Würfelspiele |
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Von Barbara Schmid
Hiermit wird die Front der deutschen Alpha-Fanfiction drastisch ausgebaut!
Danke Barbara für deine spannenden Ideen und deine Verve!
Commander John Koenig schreckte aus dem Schlaf hoch. Er brauchte einen Moment um sich zu orientieren, aber dann erkannte er die beruhigende Einsamkeit seines Quartiers und erhob sich, um ein Glas Wasser zu trinken. Er hatte noch beinahe drei Stunden, bis sein Dienst begann, aber er hatte kein Bedürfnis mehr nach Schlaf.
Während John unter der Dusche stand, dachte er über den Traum nach, der ihn so ungewöhnlich beunruhigt hatte. Es war ein Erlebnis gewesen, das er schon längst vergessen zu haben geglaubt hatte. Er war als Kind kopfüber in einen Brunnenschacht gestürzt und war mit den Schultern stecken geblieben. Nach etwa einer halben Stunde in dieser misslichen Lage, hatte sein Vater ihn an den Füßen herausgezogen. Eigentlich hatte er es längst unter „Kindheitserinnerungen“ abgelegt und keinen Gedanken mehr daran verschwendet. Es war ihm unerklärlich, warum er davon geträumt hatte und warum er die klaustrophobische Enge in der dunklen und feuchten Röhre als so beängstigend empfunden hatte.
John zog seine Uniform an und nahm sich ein Buch, um die ihm verbleibende Freizeit lesend zu verbringen. Das unangenehme Gefühl ließ sich aber nicht abschütteln und so begannen seine Gedanken abzuschweifen und wendeten sich einem Thema zu, das er schon gar nicht berühren wollte – Helena.
Es hatte ein einziges leidenschaftliches
Intermezzo zwischen ihnen gegeben, aber das hatte sie seltsamerweise
voneinander entfernt, anstatt für mehr Verbundenheit zu sorgen. John seufzte.
Er konnte sich auch nicht mehr erklären, wie es dazu gekommen war, aber es war
passiert und seitdem begegnete ihm Helena mit ablehnender Kühle. Sie hatte eine
Mauer zwischen ihnen errichtet, die unüberwindlich zu sein schien und er war
sich nicht ganz im Klaren darüber, ob sie damit ihn oder mehr sich selbst
bestrafen wollte.
Zum hundertsten Mal dachte er an den Abend, an dem es
geschehen war und zum hundertsten Male vergegenwärtigte er sich, dass keiner
von ihnen so etwas geplant oder erwartet hatte. Er war nach einer endlosen Schicht auf dem Weg in sein Quartier noch kurz in die Krankenstation
gegangen, um mit Helena, die Nachtdienst hatte, etwas zu besprechen. Er hatte
inzwischen vergessen, was das gewesen war. Aber er erinnerte sich,
eigentlich müde gewesen zu sein und
dass er gleich wieder gehen hatte wollen. Außer Helena hatte sich niemand in
der Station befunden, nicht einmal ein Bett war besetzt gewesen. Und irgendwie,
im trüben Licht der Nachtbeleuchtung, waren sie sich ihrer körperlichen Nähe
plötzlich sehr bewusst geworden und hatten beide völlig den Verstand verloren.
Natürlich war es zu früh gewesen, dass wusste er auch. Und es hätte nicht SO
passieren sollen, was sein Gewissen ein wenig belastete.
Aber er war sich nicht
so sicher, ob sein Gewissen nicht nur wegen Helenas Reaktion diese Reue zeigte.
Seiner persönlichen Meinung nach war eigentlich nichts so Schlimmes passiert.
Sie waren doch beide erwachsen und sie wusste doch, was sie ihm bedeutete.
Womöglich hatte er ihre Gefühle für seine Person etwas überschätzt und das kränkte
ihn ziemlich. Aber Helena hatte schließlich ebenso den Kopf verloren, er hatte
sie noch nie zuvor so aufgelöst erlebt. War das möglicherweise der Hauptgrund?
Bereute sie es, vor ihm ihre Contenance verloren zu haben und sich so emotional
verhalten zu haben, obwohl sie ihn sonst so auf Distanz hielt? John hatte
mehrmals versucht mit ihr darüber zu reden, aber sie war ihm sofort ausgewichen
und diese Sprachlosigkeit hatte ihn wütend gemacht, was die Situation weiter
verschlechtert hatte.
John warf sein Buch ärgerlich auf den Tisch. Er hatte sich doch vorgenommen, dieses Thema ruhen zu lassen, warum gelang es ihm einfach nicht? Aber er fühlte sich zurückgewiesen und diese Empfindung verdarb seine Laune zusehends. Der Schmerz machte ihn ruhelos und er sprang auf, um sich irgendwie anders zu beschäftigen, als er plötzlich wieder das Gefühl hatte, in einer dunklen engen Röhre zu stecken. Ungeduldig dehnte er die verkrampfte Schulterpartie und verließ raschen Schrittes sein Quartier.
Sein Commlock piepte, als er schon in seinem Büro war. Er öffnete die Türe und Paul fuhr überrascht herum.
„Sir, ich hatte gedacht, Sie wären…..“ John schnitt ihm das Wort ab:
„Was gibt’s?“
„Wir haben eine Raumstation entdeckt, Sir. Sie wirkt sehr alt und verlassen, wenn die Daten stimmen, die uns der Computer gibt, aber…..“Kano fuhr wütend herum:
„Warum sollten die Daten nicht stimmen, Paul. Was soll das?“ Koenigs Kopf ruckte hoch:
„KANO!!“ Paul fuhr nervös fort:
„Es gibt keine Atmosphäre oder nur das geringste Anzeichen von Leben, keine Schwerkraft, es ist wie ein schwebender Sarg.“ John betrachtete ihn ungläubig:
„Was soll denn das heißen?“
„Sandra!! Ich will es sofort auf den Schirm.“Sandra hieb auf ihre Tasten.
„Zwei Außenkameras sind ausgefallen Commander, ich bekomme einfach kein gutes Bild.“
Koenig starrte auf den Bildschirm. Aber es war nichts zu sehen.
„Alan, machen Sie einen Adler startbereit!“ Alan wandte sich mit einem seltsam gehetzten Blick zu ihm um:
„Wir, äh wir machen gerade ein Service, vor zwei Tagen ist kein Adler einsatzbereit.“ John stürzte auf ihn zu:
„WIESO WEISS ICH DAVON NICHTS????“ Alan fühlte sich unsanft an den Schultern gepackt und antwortete beinahe weinerlich:
„Ich wollte doch nicht, aber…..“ John stieß ihn von sich, er wandte sich drohend an Sandra, die erschrocken zusammenfuhr:
„Wann werden wir an der Raumstation vorbei sein?“
„In zwei Tagen, Sir, aber es kommen keine Signale von dort, sie ist ohnehin tot.“ Paul nickte sofort begeistert:
„Wir müssen dort nicht hin Commander, da gibt es doch nichts…..“ Koenig starrte entgeistert auf seine Leute, dann verlor er die Beherrschung vollends:
„Alan, ich will in spätestens fünf Stunden einen einsatzbereiten Adler. Das ist ein Befehl, verdammt! Paul, Sie beobachten weiterhin die Raumstation und sorgen Sie dafür, dass die Kameras repariert werden.“ Damit stürmte er die Treppen zur Galerie hoch und versuchte sich über eines der Fenster ein Bild von der Raumstation zu machen. Er rief Victor über sein Commlock, verwundert, warum der noch nicht gekommen war. Die Raumstation hatte die unspektakuläre Form einer gewaltigen Scheibe. Sie wirkte glatt und kahl, lediglich die Schrammen und Dellen, die von ungezählten kleinen Meteoriten stammen mussten, verrieten ihr Alter. John versuchte sich einen Reim darauf zu machen und sich gleichzeitig die würgende Angst zu erklären, die ihn beim Anblick der verlassen wirkenden Stätte befiel. Er sah sich suchend nach Victor um, der noch immer nicht da war. Sein Commlock meldete sich:
„Commander?“ Helenas Bild sah ihn an. DAS hatte wehgetan!
„Doktor?“ schnappte er wütend zurück und erlebte sekundenlang die grimmige Genugtuung, sie auch etwas konsterniert zu sehen. Dann verschloss sich ihr Gesicht und er bereute die harsche Reaktion. „Helena?“ Aber es war zu spät, Helenas Stimme war noch eisiger und zugeknöpfter als zuvor: „Eine gewisse nervöse Stimmung scheint sich auf der Basis auszubreiten, auch wenn niemand darüber reden will. Ich habe zwei Opfer einer Schlägerei hier. Nein, nicht schwer verletzt, aber der Sicherheitsdienst meldet nun laufend solche Vorkommnisse. Ich mache mir Sorgen, vielleicht solltest du dir das ansehen.“
„Ich habe jetzt keine Zeit, ich komme später. Wo ist nur Victor?“
„Ist er nicht bei dir auf der Brücke?“ Koenig stürzte vor zum Geländer der Galerie und bellte hinunter:
„Wo zum Teufel bleibt Professor Bergmann? Suchen Sie ihn!!!“
Nach einem letzten Blick auf die beunruhigende Scheibe, die träge und behäbig im All schwebte, lief er polternd die Treppe hinunter und schloss sich in seinem Büro ein. Dann begann er auf und ab zu gehen, bis er endlich ein Signal an der Tür vernahm. Victor trat verlegen lächelnd ein. Koenig kam erleichtert auf ihn zu:
„Victor, was….“ Victor winkte ab:
„Entschuldige John, aber ich habe verschlafen, soll nicht wieder vorkommen.“ John starrte ihn an:
„Verschlafen?“ Professor Bergmann lächelte wieder:
„Du interessierst dich für die Raumstation, nicht wahr? Aber da gibt es nichts. Ich habe sie eingehend untersucht. Es befindet sich nichts mehr an Bord, was uns interessieren könnte.“ Koenig lächelte:
„So sicher, Victor? Gar keine Neugier, neue Technologien kennen zu lernen und die Forschungsergebnisse zu sehen, die die Erbauer dieser Station womöglich dort zurückgelassen haben?“
„Warum sollten sie das getan haben, John? Komm schon, es ist Zeitverschwendung.“ Koenig begann wieder ruhelos auf und ab zu wandern. Seltsamerweise fühlte er eine gewisse Erleichterung, dass selbst Victor die Station nicht besuchen wollte. War es vielleicht wirklich nur mehr ein Wrack, das keine Beachtung verdiente? Dabei fiel ihm auf, das Victor ständig verstohlene Blicke hinter sich zu werfen schien, was ihn nun völlig um die Fassung brachte:
„Victor, was hat du?“
„Nichts John, brauchst du mich noch?“
„Nein, warum?“
„Ich gehe dann, ich könnte etwas Schlaf gebrauchen, Helena soll mir eine Tablette geben.“
„Schon wieder? Solltest du nicht langsam ausgeschlafen sein?“ Victor grinste verlegen und verließ das Büro. Koenig blieb fassungslos allein zurück.
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Nachdem John weitere zwei Stunden grübelnd zwischen seinem Büro und der Galerie verbracht hatte, entschied er sich doch, Helena aufzusuchen die noch immer Dienst zu haben schien. Es war schon spät, aber durch die ständig wechselnden Schichten, hatte er sein Zeitgefühl etwas außer Acht gelassen. Allerdings musste er annehmen, dass auf der Krankenstation wieder das Nachtlicht eingeschaltet sein würde und daran wollte er möglichst nicht erinnert werden. Also meldete er sich rechtzeitig bei Helena, um sie vorzubereiten. Der Gang zur Krankenstation schien auf ihn zuzukommen und er hatte plötzlich das Gefühl, von den Wänden erdrückt zu werden. Seine Schultern schmerzten und die über ihn hereinbrechende Klaustrophobie machte ihn wehrlos und schwach. John kämpfte sich mühsam weiter, schweißgebadet und einer Panik nahe erreichte er in letzter Sekunde die Tür zur Medical Section. Mit zitternden Fingern betätigte er sein Commlock, und stürzte herein. Egal was zwischen ihnen stand, jetzt musste er Helena sehen und……
Die Festbeleuchtung, die ihn empfing war schlichtweg eine Gemeinheit! Man konnte diese Form der Zurückweisung nur wie eine Ohrfeige empfinden. Die neurotische Angst, die ihn gerade noch gefangen gehalten hatte, machte einer namenlosen Enttäuschung Platz, die ihn mit hilflosem Zorn erfüllte. Helena starrte ihn nervös an:
„John, ich habe viel zu tun. Jeder scheint an Schlaflosigkeit zu leiden, mir gehen langsam die Tabletten aus.“ Ihr Blick wurde eisig: „Kannst du vielleicht auch nicht schlafen, John?“ Koenig fuhr zurück:
„Was soll das heißen? Ich möchte nur wissen, was mit der Besatzung los ist. Mir kommen alle so…nervös vor.“ Er fing einen bezeichnenden Blick auf. Da trat Dr. Mathias an Helena heran:
„Wir sind soweit fertig. Ich gehe dann jetzt. Soll ich das Licht drosseln?“
„NEIN!!!“ Dr. Mathias zuckte zusammen.
„Wie Sie wollen Dr. Russell, also, dann bis….“ Er verließ fluchtartig die Station. Koenig, der nicht anders konnte, als diesen Ausbruch wieder auf seine Person zu beziehen, wollte ebenso gehen, aber die irrationale Angst vor dem Gang ließ ihn zögern.
Das Signal des Commlocks zog ihn aus der Affäre. Carter war dran. „Commander, ich werde den Adler nicht so schnell fertig bekommen und außerdem muss ich Ihnen mitteilen, dass ich nicht fliegen werde.“ John starrte auf das kleine Bild:
„Carter, was soll das?“ Aber er konnte sich auch nicht vorstellen, in die Enge eines Adlers steigen zu müssen, es war unerträglich.
„Sie werden tun, was ich Ihnen sage.“ Koenig stürzte wütend durch die Tür und befand sich wieder auf dem Gang. Er rannte schnell weiter, aber er hatte das Gefühl stecken zu bleiben, seine Schultern schmerzten. John erreichte Victors Quartier und versuchte es zu öffnen, aber die Tür war verriegelt.
„Victor!“, schrie er in sein Commlock, „Victor, lass mich rein.“ Erst nach fünf qualvollen Minuten glitt die Tür auf und John stolperte hinein. „Victor, was ist denn los?“ herrschte er ihn an. Victor verriegelte wieder seine Tür.
„Was kann ich für dich tun John?“ Koenig lief wie ein gefangener Tiger auf und ab.
„Victor, ich brauche deine Hilfe. Was weißt du über diese Raumstation, hast du inzwischen….“
„Wozu denn? Sie ist tot, das sagte ich dir schon. Was willst du denn dort?“ John unterbrach seine ruhelose Wanderung:
„Victor, wo bleibt dein üblicher Wissensdurst. Wir sollten dort hingehen, wir sollten……“
„John, John, warum beruhigst du dich nicht wieder, ich…..“ Er sah sich wieder vorsichtig um. Koenig wurde von Grauen gepackt. Er riss sein Commlock vom Gürtel:
„Paul! Gibt es irgendeine Änderung in Bezug auf die Raumstation? Paul? PAUL!!!! Was ist denn da los, zur Hölle!“ John verließ den verunsicherten Victor und stürmte auf den Gang. Er quälte sich, verzweifelt gegen seine Klaustrophobie kämpfend, zur Kommandobrücke.
Victor blieb allein in seinem Quartier zurück und starrte zur Tür. Wieder ertönte das dumpfe tiefe Knurren…….
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Als Commander Koenig die Main Mission erreichte, waren nur Sandra und Kano anwesend. Beide schienen sich nicht sehr wohl zu fühlen, aber sie erstarrten, als sie sein verzerrtes Gesicht sahen.
„Commander, geht es ihnen gut?“
„WO IST PAUL??!“ „Er ist in seinem Quartier, Sir, er….“
„Macht hier denn jeder, was er will? KANO? Was sagt der Computer?“
„Dasselbe wie vorher, Commander. Es gibt keine weiteren Daten. Die Station ist leer und verlassen, da funktioniert gar nichts mehr.“ Koenig starrte aus dem Fenster.
„Aber irgendetwas stimmt doch da nicht.“
Helena betrat die Kommandozentrale und Johns Haltung versteifte sich unmerklich. Sie lächelte und wandte sich zu Sandra:
„Alles in Ordnung Sandra? Du hast schon sehr lange Dienst.“ Sandra sprang auf und hielt beide Hände abwehrend vor sich:
„Sie soll verschwinden Commander, befehlen Sie es ihr.“ Helena kam freundlich auf sie zu:
„Aber Sandra, was ist denn los, ich möchte dir helfen.“ Sandra packte ihr Commlock und schien es auf die Ärztin schleudern zu wollen. Koenig sprang dazu und zog Helena sofort hinter sich:
„Sandra, was ist denn in Sie gefahren. Was soll das?“ Sandra beruhigte sich langsam: „Tut mir leid, Sir, aber ich…ich kann sie einfach nicht leiden.“ John drehte sich überrascht zu Helena um und sah in ihre fassungslosen Augen. Auch sie konnte sich keinen Reim auf dieses seltsame Verhalten machen.
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Victor zog fröstelnd die Schultern hoch. Sein rationaler Verstand wehrte sich gegen diese lächerliche Schwäche, aber er konnte sich einfach nicht überwinden sein Quartier zu verlassen.
Eine Erinnerung streifte seine Gedanken, die schon Ewigkeiten her zu sein schien, eine Erinnerung aus seiner frühesten Kindheit. Neben dem Haus seiner Eltern war ein verwilderter Garten gewesen, der zu irgendeinem schlossähnlichen Anwesen gehört hatte, dass weitab entfernt auf dem riesigen Grundstück gelegen hatte. Der Garten hatte hinter einer Mauer gelegen und nur eine kleine, schmale, verrostete Eisentür hatte einen Blick ins Innere gestattet. Ein gewaltiges Schloss an einer dicken Kette hatte die Tür hermetisch abgeriegelt und Victor hatte nie versucht, in den Garten einzudringen. Dafür hatte es allerdings noch einen Grund gegeben. Irgendwo hinter diesen Mauern hatte ein Furcht erregender Hund sein Unwesen getrieben. Er hatte ihn nie zu Gesicht bekommen, nur sein schreckliches tiefes Knurren war des Öfteren erklungen, wenn der kleine Victor tief in Gedanken versunken vorbeispaziert war.
Eines Tages war dann das Unfassbare passiert und das kleine Gittertor war offen gewesen. Schloss und Kette waren verschwunden und die verrostete Pforte stand einen Spalt offen. Groß genug, dass auch ein sehr großer Hund sich hätte hindurchzwängen können. Und dann hörte er das Knurren……Victor war um sein Leben gelaufen, überzeugt, von dem größten und schrecklichsten aller Hunde verfolgt zu werden und kam völlig erschöpft zu Hause an. Es war weit und breit kein Hund zu sehen gewesen und seine Eltern hatten felsenfest behauptet, dass es dort nie einen solchen gegeben hätte……….
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John wandte sich an Kano: „Wenn sich irgendetwas ändert, will ich es sofort wissen.“ Er wandte sich um und ging in sein Büro. Helena folgte ihm und er verschloss das Tor.
„Helena, ich muss wissen, was hier los ist. Keiner ist auf seinem Posten, selbst Victor……“
„Die Leute klagen nur über Alpträume und Schlafstörungen. Es ist nicht so ungewöhnlich, seltsam ist nur das gehäufte Auftreten dieser Störungen, aber auch das kann eine natürliche Ursache haben. Schließlich sind wir lange genug unterwegs, es wundert mich nicht, wenn sich langsam ein paar psychische Auswirkungen einstellen.“
„Und was ist mit dir?“ Sofort verschloss sich Helenas Gesicht und sie versteifte ihre Haltung:
„Mit mir ist alles in Ordnung. Aber entschuldige mich, ich habe noch zu tun.“
„Helena….“, begann er hilflos, aber sie hörte ihn nicht mehr. Die Wand zwischen ihnen machte ihn verrückt, er vermisste ihren Rat, ihre Nähe….
John packte sein Commlock und rief nach Alan.
„Alan, wann kann ich den verdammten Adler haben?“ Alans Gesicht zeigte keinen Ausdruck:
„In drei Stunden, Sir. Aber…
„Geben Sie mir sofort Bescheid, wenn er fertig ist.“
„Commander?“
„Was noch?“
„Ich werde nicht fliegen.“
„Verdammt Carter, ich werde eben selbst fliegen.“
„Das ist zu gefährlich.“
„Carter, ich erwarte Ihre Nachricht in zwei Stunden und fünfundfünfzig Minuten.“ Koenig unterbrach die Verbindung und nahm seine ruhelose Wanderung wieder auf.
Das alles konnte doch nur mit dieser seltsamen Raumstation zusammenhängen, aber durch seine eigene Klaustrophobie und den schwelenden Konflikt mit Helena konnte er keinen klaren Gedanken fassen. Er riss wieder sein Commlock vom Gürtel und rief Victor. Er sehnte sich nach dem Rat und Beistand seines Freundes.
„Ja John?“
„Victor, könntest du zu mir kommen, ich brauche deine Hilfe. Ich werde in knapp drei Stunden zu der Basis fliegen, und……”
„Tu das nicht John, es ist zu gefährlich und außerdem völlig sinnlos, da gibt es doch nichts und du bringst dich nur unnötig in Gefahr.“
„Victor, ich MUSS dort hin. Siehst du denn nicht, was los ist? Warum verlässt du dein Quartier nicht?“
„Das
hat keine Bedeutung John, auf jeden Fall hat es nichts mit der Raumstation zu
tun, da bin ich ganz sicher.“ John unterbrach wütend die Verbindung und starrte
auf die Zeit. Aber es waren erst zehn Minuten vergangen. Warum wollten ihn alle
davon abhalten, zu dieser Raumstation zu fliegen? Aber auch er selbst wagte
nicht an die Enge der Pilotenkanzel im Adler zu denken. Aber das Warten machte
alles nur noch viel schlimmer. Kurz entschlossen verließ er sein Büro und begab
sich zum Hangar. Die Gänge schienen ihn wieder erdrücken zu wollen, aber er
riss sich zusammen. Im Adler würde es noch viel enger sein, er durfte sich
nicht so gehen lassen.
Er traf das Wartungspersonal auf dem Gang. Es waren nur
drei Leute und sie schienen sich auch gerade davonmachen zu wollen. Mit einem
scharfen Ruf hielt er sie zurück:
„Ist mein Adler schon fertig?“ Ein Mechaniker, von dem er wusste, dass er Bob hieß, wandte sich zögernd um:
„Welcher Adler Sir? Sie können jeden nehmen, den Sie wollen, aber…..“ Der zweite Techniker schien etwas in sein Commlock zu flüstern und Koenig war alarmiert. Was ging da vor?
„Ich dachte, sie wären alle im Service?“ Bob lächelte leicht:
„Ja, das ist schon erledigt, aber sprechen Sie doch lieber mit Captain Carter.“ Koenig fuhr herum und erblickte Alan, der auf ihn zukam, Helena im Schlepptau. Sekundenlang fühlte er Erleichterung, aber das war nur von kurzer Dauer. Alan stellte sich zwischen ihn und die Schleusentür.
„Commander, ich muss Sie bitten von diesem Flug Abstand zu nehmen. Sie gefährden Ihre Sicherheit und die der Basis.“ Koenig versuchte ein Lächeln:
„Alan, was soll das. Ich passe schon auf, aber wir müssen Bescheid wissen.“ Alan blieb ungerührt:
„Professor Bergmann ist auch der Ansicht, dass es keinen Grund für diesen Flug gibt, also….“ Koenig starrte ihn an, auf seiner Stirn erschien eine steile Falte:
„Aus dem Weg Carter, Sie werden mich nicht daran hindern….“ Helena war hinter ihn getreten und er fühlte die Injektion, die sie ihm verabreichen wollte. John fuhr herum und packte ihre Hand. „Nein, Helena, du musst mir glauben, es ist wichtig. Ich MUSS zu dieser Raumstation.“ Alan hatte seine Waffe gezogen. Koenig starrte verblüfft in den Lauf der Laserpistole. „Carter, ich befehle Ihnen die Waffe herunterzunehmen und mich durchzulassen.“ Das waren Johns letzte Worte, Alan drückte ab und sein Bewusstsein entglitt ihm.
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Als der Commander erwachte, blendete ihn das helle Licht und er schloss sofort wieder die Augen. Wo war er nur? Eine kühle Hand berührte seine Wange. Helena… Sekundenlang fühlte er sich ruhig und entspannt, dann riss er die Augen auf. Er befand sich in der Krankenstation, in seinem Pyjama und es war so hell, dass seine Augen schmerzten. Helena beugte sich über ihn.
„Wie geht es dir?“
„Wie soll es mir schon gehen? Meine gesamte Mannschaft hat den Verstand verloren und Carter hat auf mich geschossen.“ Helena überprüfte ungerührt und ruhig seine Werte.
„Alles in Ordnung, aber du scheinst etwas überreizt zu sein. Nach ein paar Tagen Ruhe wird es dir wieder besser gehen.“
„Ich brauche keine Ruhe sondern Gewissheit. Helena, du musst mir helfen.“
„John, du wolltest dich gegen Victors ausdrücklichen Rat in Gefahr begeben, du…..“
„Wo ist Victor? Er sitzt in seinem Quartier und traut sich nicht heraus. Und du vertraust seinem Wort mehr als meinem? Ich weiß es, ich FÜHLE es, dass alle unsere Probleme mit dieser verlassenen Raumstation zusammenhängen, ich muss einfach dorthin. Helena, bitte.“ Dr. Russell sah ihn mehr als zweifelnd an, aber sie ließ die Injektion sinken, die sie ihm hatte verabreichen wollen. John richtete sich vollends auf. „Helena, Wir alle werden von diesen seltsamen Ängsten geplagt. Dieses Licht hier... Hast du mir nicht einmal erzählt, du hättest als Kind Angst vor der Dunkelheit gehabt?“ Helena setzte sich zögerlich auf sein Bett.
„Aber…das ist Ewigkeiten her.“ John ergriff beschwörend ihre Schultern:
„Es scheint bei allen solche Erinnerungen zu erwecken, auch bei mir. Alpha ist in Gefahr, wenn ich nicht gehe. In allergrößter Gefahr, du musst mir helfen.“ Helena erhob sich und hob seufzend die Schultern.
„Ich weiß nicht John. Was ist, wenn du dich irrst?“
„Dann komme ich eben wieder zurück. Mir passiert nichts.“ Helena warf ihm einen besorgten Blick zu, der ihn mit großer Wärme erfüllte, aber er ließ sich nichts anmerken.
„Wirst du mir helfen?“
„Gut, John. Du kannst die Krankenstation verlassen und ich gebe dir dein Commlock, aber Alan hat befohlen, dass…..“
„ICH gebe hier die Befehle. Ich brauche eine Waffe.“ John nahm sich nicht die Zeit, seine Uniform anzuziehen, sondern lief wie er war aus der Krankenstation Richtung Hangar. Seine Klaustrophobie war verschwunden und er gelangte unentdeckt zur Schleusentür. Zwei Wachen waren davor aufgestellt, aber Koenig betäubte sie, ohne sich auf lange Diskussionen einzulassen. Jetzt musste er schnell sein. Er hetzte durch die Schleuse und warf sich in die Pilotenkanzel von Adler fünf. Die Tür glitt mit einem zischenden Geräusch zu und er startete sofort. Als er abhob erschien Alans Gesicht auf dem Bildschirm:
„Commander, kommen Sie sofort zurück. Sonst müssen wir einen Adler hinaufschicken, der sie abfängt.“ Koenig starrte kurz auf Alans verzerrtes Gesicht: „Dann werden Sie das eben tun müssen, Carter.“ Dann trennte er die Verbindung.
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Koenig starrte grimmig auf die Raumstation, die die Wurzel allen Übels sein musste. Er würde ihr das Geheimnis entlocken, egal, was es war. Von der Basis war kein weiterer Adler aufgestiegen, offensichtlich hatte Helena das verhindern können.
John stieg eilends in seinen Raumanzug, nicht ohne amüsiert festzustellen, dass er das noch nie im Pyjama getan hatte. Dann suchte er einen Platz um anzudocken. Es gab mehrere Möglichkeiten, was ihm eigenartig erschien, aber er fand ein passendes Dock und wartete ungeduldig auf den Druckausgleich. Dann zog er seine Waffe und stieg vorsichtig aus.
Das Innere der Station wirkte alt und heruntergekommen, Gerümpel lag herum und einer der Gänge, die in das Herzstück zu führen schienen, war bereits eingestürzt. Es gab Schwerkraft, aber keine Atmosphäre. John folgte dem freien Gang vorsichtig bis er vor einer Tür zu stehen kam. Alles in allem schien es sich wirklich um eine verlassene Forschungsstation zu handeln, hatte er sich wirklich so geirrt?
Koenig machte sich an der Tür zu schaffen, aber der Mechanismus war undurchschaubar. Als er entnervt zur Waffe greifen wollte, glitt sie wie von Geisterhand betätigt auf. John fuhr zurück und richtete die Laserpistole in den Raum, der von einem seltsamen grünlichen Licht erhellt wurde. Als keine weitere Reaktion erfolgte, glitt John vorsichtig durch die Tür.
Der Raum war vielleicht vierzig Quadratmeter groß und wurde von einem riesigen Computer beherrscht. Koenig trat langsam näher, als sein Fuß an etwas stieß. Am Boden vor ihm lagen mehrere menschenähnliche Skelette, ineinander verschlungen, mit schaurig aufgerissenen Mündern. Angeekelt fuhr er zurück, als er die Quelle des grünen Lichtes entdeckte. Auf einer Art Tisch standen zwei Gehirne, die in je zwei zylinderförmigen Gefäßen in einer seltsamen grünlichen Nährlösung schwammen. Sie waren über zahllose feine Drähte und Schnittstellen mit dem Computer verbunden und bevor er noch reagieren konnte, kam aus dem Lautsprecher eine monotone Stimme.
„Gratuliere Commander Koenig, Sie haben mein Spiel gewonnen. Ich wusste doch, dass Sie ihre Angst würden überwinden können.“ Bevor John etwas sagen konnte, schien der Computer sich selbst zu antworten:
„Du hattest einfach nur Glück. Ich hatte dafür recht, was Professor Bergmann betraf.“ Koenig fühlte sich in dem Raum äußerst unwohl. Es war schaurig und er hatte keine Ahnung, wer es war, mit dem er da kommunizierte.
„Wer sind Sie?“
„Unsere Namen haben wir längst vergessen“, antwortete die emotionslose Stimme des Computers. „Vor über dreihundert Jahren haben humanoide Forscher des Planeten TAURUS hier eine zivile Forschungsstation errichtet.“ Der Computer unterbrach sich: „Verzeihen sie unsere Ungastlichkeit. Sie werden Luft atmen wollen, nicht wahr?“ Aus einer Öffnung in der Wand strömte ein atembares Sauerstoffgemisch und Koenig öffnete nach eingehender Prüfung mit seinem Messgerät sein Visier. Der Computer fuhr ungerührt fort: „ Man befasste sich mit dem Weltall und seinen Geheimnissen, bis mein Kollege, hier neben mir in der Lösung und ich bei einem Außeneinsatz schwere Verbrennungen erlitten und langsam starben. Da stellte es sich heraus, dass der damalige Leiter unserer Station schon mehrfach Versuche mit Gehirnen in einer speziellen von ihm entwickelten Nährlösung durchgeführt hatte. Er fragte uns, ob wir bereit wären, es zu versuchen, und wir hatten keine andere Wahl. Man versprach uns Unsterblichkeit, aber in Wahrheit wurden wir für unmenschliche Versuche missbraucht. Kein Gehirn der vergangenen Testpersonen hatte länger als zwei Monate überlebt, dann war es in Wahnsinn verfallen und hatte sich aufgegeben. Es ist eine grausame Welt hier in der Nährlösung, wir schwimmen wie in einem Meer der Empfindungslosigkeit. Es ist geräuschlos, geruchlos, gesichtslos... eine unendliche, furchtbare Einsamkeit. Aber uns gelang es, einen Weg aus der totalen Isolation zu finden, so haben wir überlebt.“ Koenig starrte auf die wabernde Nährlösung und ahnte bereits die schreckliche Wahrheit.
„Wie haben Sie überlebt?“ „Würfelspiele Commander, ganz einfach.“
„Würfelspiele?“
„Wie rechnen Wahrscheinlichkeiten aus und wetten, wie Menschen reagieren. In der Nährlösung wird man zu einem reinen Gehirn und konzentriert sich auf alle unbenutzten Zonen. Bald konnten wir die Gedanken der Stationsbesatzung lesen und ihre geheimen Wünsche und Ängste erraten. Wir vergegenwärtigten sie und würfelten die Ergebnisse. Ich habe eine Sechs auf Sie gesetzt Commander.“
„Wir haben Ihnen nichts getan, warum missbrauchen Sie uns zu ihren grausamen Spielen?“
„Anfangs kamen ständig neue Wissenschaftler auf die Raumstation und wir hatten genügend Abwechslung. Aber die Jahrzehnte vergingen und sie blieben aus. Wir lebten noch immer in unserer Nährlösung, der alte Leiter verschwand und man ließ uns hier mit einer kleinen Gruppe von Forschern zurück. Sie verloren das Interesse an diesem Versuch und da erst begannen wir, unsere Fähigkeiten zu perfektionieren. Es sind die kleinen irrationalen Ängste, die Menschen in den Wahnsinn treiben können, nicht die rationalen.“ Koenig starrte in die grüne Lösung: „Was meinen Sie mit rationalen Ängsten?“ „Nun, zur Zeit ist Ihre größte rationale Angst Commander, dass die Mondbasis zerstört werden könnte. Aber die rationale Angst ist ein Werkzeug des Selbsterhaltungstriebs und somit begründet. Sterbliche Wesen brauchen diese Angst, um möglichst lange überleben zu können. Aber die kleinen unerklärbaren Ängste, aus der frühesten Kindheit, die damals so ungehemmt und intensiv empfunden worden sind und unerklärlich geblieben sind. Die nagen an der Seele, weil man sie nicht mitteilen kann, weil es meist keine Worte dafür gibt, oder wenn man auch Worte finden könnte, sie niemand verstehen könnte. Sie zerstören das Gefüge von innen und machen wehrlos, sprachlos.“
„So haben Sie also die letzten Forscher getötet. Und jetzt wollen Sie es mit Alpha machen, aber das lasse ich nicht zu. Sie werden ihre perversen Spiele nicht mit uns treiben!“
„Was meinen sie mit pervers Commander? Wir leben nun schon seit dreihundert Jahren in dieser Lösung. Was für eine Bedeutung sollten diese Werte für uns haben? Gibt es eine Moral für Lebewesen wie uns? Hat sie irgendeinen Sinn? Gut und Böse, was bedeutet das, wenn man nichts als ein Gehirn ist, das in einem Glas gehalten wird wie ein primitives Tier? Unsterblichkeit macht letztlich alles sinnlos, nur die Erhaltung der Existenz zählt noch und das ist alles. Wir können nicht anders überleben und nur das zählt doch, oder?“
Koenig hob wütend seine Waffe. Die Computerstimme wies ihn monoton zurecht: „Sie können das Kraftfeld nicht durchdringen, niemand konnte das. Warum denken Sie, haben wir so lange überlebt? Ihre Leute gehören uns Commander und Sie. Denn Sie werden nie wieder zurückkehren auf Ihren Mond. Wir haben die Schleuse verriegelt, Sie kommen hier nicht mehr weg. Inzwischen wird der Verfall auf Alpha noch schneller voranschreiten, sie werden beginnen, sich gegenseitig zu beschuldigen und sich umbringen. Wir kennen den Prozess, glauben Sie uns. Ich würfle eine Sechs, dass man zuerst die nette Ärztin töten wird, die Ihnen geholfen hat und an der Ihnen so viel zu liegen scheint.“ Koenig fuhr erschrocken auf:
„Helena!“
„Richtig das war der Name. Namen haben keine Bedeutung mehr für uns. Ich würfle eine Vier. Vielleicht hat sie noch eine kleine Chance.“
John stürmte zur Tür und versuchte sie zu öffnen, aber sie war verschlossen und auch seine Waffe zeigte keinerlei Wirkung. Während die Gehirne ihr schauriges Würfelspiel um die Leben auf Alpha fortsetzten, rannte Koenig vor der Tür auf und ab und überlegte verzweifelt, was er tun sollte. Schließlich hielt er nicht mehr aus, packte die Laserpistole und wirbelte herum. Er feuerte sofort, aber der todbringende Strahl wurde von dem aufleuchtenden Kraftfeld reflektiert und kam mit mörderischer Präzision zu ihm zurück. John konnte sich nur durch einen wilden Hechtsprung retten, er schlitterte über den Boden, durch sämtliche Skelette und wurde von einem massiven Tischbein gestoppt, wobei er sich schmerzhaft die Schulter prellte. Die Gehirne nahmen keine Notiz von ihm, sie waren zu sehr mit sich selbst und ihrem abartigen Vergnügen beschäftigt. John richtete sich auf und ging auf sie zu.
„Hören Sie mir zu. Sie haben doch mich. Reiche ich nicht für ihre Würfelspiele? Lassen Sie meine Leute unbehelligt weiterreisen, Sie können mit mir machen, was Sie wollen.“ Der Computer antwortete ungerührt: „Wir haben Sie UND Ihre Leute. Aber Sie sind nur mehr von geringem Wert für uns. Sie haben Ihre irrationale Angst überwunden, Ihre zahlreichen rationalen, die sie im Moment empfinden, sind nicht so interessant, weil sie kalkulierbar sind. Sie können uns in Zukunft diverse Wartungsarbeiten abnehmen. Wenn Ihre Leute erst einmal tot sind, werden Sie sehr schnell gefügig sein. Wollen Sie sehen, wie es ihnen geht?“ Koenig hatte plötzlich eine Vision von totalem Chaos, Panik und Anarchie, die ihn mit eisigem Schrecken erfüllte. Helena, alle seine Leute befanden sich in tödlicher Gefahr. Er durfte sich nicht von der Panik mitreißen lassen, er musste sich konzentrieren und einen Ausweg finden.
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Helena hatte sich inzwischen in der Medical Section eingeschlossen. Alan wütete vor der Tür und bedrohte sie mit dem Tod: „Es ist ihre Schuld Dr. Russell! Sie haben den Commander entkommen lassen, er wird sterben und uns alle mit in den Tod reißen, das haben sie zu verantworten.“ Helena hatte sich mit einer Laserpistole in die Quarantänestation zurückgezogen. Sie würde nicht sehr lange aushalten können, aber so lange wie möglich. Es war richtig gewesen John zu vertrauen, davon war sie überzeugt. John… nun war es zu spät. Ein schmerzliches Bedauern raubte ihr kurzzeitig den Atem, es fiel ihr gar nicht auf, dass das Licht in der Krankenstation ausgegangen war…..
Angst und Panik breiteten sich auf Alpha aus, es war wie eine geheimnisvolle grausige Seuche, die ihre Opfer mit tödlicher Sicherheit befiel, unheilbar, unersättlich...
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John zermarterte sich den Kopf nach einer Lösung, als ihm plötzlich einfiel, dass das Kraftfeld bei seinem Beschuss nicht überall gleich intensiv geleuchtet hatte. Es war relativ groß, da es auch den Computer mit einbezog, sollte es im Laufe der Jahre vielleicht Schwachstellen entwickelt haben? Was immer die Kraftquelle sein mochte, sie konnte nicht ewig genug Energie liefern und ohne Energie konnten die Gehirne nicht überleben. Das Kraftfeld brauchten sie nur, wenn Eindringlinge wie er sie bedrohten. Also würden sie sich wohl verlassen, ihn entmutigt zu haben und vielleicht jetzt darauf verzichtet haben. Das Kraftfeld fraß mit Sicherheit zuviel der wertvollen Energie, sie würden sich auf seine Vernunft und Rationalität verlassen, nicht zweimal denselben Fehler zu machen. Aber genau das war der größte Fehler, sein GEFÜHL sagte ihm, er solle es noch einmal probieren, mit voller Ladung...
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Victor hatte sein Quartier verlassen und in seinem Labor Zuflucht gesucht. Aber das Knurren schien ihn überall hin zu verfolgen. Sein synthetisches Herz konnte die nervliche Belastung kaum ertragen, er fühlte, wie sein Atem immer schwerer ging, ihm wurde schwarz vor Augen……
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John ließ die Schultern hängen und ging langsam zur Tür. Während die Gehirne sich mit immer höheren Einsätzen über die ersten Todesfälle übertrafen, spielte er Resignation und Verzweiflung. Sie mussten ihn ganz vergessen, seine Anwesenheit nicht mehr als Gefahr betrachten……
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Alan hatte die Tür zur Krankenstation gewaltsam geöffnet. Er und Paul drangen langsam und vorsichtig ein. Ihre Waffen waren auf „Töten“ eingestellt, sie hatten nicht vor, Gnade walten zu lassen.
Helena hatte sich unter einer Liege in der Isolierstation versteckt. Die Dunkelheit schützte sie vorläufig, aber es war nur mehr eine Frage von Sekunden. Sie packte ihre Waffe fester, sie war nur auf „Betäubung“, und sie wusste, dass sie unterlegen war. John, JOHN! Wenn er nur hier wäre. Aber es ging ihr nicht so sehr um die Sicherheit, die sie in seiner Gegenwart fühlte, sondern um das, was sie ihm seit Tagen hatte sagen wollen und wofür es jetzt keine Möglichkeit mehr geben würde. Musste es durch ihre Dickköpfigkeit so enden?
Alan war an der Tür der Isolierstation und Helena fühlte wie ihr Herzschlag aussetzte. Es war soweit…….
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Koenig fuhr herum und feuerte. Er hatte trotz der Geschwindigkeit, die erforderlich gewesen war, genau gezielt und der Laserstrahl traf ungehindert auf die zylindrischen Behälter. Ein hässliches Zischen war zu hören und die grüne Nährlösung begann zu kochen und verdampfte dann ebenso wie die Gehirne, die einen ekelhaften Gestank verbreiteten. Die Computerstimme schwankte, wurde immer höher und endete dann in einem schrillen Diskant: „Eine Sechs auf Koenig… Sechs auf Koenig………Sechs auf….“
Es war ein schneller, beinahe unspektakulärer Tod gewesen, nach dreihundert langen Jahren. John fühlte kein Bedauern. Er schloss sein Visier und trat durch die Tür, die er gewaltsam aufschieben hatte können. Die Energieversorgung brach zusammen, er musste zurück zum Adler.
Glücklicherweise war die Schleuse nicht mehr verriegelt, war sie es je gewesen? – und er konnte, nachdem er ungeduldig den Druckausgleich abgewartet hatte, sofort in die Pilotenkanzel und starten. Nur weg von dieser verfluchten Raumstation und zurück zu Alpha. Hoffentlich war es nicht zu spät gewesen. John hieb mit dem Finger auf das Funkgerät: „Adler Fünf an Basis. Hier ist Commander Koenig. Alpha bitte kommen!“
Aber niemand antwortete ihm. Das Funkgerät blieb stumm. John fühlte, wie ihm der kalte Schweiß ausbrach, warum antwortete keiner? „Hier ist Koenig, Paul antworten Sie mir! Alan, was ist passiert? Helena…..“ Tödliche Stille breitete sich im Adler aus. Er würde zwei Stunden brauchen, um Alpha zu erreichen, zwei Stunden, die die längsten seines Lebens zu werden versprachen…….
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Die Stille hielt an, auch als er den Mond erreicht hatte und andockte. Koenig sprang auf und zog den Reißverschluss seines Raumanzugs auf. Überrascht fühlte er die nackte Haut und erinnerte sich, dass er ja noch immer seinen Pyjama darunter trug. Entschlossen zog er den Reißverschluss wieder zu. Nicht, dass es das erste Mal gewesen wäre, dass er im Pyjama die Kommandozentrale betreten hätte, aber diesmal war es etwas anderes. Er hatte keine Ahnung, was ihn erwartete, aber auf gar keinen Fall wollte er im Pyjama sterben, falls ihm ein solches Schicksal drohte.
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Paul hieb unterdessen wütend auf mehrere Tasten vor ihm. „Funktioniert denn überhaupt nichts mehr? Wir haben keinen Funkkontakt, keinen Hauptschirm und der Computer ist ausgefallen. Wann können wir mit Ergebnissen rechnen?“ Kano zog die Schultern hoch:
„Der Computer hat nur eine Störung, die ich soeben behebe, ich kann bald wieder Daten liefern.“ Alan fuhr nervös von seinem Sitz auf:
„Was ist, wenn der Commander Hilfe braucht? Wir sitzen hier wie eine lahme Ente und können nicht einmal einen Adler starten.“ Victor trat begütigend an sie heran:
„Die Reparaturarbeiten sind im vollen Gange, in allen Stationen sind Techniker unterwegs, wir müssen noch etwas Geduld haben.“
Helena betrat die Brücke und sah sich besorgt um:
„Keine Nachricht von John?“ Victor schüttelte bedauernd den Kopf: „Vielleicht hat er es nicht mehr geschafft? Wir haben keine Ahnung, was er dort vorgefunden hat, aber auf jeden Fall hat er uns befreit. Wir müssen uns darauf einstellen, ihn niemals wieder zu sehen.“ Helenas Augen weiteten sich etwas, aber sie hatte sich sofort wieder in der Gewalt:
„Es gibt nur ein paar Verletzte, nichts Schlimmeres als Knochenbrüche, wir haben diesen Alptraum vergleichsweise gut überstanden.“ Sie starrte bei diesen Worten auf den schwarzen Bildschirm in der Hoffnung, dort, gegen jede Vernunft, Johns Adler zu erblicken.
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Commander Koenig schlich vorsichtig vom Hangar zur Kommandozentrale. Es war äußerst eigenartig, dass er niemandem begegnete. Dafür gab es mehrere mögliche Erklärungen, von denen aber nur eine positiv klang, das wollte ihm ganz und gar nicht gefallen. John stürmte in sein Büro und ergriff sein Commlock. Ein letztes Mal wollte er es versuchen, bevor er sich ins Unvermeidliche schickte. In der Erwartung wieder einen schwarzen Bildschirm vorzufinden rief er Paul.
Kano wandte sich eben triumphierend an Paul: „Der interne Funk funktioniert wieder, alle Commlocks…..“ Koenigs ungeduldige Stimme unterbrach ihn:
„Paul, hier ist Koenig, meldet euch!“ Paul warf sich beinahe auf die Tastatur:
„Commander, wir hören Sie. Ist alles in Ordnung? Wo sind Sie?“ John ließ die Tür aufgleiten: „Hinter Ihnen.“
Alan stürzte auf ihn zu: „Commander, Sie leben? Ich…..“ Koenig schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter.
„Schon gut, Alan.“
Helena löste sich aus ihrer Erstarrung und lief auf ihn zu: „JOHN!“ Er hätte alles dafür gegeben sie jetzt einfach in die Arme schließen zu können, aber sie blieb einen Meter vor ihm stehen und dann war auch schon Victor an ihrer Seite.
„John, du lebst!“ Also legte er je einen Arm um Helena und Victor und drückte sie beide an sich, Helena ein wenig fester, aber sie wehrte sich nicht. Dann lief er über die Stiegen hinunter zu Paul und Sandra, die ihm begeistert entgegenlächelten.
„Paul, Sandra! Alles in Ordnung? Was war nur los, ich konnte euch nicht erreichen?“ Die Missverständnisse waren schnell beseitigt, da trat Alan an ihn heran:
„Commander, geben Sie mir Ihren Raumanzug, Sie müssen doch umkommen vor Hitze.“
John zögerte. Es war doch etwas peinlich, jetzt seinen Pyjama zu präsentieren.
Er sah Helena ein Lächeln unterdrücken. Natürlich, sie wusste es ja!
Aber er zog sich aus der Affäre.
„Lagebesprechung in einer halben Stunde, ich möchte mich zuerst duschen, danke Alan.“
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Die Besprechung verlief beinahe ausgelassen. Alpha war wieder frei, die Reparaturarbeiten liefen auf Hochtouren, bald würde alles wieder beim Alten sein.
Anschließend zog John sich mit Victor und Helena auf die Galerie zurück. John starrte aus dem Fenster in die Richtung, in der die unheilvolle Raumstation verschwunden war. Victor folgte seinem Blick:
„Wir waren alle Sklaven unserer heimlichsten und unerklärlichsten Ängste. Diese Art Furcht, die man niemandem erklären kann, die einem peinlich, völlig unverständlich ist. Deshalb veränderte sie auch so sehr unseren Charakter und unser Verhalten.“ John legte Daumen und Zeigefinger an sein Kinn und grübelte:
„Aber sie haben gewusst, dass ich kommen würde, sie haben sogar um ihre Zerstörung gewusst, sogar darauf gesetzt. Warum Victor, das verstehe ich nicht?“ Victor rieb sich nachdenklich die Stirn:
„Vielleicht haben sie es sich ja gewünscht. Das Dasein in der Nährlösung stelle ich mir schrecklich vor.“
„Aber warum haben sie mich dann bekämpft? Warum haben sie mich nicht einfach darum gebeten?“ Victor lächelte:
„Du sagst, sie hätten ihre irrationalen Ängste längst überwunden gehabt, aber wer sagt uns, dass sie ihre rationalen nicht noch hatten? Existiert nicht vielleicht auch noch nach dreihundert Jahren so etwas wie ein Überlebenstrieb?“
„Du meinst, sie hatten Angst vor dem Tod?“ Victor legte den Kopf ein wenig schief:
„Tja, wer kann das wissen?“
Koenig lächelte ein wenig und starrte weiter auf die Sterne vor ihm. Victor warf einen Blick auf ihn und Helena, dann ging er langsam zur Treppe:
„Also…ich habe noch sehr viel zu tun, ich bin in meinem Labor.“ John bemerkte wehmütig, dass Victor heute wieder sein äußerst seltenes Taktgefühl entdeckt hatte, aber es würde wohl sinnlos sein, er rechnete fest damit, dass Helena sich Victor anschließen würde. Aber nur ein Paar Stiefel klapperte die Stufen hinab. Helena war also geblieben. Aber er wandte sich nicht um. Sie hatte diese Mauer zwischen ihnen errichtet, sie musste sie auch wieder abbauen. Stück für Stück, oder einfach auf einmal umreißen, was ihm am liebsten gewesen wäre.
John fühlte mehr als das er es hörte, wie sie auf ihn zukam.
„John?“
„Hm?“ Er blieb abwartend. Helena legte eine Hand auf seinen Arm, sanft wie ein Schmetterlingsflügel. Die Sterne vor seinen Augen begannen einen merkwürdigen Reigen zu tanzen.
„John, ich habe heute keinen Nachtdienst und du auch nicht, Ich dachte, wir könnten zusammen essen, uns unterhalten, uns einfach einen schönen Abend machen. Ich bereite etwas vor. Kommst du so in einer Stunde in mein Quartier?“ John fühlte eine jubelnde stürmische Freude in seinem Inneren, aber noch hielt er sie eisern im Zaum. Er wandte sich ihr zu:
„Du... hast doch keine Angst mehr, oder? Vor der Dunkelheit meine ich.“ Helena lächelte. In ihren Augen schien sich das Licht sämtlicher Sterne des Universums zu reflektieren:
„Nein. Ich möchte nur mehr Zeit mit dir verbringen, das ist alles.“
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