man hat mich gefragt, ob ich vielleicht ein gewisser Santa Claus bin, der - was war das? - Weihnachtsmann!" John warf Helena einen finsteren Blick zu, doch sie war offensichtlich darüber ebenso überrascht wie er und sah sich suchend im Raum um. Eine der Schwestern verkrümelte sich gerade unauffällig, während eine Zweite intensiv mit der Musterung der Deckenpaneele beschäftigt war. Der Gast merkte nichts von dem stummen Austausch und beugte sich zu John vor, ehe er halb flüsternd fortfuhr: "Ehrlich gesagt, ich kenne den Kerl nicht, aber ich bin mir nicht so sicher, dass mir die anderen das abnehmen! Ich hoffe, wenigstens Sie glauben mir."

"Ich glaube ganz bestimmt, dass Sie nicht der Weihnachtsmann sind!" gab John, etwas entnervt über das lose Mundwerk mancher Alphaner, zur Antwort.

"Hören Sie, Commander Koenig, es wird mir hier schön langsam etwas langweilig. Wo kann man denn mal ordentlich auf den Putz hauen?" Unschuldige blaue Augen unterzogen John einer Musterung.

"Moment, Moment!", schaltete sich Helena in ihrer Funktion als Hüterin der Gesundheit ein, "Auf den Putz wird vorläufig mal gar nicht gehauen, mein Lieber. Sie haben zumindest eine ordentliche Gehirnerschütterung, und da muss man leider ein paar Gänge zurückschalten und das Bett hüten!" In dem Augenblick kam eine Stationsgehilfin mit einem großen Tablett Essen ins Zimmer und zog damit sofort seine Aufmerksamkeit auf sich.

"Was gibt es heute?" erkundigte sich John interessiert, und die Gehilfin schien merklich zu schrumpfen, ehe sie zögernd antwortete:

"Feinschmecker-Auflauf, Commander." John und Helena warfen einander einen entsetzten Blick zu. Von allen kulinarischen Abstrusitäten, die sich die Köche mit der Zeit auf Alpha ausgedacht hatten, war der Feinschmecker-Auflauf so ziemlich die scheußlichste Erfindung, mit der man den Gaumen und sonstige Bestandteile des Verdauungsapparates beleidigen konnte.
Der Gast dagegen lupfte den Deckel vom Teller, griff nach der Gabel und schaufelte sich freudestrahlend die geschmackliche Katastrophe, 'diesen Untergang der gesamten westlichen Zivilisation', wie der Auflauf einst von Alan genannt worden war, in den Mund.

"Köstlich!", rief er, als er fertig war, ging über zur Suppe, die er im Nu ausgelöffelt hatte und machte sich schließlich über den Nachtisch her. Dann richtete sich sein flehender Blick auf die Gehilfin, die ihm unverhohlen und mit offenem Staunen beim Essen zugesehen hatte. "Nur eines könnte jetzt noch meine Freude und Zufriedenheit noch weiter zur Vollendung bringen", erklärte er umständlich, "nämlich noch ein paar Portionen von diesen wunderbaren schmackhaften Kreationen!" Die Stationsgehilfin sah, noch immer mit offenem Mund und runden Augen, John an, was Helena als Frage wertete.

"Also geh schon, Mary", sagte sie, "wenn ihn der Hunger plagt, davon können wir ihn hoffentlich befreien. Umso mehr, wenn er so genügsam ist."

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"Operation Sternschnuppe" war mittlerweile zur Gänze angelaufen. Die halbe Adlerflottille beteiligte sich an der Planquadratsuche. Das in Frage kommende Gebiet war nach Yaskos Angaben - einer in satter Zufriedenheit auftretenden Yasko übrigens - ausgewählt und noch etwas erweitert worden, in der Hoffnung, doch das Raumschiff des alphanischen Gastes zu finden und daraus neue Informationen zu gewinnen.
Tony koordinierte von der Kommandozentrale aus das gesamte Unternehmen, und Alan, der wieder von Maya begleitet wurde, hatte die Aufsicht vor Ort übernommen. Er kreiste mit seinem Adler über dem Suchgebiet und ging den Hinweisen nach, die von den übrigen Teams eingingen.
Schwer zu schaffen machte ihnen die Tatsache, dass der Mond sich fernab von jeglicher externen Lichtquelle befand und wirklich jeder Quadratmeter gewissenhaft von menschlichen Scheinwerfern beleuchtet werden musste. Mehr als einmal gaukelten scharfe Schatten die Umrisse eines Gefährts von Menschenhand vor, die zerfielen, sobald sich eine zweite Lichtquelle von anderer Seite her näherte. Da man die Sensoren nicht einsetzen konnte und sich auf die Augen verlassen musste, war das Unterfangen mehr als schwierig und aufwändig.

Schon mehrere Stunden lang plagte man sich, und Alan sah, dass es langsam an der Zeit zum Auftanken war. Während der Rückkehr zur Basis umflog er in weit ausholendem Bogen das Suchgebiet und unterhielt sich mit Maya über die verschiedenen weihnachtlichen Bräuche, die es auf der Erde gab. Maya war jedoch plötzlich nicht ganz bei der Sache und unterbrach Alan.

"Geh doch mal tiefer", bat sie ihn, "ca. 2° Steuerbord. Da bewegt sich irgendetwas." Alan starrte in die angegebene Richtung, sah jedoch gar nichts, gab aber dem Adler die neue Richtung und Höhe vor.

"Was siehst du?"

"Da ist ein Licht."

"Wo?"

"Da vorne! Siehst du es nicht? Es ist klein und rot!" Alan seufzte laut und vernehmlich. Wenn Maya ein rotes Licht sah, dann hieß das noch lange nicht, dass auch seine schwachen menschlichen Augen dazu in der Lage waren, es aufzuspüren.

"Hast du wieder deinen Falkenblick ins Auge gemorpht?", fragte er sie grinsend. Sie sah ihn überrascht an.

"Ja, entschuldige", erwiderte sie zerknirscht. "Das hatte ich vergessen." Aber natürlich hatte sie Recht gehabt. Von der Außerirdischen dirigiert, entdeckte Alan schließlich auch den rot leuchtenden Punkt, der ihre Aufmerksamkeit erregt hatte. Er bewegte sich unruhig hin und her, und war auch nicht ständig zu sehen. Alan schaltete jeden Scheinwerfer seiner Flutlichtanlage an, sodass das Schiff wie ein quer gelegter ungehobelter Christbaum aussah, der da knapp über der Mondoberfläche dahin glitt. Das Licht fing das rote Leuchten ein, und was dahinter zum Vorschein kam, ließ beide, Alan und Maya, sprachlos hinter ihren Konsolen verharren.

"Rudolph", sagte Alan schließlich nur. "Rudolph."

"Was war das?", kam Tonys Anfrage via Lautsprecher im Cockpit an. "Was faselst du da, Kumpel?"

"Rudolph the red nose reindeer", intonierte Alan schwachbrüstig, "had a very shiny nose..." Die Fragezeichen, die die Kommandozentrale daraufhin in den Adler schickte, schwebten geradezu greifbar durch die Pilotenkanzel. "Da stehen sechs Rentiere und schauen uns an wie ein Autobus", erklärte der Pilot außer Atem. "Samt Schlitten." Und in vorderster Front befand sich das Leittier, das seine große, rot leuchtende Nase den Ankömmlingen stolz entgegen streckte.

"Leute", meinte Maya nach geraumer Zeit, "ich denke, wir können die Suche abbrechen. Wir haben das - Raumschiff - gefunden."

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Weihnachten rückte näher. Die Probleme aber wurden deswegen nicht geringer.
John befand sich in allem anderen als in einer Festtagsstimmung. Einer der Stromgeneratoren war ausgefallen. Schwierig zu reparieren, und es war noch nicht klar, ob die Ersatzteile überhaupt hergestellt werden konnten. Bei einem Generator brach die Welt nicht zusammen, aber wo einer den Geist aufgab, konnte es auch ein zweiter tun. Und auch ein dritter und ein vierter.

Eine weitere potentielle Sorgenquelle waren die undurchschaubaren Gäste. Es war gelungen, die Rentiere in einen Transportadler zu treiben und sie auf die Basis zu verfrachten. Für sie wurde im Hangar ein Plätzchen zurechtgemacht, wo sie sich wohl zu fühlen schienen und sich mit großer Freude über die diversen Küchenabfälle hermachten, die man ihnen als Mahl kredenzte.

Der alte Herr und sein Gefolge waren für viele natürlich inzwischen tatsächlich der Weihnachtsmann und seine Rentiergespann, wenn auch John wie immer die Sache etwas skeptischer betrachtete. Helena vermutete, dass sich dahinter ein Phänomen versteckte, das sich vielleicht in der Personifikation eines kollektiven Wunsches aller Mannschaftsmitglieder manifestierte. Es war ja verdächtig, dass der Mann gerade zur Weihnachtszeit erschien und wie auch seine Tiere mit menschlichen Geräten nicht erfassbar war. Für John waren das recht eindeutige Hinweise darauf, dass der gute Santa alles andere als echt war. Abgesehen davon natürlich, dass der Weihnachtsmann in Wirklichkeit ja gar nicht existierte und nur eine Erfindung zur Verwirrung ganzer Generationen von Kindern war. Dass er sich diesen Gedanken erst bewusst vor Augen führen musste, stimmte John allerdings auch nachdenklich. So völlig immun gegen weihnachtliche Zauberei, wie er es sich gedacht hatte, schien er nun doch nicht zu sein.
Mitten in seine Überlegungen platzte Sandra mit einer Meldung, die aus dem Erholungszentrum eingegangen war.

"Eddie Collins lässt aus dem Club '99 fragen, ob er denn an Santa Alkohol ausschenken darf."

"Bitte WAS?"

"Na, er sitzt auf einem Barhocker im Club und singt lauthals Toast- und Trinklieder. - Die anwesenden Alphaner sind geneigt mitzusingen", fügte sie überflüssigerweise hinzu.

"Und wo sind seine Wachen?"

"Tony ist schon dabei, das nachzuprüfen."

"Ah, John", ließ sich der Chef vom Sicherheitsdienst vernehmen, "die Wachen schlafen im Lazarett. Es war gerade keiner vom medizinischen Personal im Raum, und so konnte er sich unauffällig davonstehlen. Er dürfte sich ziemlich schnurstracks ins Erholungszentrum begeben haben."

"Tony, wir treffen uns im Club."

 

"Immer nur herein in die gute Stube!", rief Santa strahlend, als der Sturmtrupp ins Lokal polterte. "Commander, kommen Sie und trinken Sie einen Schluck mit mir." John ging zu ihm.

"Was haben Sie mit dem Sicherheitsdienst gemacht?" Sein Gegenüber sah ihn erstaunt an.

"Wieso gemacht? Ich habe gar nichts gemacht. Die Männer waren müde und legten sich schlafen. Da dachte ich mir, es wäre zuvorkommend von mir, sie dabei nicht zu stören!" John atmete tief durch. Ganz sicher waren die Wachen so einfach auf ihrem Posten eingeschlafen!
Der Alte winkte ihn zu sich und meinte leise:

"Wissen Sie, was mir aufgefallen ist, Commander? Hier sehen alle fröhlich aus, aber in Wirklichkeit sind sie es nicht. Man sollte etwas dagegen unternehmen!"

"Kommen Sie", sagte John lahm, "Gehirnerschütterungen werden nicht in einer Bar auskuriert."

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Es sollte sich herausstellen, dass Santa hinfort jede Gelegenheit wahrnahm, sich aus dem Medizinischen Zentrum zu absentieren. Keine Tür konnte so verschlossen sein, kein Wachposten so aufgeweckt, kein Schlafmittel so potent, dass er es nicht schaffte zu entkommen. Irgendwo pflegte er zu erscheinen, durch die Basis flanierend, sich fröhlich mit den Menschen unterhaltend, und dabei von einer solchen Liebenswürdigkeit und Schlichtheit, dass sich jeder freute, ihn zu sehen und ein paar Worte mit ihm zu wechseln, ehe wieder ein kurzatmiger, weil eiligen Fußes herbei gelaufener, Trupp aus dem Lazarett auftauchte und ihn einsammelte.

Der Commander war darüber nicht sonderlich glücklich, aber insgeheim war er weich geworden gegenüber dieser Inkarnation eines frohen Gemütes. Ob er selbst inzwischen auch annahm, dass es sich hier um den Weihnachtsmann per se handelte, darüber wagte er lieber nicht nachzudenken.

 

Alan umkreiste im Reparaturdock die kläglichen Reste des ehemals stolzen Schlittens. Verbogene Teile ragten sperrig in die Luft, und die Kufen hatten sich unerklärlicherweise wie Spiralen eingerollt und standen als verquerte Ringellocken seitwärts nach außen, sodass der Rahmen des Schlittens, einer lahmen Ente ähnlich, auf dem Bauch lag.
Santa stand daneben, und man sah es ihm an, dass er in seinem Gedächtnis angestrengt nach einer passenden Erinnerung suchte. Er bückte sich und hob ein goldenes Glöckchen hoch. Es war verformt und sein Klang blechern.

"Wir müssen das Ding reparieren", meinte Alan nachdenklich, "wie solltest du dich sonst wieder auf die Reise machen?"

"Ich wüsste nicht, wohin!", erwiderte Santa geistesabwesend. Alan, der gehofft hatte, dass der Anblick von Rentieren und Schlitten der Erinnerung des Mannes auf die Sprünge helfen würde, wandte sich enttäuscht den Trümmern zu.

"Hat Helena nicht einen Trank für dich, der deinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen könnte?"

"Sie behauptet, dass Ruhe das einzige Mittel ist, mich richtig zu kurieren", war die Antwort, "sie macht sich viele Sorgen um mich. Aber weißt du, ich kann gar nicht im Bett bleiben. Zu viele Energien! - Darf ich dich was fragen, Alan?" Der Pilot ließ den sperrigen Sitz des Schlittens, mit dem er sich gerade abgemüht hatte, los und richtete sich auf.

"Sicher."

"Sag mal, warum steckt mir hier jeder zweite komische kleine Zettel in die Tasche oder drückt sie mir verstohlen in die Hand, und da stehen Sachen drauf wie: 'Modemagazin' oder 'Neue Videosammlung' oder 'Fünf Kisten Budweiser'?"

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Im Kommandantenbüro fand ein kurzes, vorher nicht abgesprochenes Treffen statt. Anwesend waren John, Helena, Tony und Maya.

"Helena, ich bitte dich, wann können wir damit rechnen, dass dieser Kerl wieder von hier verschwindet?", ereiferte sich Tony. "Ständig muss man ihn irgendwo auf der Basis einfangen, nachdem er unseren Sicherheitsdienst schlafen gelegt hat. Außerdem fressen er und seine Rentierspießgesellen uns die Haare vom Kopf! Ich würde echt gerne Weihnachten feiern, ohne mir Sorgen machen zu müssen, dass wir ein Sicherheitsproblem haben!"

"Ich sehe wirklich nicht, von welchem Sicherheitsproblem du da sprichst", entgegnete die Ärztin kampfeslustig. "Er ist die Friedlichkeit in Person. Gut, zugegeben, er hat eine etwas ruhelose Ader und einen gesegneten Appetit, der uns auf die Dauer möglicherweise tatsächlich Schwierigkeiten machen könnte, aber so lange wird seine Genesung nicht dauern. Da gebe ich dir Brief und Siegel. Du solltest lieber deine Socken aufhängen und hoffen, dass er Dir trotz deiner Feindseligkeit eine Kleinigkeit hinein wirft!" Tony fletschte die Zähne.

"Ach komm! Jetzt behaupte nur noch, dass du schon deine Strümpfe an die Wand genagelt hast!"

"Immer mit der Ruhe", mischte sich John ein, "Was spricht eigentlich dagegen, ihm so lange Gastfreundschaft zu gewähren, bis er seine sieben Tassen wieder im Schrank hat?"

"Nichts!", erwiderte Maya strahlend, die den alten freundlichen Herrn, der immer wieder in seinem ultra-großen Nachtgewand durch Alpha geisterte, gern hatte.

"Nichts!", brummte Tony zähneknirschend, "Solange er gefesselt und geknebelt auf Außenposten 10 unter Verschluss gehalten wird!"

"Aber Tony, er ist nicht daran interessiert, uns zu schaden", sagte Maya kopfschüttelnd. "Er geht nie in einen gesperrten Bereich, und hast du auch nur einmal ein unfreundliches Wort von ihm gehört?"

"Das heißt aber nicht, dass er uns am Ende nicht trotzdem in die Pfanne hauen will!"

"Geben wir ihm eine Chance", meinte John, "Ich weiß, er ist ein unerklärliches Phänomen. Aber wenn er es tatsächlich auf uns abgesehen hätte, wie sollten wir uns gegen ihn wehren? Also lasst ihn uns als willkommenen Gast behandeln! Wer weiß, Tony, vielleicht solltest du wirklich deine Socken aufhängen?" Der Angesprochene verließ schäumend das Büro. John grinste ihm hinterher.

Im selben Moment piepste sein Commlock, und Sandra meldete sich.

"Commander", sagte sie, "Sie sollten besser in die Kommandozentrale kommen. Es nähert sich wieder eine von Yaskos 'Sternschnuppen'." John eilte ins Hauptquartier, wo schon alle Anwesenden gebannt auf den Hauptbildschirm blickten. Durch die finstere Schwärze zog sich ein leuchtend gelber Streifen, um dessen Vergrößerung sich Sandra bemühte. Es gelang ihr tatsächlich, und aus dem Band, das sich rasch dem Mond näherte, wurde ein von Rentieren gezogener Schlitten, der Funken und kleine Sterne hinter sich versprühte, während die Tiere übermütig durch den luftleeren Raum tollten. Auf dem Schlitten saßen eine vermummte Gestalt, die die Zügel hielt, und eine Handvoll kleinerer Figuren, die herum zappelten, gestikulierten und aufgeregt zum Mond zeigten.

"Uiuiui", machte John, "langsam wird mir das aber zuviel!" Er warf einen Blick in die Runde und sah in den Gesichtern ungefähr die gleiche Überforderung, in die auch er sich versetzt fühlte.

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Nicht lange, und die Schleusen taten sich dem Völkchen auf, das mit seinem Schlitten auf einer der Landeplattformen aufgesetzt hatte. Die Alphaner empfingen die bunte Truppe im Inneren der Basis. Als erstes kam eine ältere, im Weihnachtsmann-Look gekleidete apfelbäckige, kleine Frau herein, die einen ziemlich strengen Blick aufgesetzt hatte. Sie trug einen grauen Haarknoten und eckige Brillengläser. Hinter ihr tummelten sich mehrere zwergartige Wesen mit bunten Käppchen, spitzen Ohren, lustigen Wämsen und Ringelsöckchen und stürzten sich mit einem Freudenschrei auf Santa, der sich ziemlich still im Hintergrund herumdrückte, inzwischen wieder in seiner gereinigten roten Tracht bekleidet. Schließlich trat er nun doch hervor, die kleinen Weihnachtselfen an seinen Armen und Beinen hängend, und an seinem Gesicht war zu erkennen, dass mittlerweile aus der Tiefe seines Vergessens irgendeine, wenn auch nicht die beste, Erinnerung aufgestiegen war.

Die kleine Rotbekleidete stemmte die Hände in die Hüften und verzog das Gesicht.

"Was hast du nur wieder für ein Glück gehabt", herrschte sie sich an ihn, "dass du so netten Leuten in die Hände gefallen bist! Wisst ihr, selbst als so ein alter Knacker hat er es noch immer nicht gelernt! Kaum sieht er einen blitzschnellen, neuen Schlitten, schon verliert er seinen Verstand und glaubt, er müsse dessen Fähigkeiten ausprobieren. Und im nächsten Moment ist er auf davon, obwohl doch schon fast Weihnachten ist und noch jede Menge Arbeit auf ihn wartet. - Und natürlich verliert er die Herrschaft über das Gefährt und kracht in den einzigen Himmelskörper weit und breit! Aber wirklich weit und breit! Was hast du jetzt davon? Gedächtnis weg und Schlitten weg! Und eins sag' ich dir: In den nächsten hundert Jahren muss es der alte Schlitten tun!" Sie holte Luft und wandte sich John zu. "Vielen Dank, dass sie sich um diesen alten Dummkopf gekümmert haben. Ich habe mir schon die größten Sorgen gemacht, dass wir heuer Weihnachten absagen müssen. Das hat's ja noch nie gegeben! Wirklich! Mich in einen solchen Schrecken zu versetzen!!" Sie packte ihn am Handgelenk und zerrte ihn Richtung Schleuse hinter sich her. Er drehte sich im Weggehen halb um und ließ nickend verlauten:

"Meine Frau!" John nickte zurück und konnte sich ein Grinsen nicht verbeißen. Solche Donnerwetter hatte er auch schon hinter sich.

Wie durch Zauberei war der Spuk wieder vorbei. Der Schlitten war mit Rentieren und Mann und Maus an Bord abgehoben und war nach kurzer Zeit zwischen den fernen Sternen im Nichts verschwunden. Alan kratzte sich am Kopf.

"Wenn mir einer sagt, das hätten wir nur geträumt, dann neige ich dazu, ihm zu glauben." Doch der kaputte Schlitten lag noch immer im Reparaturdock.

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Der nächste Tag war der Weihnachtstag, an den John immer mehr mit Kummer und Sorgen gedacht hatte, je näher er gerückt war, denn da musste er eine Weihnachtsansprache halten und über vergangene Erfolge und zukünftige Hoffnungen sprechen, die die Alphaner möglichst ein ganzes Jahr lang aufrecht erhalten sollten. Doch die Meldungen über den desolaten Zustand der Basis hatten sich in den letzten Monaten gehäuft. Sie waren schon zu lange im All unterwegs, hatten zu viele Leute verloren, zu viele Niederlagen einstecken müssen. Egal, wie ausgelassen die Stimmung auf der Basis sein sollte, die Fröhlichkeit würde nur aufgesetzt sein, eine kurze Flucht vor der Härte der Realität.

Er wachte ziemlich früh auf, im Kopf kreisend die Formulierungen seiner Rede, die er, eine nach der anderen verwarf, im Bemühen, Besseres und vor allem Unverbindlicheres und gleichzeitig Aufmunternderes zu finden. Zu seiner Erleichterung riss ihn sein Commlock aus den Überlegungen, und er freute sich, am anderen Ende Helena zu sehen, die ihn wie ein kleiner, goldener Weihnachtsengel angrinste.

"John, bitte sieh dir die Basis an!!", rief sie mit derartig vielen Ausrufungszeichen, dass John im gleichen Moment aus dem Bett sprang, lediglich einen Morgenmantel überwarf und hinaus stürzte. Im ersten Augenblick fiel ihm nur auf, wie sauber alles wirkte und wie neu. Er rannte ins Medizinische Zentrum, wo ihm Helena bereits aufgeregt entgegen kam. "Alles funktioniert!", schrie sie, "Selbst der vermaledeite Ultraschallapparat, den ich am liebsten schon persönlich in die Hölle befördert hätte, der geht jetzt wie geschmiert!"

"Komm mit!", rief John. Aus der Kommandozentrale war bereits ein Tumult zu hören, noch ehe sich die Lifttür geöffnet hatte. Zahlreiche Alphaner waren anwesend und dabei in hellster Aufregung, mitten unter ihnen Maya und Sandra und auch Tony und Alan.

"John, du hast deinen Commlock im Quartier vergessen, sonst hätten wir dich längst benachrichtigt", informierte ihn Tony, übers ganze Gesicht grinsend. "Halt dich fest: Wir sitzen hier auf einer buchstäblich nagelneuen, geradezu fabriksneuen, Mondbasis Alpha, John! Ich kann es nicht glauben!" Sandra blickte vom Computer auf.

"Updates!", sagte sie beeindruckt. "Mit multiplen neuen Funktionen!"

"Die Adlerflotte ist wieder komplett", berichtete Alan ehrfürchtig, und John schwirrte der Kopf.

Der Hauptmonitor flackerte wie von Geisterhand, und in der nächsten Sekunde traf sie vom Bildschirm herunter das breite Lächeln des Weihnachtsmanns.

"Ich habe euch in den letzten Jahren wohl leider etwas vernachlässigt, sagt meine Frau", hob er zur Erklärung an, "deswegen - und zum Dank, dass ihr mich aufgenommen habt", und mit einem Blick zu Tony, "- obwohl ich euch die Haare vom Kopf gefressen habe - haben wir eure Basis wieder ein wenig auf Vordermann gebracht. Ich wünsche euch Frohe Weihnachten!" John nickte lächelnd und bedankte sich.

"Froher"," sagte er, "sind sie nie gewesen!"

 

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Ende

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12/03


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